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Verwirrung um Drohne

Teheran bestätigt iranische Medienberichte über Abschuß offiziell nicht

Von Knut Mellenthin *

Die von der NATO geführten internationalen Besatzungstruppen in Afghanistan (ISAF) haben am Sonntag den Verlust einer Aufklärungsdrohne bestätigt. Iranische Nachrichtenagenturen hatten zuvor den Abschuß eines unbemannten Flugkörpers vom Typ RQ-170 Sentinel gemeldet. Das Gerät sei kaum beschädigt geborgen worden. In der Stellungnahme der ISAF, die sich mit späteren Erklärungen des US-Militärs deckt, ist die Rede davon, daß es sich bei der angeblich abgeschossenen Maschine um eine unbewaffnete Aufklärungsdrohne handeln könne, die in der vergangenen Woche während eines Einsatzes über Westafghanistan außer Kontrolle geraten sei.

Die bisherigen Statements der ISAF und der USA enthalten keine Angabe über den Typ der Drohne. Falls es sich wirklich um eine RQ-170 gehandelt haben sollte, wäre den Iranern ein Glückstreffer gelungen: Die von Lockheed Martin produzierte Sentinel ist ein Stealth-Flugkörper, also weitgehend gegen die Entdeckung durch feindliche Radarsysteme geschützt. Die Washington Post kommentierte am Montag, daß deren Verlust »ein bedeutender Rückschlag für das US-Militär« wäre. Die Vereinigten Staaten hätten zwar auch schon früher Drohnen verloren, »aber eine nahezu intakte RQ-170 könnte möglicherweise den Iranern und ihren Verbündeten einen warmen Regen an nützlichen Erkenntnissen bieten«.

Es gab für die Abschußmeldungen bis Redaktionsschluß keine offizielle Bestätigung aus Teheran. Spiegel online zufolge weigerte sich Irans Außenminister Ali Akbar Salehi, der sich seit Sonntag zur Afghanistan-Konferenz in Deutschland aufhält, irgendeine Stellungnahme zur Sache abzugeben. Ausgangspunkt der Berichte war anscheinend eine Meldung des arabischsprachigen iranischen Senders Al-Alam, die dann umformuliert von den Agenturen des Landes weiterverbreitet wurde. Als einziger Informant wurde ein anonymer höherer Militärangehöriger genannt. Ihm wurden auch Äußerungen zugeschrieben, die in deutschen Mainstreammedien als »Vergeltungsdrohungen« wiedergegeben werden.

Was der Mann wirklich gesagt haben soll, ist unklar. Ganz sicher jedoch handelte es sich dabei um kein offizielles Statement. Das vermutlich präziseste Zitat lieferte am Sonntag der iranische englischsprachige Fernsehsender PressTV in seinem Onlinedienst. Danach kündigte der Unbekannte an, daß »aufgrund der eindeutigen Grenzverletzung die operativen und elektronischen Maßnahmen der iranischen Streitkräfte gegen eindringende Flugkörper nicht auf Irans Grenzen beschränkt bleiben werden«. Von irgendeiner Vergeltung kein Wort. Allerdings verkürzten andere iranische Medien das Zitat unzulässig. So formulierte beispielsweise die Agentur Mehr, daß Irans Antwort »nicht auf die Landesgrenzen beschränkt« sein werde.

Im Gegensatz zur westlichen Sprachregelung, die iranische Medien nur in »staatliche« und »halbstaatliche« zu unterteilen pflegt und diese Begriffe auch noch völlig austauschbar anwendet, arbeiten Irans Journalisten, soweit es nicht ums »Eingemachte« der herrschenden Elite und ihrer Ideologie geht, verblüffend frei: oft allerdings auch frei von professionellen Standards und politischem Verantwortungsbewußtsein. Schlimmstes Beispiel: Die berüchtigte Falschübersetzung einer Äußerung von Präsident Mahmud Ahmadinedschad, Israel müsse »von der Landkarte gefegt werden«, wurde zuerst von einer iranischen Nachrichtenagentur verbreitet, bevor sie im Westen dankbar aufgegriffen wurde. Sätze deutscher Medien wie etwa »Das Regime droht mit weiteren Schlägen außerhalb der Landesgrenzen« (Spiegel online) können sich allerdings nicht darauf berufen, die iranischen Meldungen wörtlich genommen oder mißverstanden zu haben. Denn von einer Stellungnahme der Teheraner Regierung war nirgendwo die Rede. Daher ist es eindeutig eine Lüge, wenn Springers Welt titelt: »Die Regierung in Teheran kündigt Vergeltung an«.

* Aus: junge Welt, 6. Dezember 2011


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