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Beratung über Iran-Sanktionen

USA und Deutschland wollen weiteren Druck auf Teheran

Von Karin Leukefeld *

Vertreter der fünf ständigen Mitglieder im UNO-Sicherheitsrat und Deutschlands haben am Mittwoch (2. Sept.) über den Atomkonflikt mit Iran beraten. Das Treffen in Königstein (Hessen) sollte nach Angaben diplomatischer Kreise der Abstimmung dienen. Laut Mitteilung der Bundesregierung sind von der Beratung keine konkreten Beschlüsse zu erwarten.

»Lähmende Sanktionen« gegen Iran forderte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kürzlich bei seinem Besuch in Berlin. Nur so könne das Land gezwungen werden, sein Programm zum Bau einer Atombombe zu stoppen. Die »iranische Atommacht« sei derzeit die größte Gefahr, so Netanjahu weiter, »nicht nur für Israel, sondern für die ganze Welt«. Sollte der UNO-Sicherheitsrat keine schärferen Sanktionen gegen Iran verhängen - weil China und Russland dem nicht zustimmen -, schlägt Israels Premier vor, dies könne eine »Koalition der Willigen« tun, die ihre eigenen Sanktionen verhängt.

Zuvor hatte schon US-Außenministerin Hillary Clinton Zwangsmaßnahmen empfohlen.

Iran verfügt zwar über die viertgrößten Erdölvorkommen der Welt, kann aber aus seinem Reichtum nicht genügend Benzin und Diesel für den lokalen Markt produzieren, weil die Raffineriekapazitäten des Landes nicht ausreichen. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel brachte im Vorfeld »Sanktionen im Energiesektor« ins Spiel.

Das »Treffen der Weltmächte in Deutschland« nimmt in nahöstlichen Medien in diesen Tagen einen vorderen Rang ein. »Die Weltmächte« scheinen zu neuen Sanktionen entschlossen, heißt es da. Dass der neue Atomunterhändler Irans, Said Dschalili, erklärte, man habe die bisherigen Vorschläge überarbeitet und sei zu neuen Gesprächen bereit, werde offenbar nicht ernst genommen.

Mohammed al-Baradei, der Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), hat mehrfach erklärt, es gebe keine Beweise, dass Teheran «an der Bombe bastele«. Die angebliche Bedrohung aus Iran sei »aufgebauscht«, was ihm scharfe Kritik Israels eingebracht hat, das seit langem die IAEA als voreingenommen zugunsten Irans bezeichnet. Im Nahen Osten herrscht deshalb die Ansicht vor, dass die USA und einige europäische Länder auf dem israelischen Auge blind seien, schließlich ist Israel das einzige Land mit Atomwaffen in der Region. Ein Vorschlag der Arabischen Liga, eine Konferenz zur Abschaffung aller Massenvernichtungswaffen in der Region durchzuführen, wird vom Westen ignoriert.

»Warum gibt es eigentlich keine Sanktionen gegen Israel?«, fragte anlässlich der Tagung in Königstein der frühere US-Vizefinanzminister und jetzige Journalist von »Wall Street Journal«, Paul Craig Roberts, in »Middle East Online«. »Vertreibt Iran Menschen von dort, wo sie jahrhundertelang gelebt haben und sperrt sie in Gettos ein? Greift Iran andere Länder an, bombardiert es Zivilisten, zerstört es zivile Infrastruktur?«

Nicht Iran, so Roberts weiter, sondern Israel verdiene Sanktionen, weil es nicht nur unfriedlich gegen seine arabischen Nachbarn vorgehe, sondern auch Atomwaffen habe, die es weder deklariert habe noch durch irgendeine internationale Vereinbarung kontrollieren lasse. Iran dagegen sei Unterzeichnerstaat des Nichtverbreitungsabkommens und habe das Recht auf Atomenergie. Das Programm werde von der IAEA kontrolliert. Bisher sei nichts Verwertbares gefunden worden, was auf die Entwicklung von nuklearen Waffen hinweisen würde.

* Aus: Neues Deutschland, 3. September 2009


ElBaradei kritisiert Panikmache

Warnungen vor iranischem Atomprogramm »übertrieben«. Keine Beweise für Streben nach Kernwaffen **

Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Mohamed ElBaradei, hat Warnungen vor einer globalen Bedrohung durch das iranische Atomprogramm als übertrieben bezeichnet. Es gebe keinen harten Beweis dafür, daß Teheran den Besitz von Atomwaffen anstrebe, sagte der Friedensnobelpreisträger der Fachzeitschrift The Bulletin of the Atomic Scientists. »Wir haben keinen konkreten Beweis gesehen, daß Teheran ein laufendes Atomwaffenprogramm hat«, erklärte ElBaradei, der Ende November nach zwölf Jahren als IAEA-Generaldirektor aus dem Amt scheidet. »Aber irgendwie reden viele Leute davon, daß das iranische Atomprogramm die größte Bedrohung der Welt ist.« Diese Bedrohung sei in vielerlei Hinsicht übertrieben worden. »Ja, es gibt Sorgen über die zukünftigen Absichten des Irans, und der Iran muß offener zur IAEA und der internationalen Gemeinschaft sein«, erklärte ElBaradei. »Aber der Gedanke, daß wir eines Morgens aufwachen und der Iran eine Atomwaffe hat, wird von keiner Tatsache gestützt, die wir bis jetzt gesehen haben.« [Auszug aus dem Interview unten im Kasten; AGF]

