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Vor der Entscheidung

Das iranische Atomkraftwerk Buschehr soll am Sonnabend in Betrieb genommen werden. Jetzt droht ein israelischer "Präventivschlag"

Von Knut Mellenthin *

Der Countdown zur Inbetriebnahme des iranischen Atomkraftwerks bei Buschehr läuft. Am kommenden Sonnabend (21. Aug.) soll damit begonnen werden, die Brennstäbe in die Anlage zu bringen. Das teilten am Freitag (13. Aug.) übereinstimmend Sprecher der Atomenergiebehörden Rußlands und des Irans mit. Das Einbringen der Brennelemente, die bisher in einem Depot unter Kontrolle der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) aufbewahrt werden, bedeutet indessen noch nicht, daß das Kraftwerk sofort in Betrieb genommen werden kann. Der jetzt bekanntgegebene Zeitplan sieht vor, daß die Installation der 165 Brennstäbe im Reaktorkern bis zum 5. September abgeschlossen wird. Am 16. September soll der Reaktor aktiviert werden, erst dann würde die nukleare Reaktion beginnen. Die iranische Atomenergiebehörde hofft, daß die Anlage zwei bis drei Monate nach dem Start ungefähr 50 Prozent der angestrebten Stromkapazität erzeugen wird, teilte ihr Chef Ali Akbar Salehi am Sonnabend mit. Aus russischen Kreisen verlautet jedoch, daß Buschehr erst in etwa sechs Monaten ans Netz gehen werde.

Angesichts dieser Entwicklung könnte Israel nun versuchen, das Kraftwerk noch vor der Installation der Brennstäbe zu zerstören, da bei einem späteren Angriff mit einer erheblichen nuklearen Kontamination zu rechnen wäre. Die in den USA erscheinende neokonservative Zeitschrift Weekly Standard mahnte deshalb am Sonnabend (14. Aug.), die israelische Regierung müsse sich jetzt ganz schnell entscheiden. Aus Israel lag bis zum Sonntag (15. Aug.) noch keine offizielle Stellungnahme zur angekündigten Einbringung der Brennstäbe vor.

Der Bau des Atomkraftwerks war zunächst 1975 von der deutschen Kraftwerkunion, einem Tochterunternehmen des Siemens-Konzerns, begonnen, aber nach dem Sturz des Schah-Regimes 1979 abgebrochen worden. Seit die russische Atomstroiexport 1998 den Weiterbau übernahm, wurden die angekündigten Termine für die Fertigstellung immer wieder hinausgeschoben. Nach mehreren Verzögerungen war das Jahresende 2006 fest in Aussicht genommen worden. Dann hieß es plötzlich, der Reaktor werde im September 2007 gestartet und könne im November des gleichen Jahres in Betrieb genommen werden. Im März 2007 inszenierte Rußland die nächste Krise mit der Behauptung, Iran sei mit den Zahlungen im Rückstand. Im Juli 2008 hieß es dann, die Startvorbereitungen sollten im Herbst beginnen. Später kündigte Irans Außenminister Manuchehr Mottaki die Inbetriebnahme für die erste Jahreshälfte 2009 an. Es folgten eine weitere Verschiebung auf das Jahresende 2009 und dann eine russische Zusicherung, die Anlage bis zur zweiten Märzhälfte 2010 fertigzustellen. Vor diesem Hintergrund sind trotz der aktuellen Ankündigung erneute Verzögerungen nicht auszuschließen. Noch im März jedoch hatte Außenministerin Hillary Clinton bei einem Moskau-Besuch ihre Gastgeber bedrängt, die Fertigstellung des Kraftwerks zu verhindern, so lange Iran im Atomstreit nicht »einlenkt«.

Sprecher des US-Außenministeriums und des Weißen Hauses erklärten, mit der bevorstehenden Inbetriebnahme von Buschehr entfalle für den Iran jeder Grund, selbst Uran als Reaktorbrennstoff anzureichern. Ohnehin ist die Baugeschichte von Buschehr aus iranischer Sicht nicht gerade ermutigend, was die Vertragstreue und Zuverlässigkeit ausländischer Partner angeht.

* Aus: junge Welt, 16. August 2010


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