Die fünf Vetomächte im UN-Sicherheitsrat und Deutschland wollten am Mittwoch (2. Sept.) bei Frankfurt am Main das weitere Vorgehen im Streit um das iranische Atomprogramm festlegen. Bei den Gesprächen auf Ebene der politischen Direktoren sollte die Strategie gegenüber Teheran abgestimmt werden. Konkrete Beschlüsse standen nach Angaben der Bundesregierung allerdings nicht an.

Teheran hatte am Dienstag (1. Sept.) neue Vorschläge für eine Wiederaufnahme des Dialogs mit dem Westen über sein Atomprogramm angekündigt. Der überarbeitete Entwurf Teherans berücksichtigt nach den Worten des iranischen Chefunterhändlers Said Dschalili die globalen Entwicklungen des vergangenen Jahres sowie die weltweite Wirtschaftskrise und den Konflikt zwischen Rußland und Georgien im Sommer 2008. Washington erklärte dazu, dem Weißen Haus sei bislang nichts über einen Entwurf aus Teheran bekannt. (AP/AFP/jW)

* Aus: junge Welt, 3. September 2009

Auszug aus dem Interview mit ElBaradei

BAS (Bulletin of the Atomic Scientists): Is Iran minimizing the risk of its nuclear program—namely by keeping it purely civilian-oriented?

ELBARADEI: We have not seen concrete evidence that Tehran has an ongoing nuclear weapons program. But somehow, many people are talking about how Iran’s nuclear program is the greatest threat to the world. In many ways, I think the threat has been hyped. Yes, there’s concern about Iran’s future intentions and Iran needs to be more transparent with the IAEA and international community. We still have outstanding questions that are relevant to the nature of Tehran’s program, and we still need to verify that there aren’t undeclared activities taking place inside of the country. But the idea that we’ll wake up tomorrow and Iran will have a nuclear weapon is an idea that isn’t supported by the facts as we have seen them so far. It’s urgent, however, to initiate a dialogue between Washington and Tehran to build trust, normalize relations, and allay concerns as proposed by President Obama. To me, that’s the only way forward. That’s not a popular position. I’m accused by some of politicizing the evidence. About Iran, I’ve been told, “Mind your own business; you’re a technician.” And yet, at other times, on other matters, I have been told that I’m the custodian of the Nuclear Non-Proliferation Treaty—sometimes by the very people who tell me to mind my own business when it comes to Iran. I don’t put much stock in either designation. I’m neither a custodian nor a technician; I’m merely someone who is trying to do his job. And I know the world won’t be successful in achieving nuclear disarmament unless there’s an equitable universal arms control regime in place that deals with the root causes of proliferation such as poverty, conflicts, and violence. So when I tell our member states, “If you want the agency to do a good job at stemming proliferation, you have to work on the root causes,” that’s not politicization; that’s looking at the big picture and being faithful to my job.

BAS: What lessons have you learned from your experiences with Iran—and the same for North Korea and Iraq?

ELBARADEI: One lesson is to keep the dialogue going—particularly in the case of North Korea. There, whenever a dialogue was taking place, things were on the right track. Whenever the dialogue stopped, things started to go bad. Now, two nuclear tests later, we have no choice but to talk to the North Koreans and understand where they’re coming from.

Another lesson is to use sanctions only as a last resort and to avoid sanctions that hurt innocent civilians. As we saw in Iraq, sanctions only denied vulnerable, innocent civilians food and medicine, resulting in some of the most egregious human rights violations I’ve ever seen—all in the name of the rule of law. So we should try very hard to establish an ongoing dialogue, because sanctions are never a solution.

As for force, I’m not against it. But to me, you have to exhaust all other possibilities for a peaceful resolution until force becomes the last option. You can’t jump the gun as the United States did in Iraq. In total, one out of three Iraqis has had his or her life pulverized because of a war that never in my view should have been fought in the first place.

BAS: When might military force be used to deal with proliferation?

ELBARADEI: Very, very rarely. In fact, usually the use of force and isolation leads to nuclear programs expanding, not retreating. Let’s look at a couple of the cases you asked me about. Saddam Hussein only started his huge clandestine nuclear program after the Israelis bombed his Osirak facility in 1981. In terms of Iran, when it was denied nuclear technology by other countries after the Islamic Revolution, Tehran took part of its program underground. In retrospect, wouldn’t it have been better to deal with both Iraq and Iran differently? Obviously, there need to be incentives and disincentives, but overall, I believe in a comprehensive approach that addresses the symptoms and root causes and is based on mutual respect. (...)

"Interview: Mohamed ElBaradei". Bulletin of the Atomic Scientists, September/October 2009, vol. 65, no. 5, pp. 1–9. (Excerpt)




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