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"Die Iraner wollen Veränderung"

Präsidentschaftswahl macht Notwendigkeit innenpolitischer Korrekturen deutlich. Bevormundung durch reiche Länder ist nicht zu akzeptieren. Ein Gespräch mit Ali Reza Sheikh Attar *

Seine Exzellenz Ali Reza Sheikh Attar ist Botschafter der Islamischen Republik Iran in Berlin.



Präsident Mahmud Ahmadinedschad kündigte am Dienstag im iranischen Staatsfernsehen eine »neue Ära der Kooperation« in der Innen- und Außenpolitik an. Welche Veränderungen bahnen sich an?

Das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen vom 12. Juni hat enorme Bedeutung für uns. 85 Prozent der Bevölkerung, das heißt 40 Millionen von 46 Millionen Wahlberechtigten, gingen an die Urne. Das ist nicht nur Weltrekord, sondern auch iranischer Rekord. Das Volk hat damit das System, das sich in den dreißig Jahren nach der Islamischen Revolution ungeachtet aller Schwierigkeiten entwickelte, bestätigt. Mit solcherart Sicherheit und Rückendeckung werden wir unsere Arbeit in der Innen- und Außenpolitik fortsetzen. Außenpolitisch bedeutet das, den Iran, der in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Geschichte ein großes Potential hat, in der Geopolitik eine bedeutende Rolle spielt, zur ersten Macht in der Region zu führen.

Die Wahl hat aber auch gezeigt, daß die Menschen Veränderung wollen. Ein nicht unbedeutender Teil der Iraner hatte sich schließlich für den Präsidentschaftskandidaten Mirhossein Mussawi entschieden. Daher wird sich innenpolitisch einiges im Management der Politik verändern müssen.

Diesbezüglich kündigte Präsident Ahmadinedschad eine Kabinettsumbildung an. Welche Minister wird das betreffen?

Zuvörderst geht es um Gerechtigkeit für die Armen. Minister, die die Wünsche der ärmeren Schichten der Bevölkerung nicht erfüllten, müssen ihren Hut nehmen. Der Präsident beteuerte aber auch, er wolle »Präsident aller« sein. Daher will er auch die Forderungen der Opposition erfüllen. Alle Menschen sollten entsprechend ihrer Fähigkeiten und Qualifikation gerecht behandelt werden; eine Forderung mit durchaus islamischer Färbung. Die Botschaft »Öl auf die Eßtische« hat von ihrer Symbolik nichts verloren, denn der Präsident wird seinen Kampf gegen das Lager in der iranischen Gesellschaft fortführen, das sich durch Vetternwirtschaft und Korruption enorm bereichert hatte und weiter bereichert.

Auch in der Außenpolitik wird es uns zunehmend um Gerechtigkeit gehen. Es gibt einige Länder, die über mehr Macht und Geld verfügen und sich daher herausnehmen, über das Schicksal anderer Völker zu entscheiden. Das ist nicht mehr zu akzeptieren.

Die iranische Opposition, wenn man sie als solche bezeichnen kann, möchte die Diskriminierung der Frauen überwinden.

Frauen spielten schon immer eine entscheidende Rolle in der Gesellschaft. Diskriminierung heißt zum Beispiel, daß die Frauen in einigen mit den USA liierten arabischen Ländern noch nicht einmal Auto fahren dürfen. Wo ist der Aufschrei? Natürlich fallen in unserer Gesellschaft die Rechte der Frauen mit islamischen Geboten, die unserer Lebensform zugrunde liegen, zusammen. Doch war unsere Religion die erste der Welt, die der Frau überhaupt wirtschaftliche Unabhängigkeit zuerkannt hatte. Wo stand da Europa vor einhundert Jahren?

Mahmud Ahmadinedschad bezeichnete die Präsidentenwahl vom 12. Juni 2009 beim genannten TV-Auftritt als »freieste Wahl der Welt«. Große Teile des Westens, die iranische Opposition und Exilanten sehen das völlig anders.

Es gab 50000 Wahlurnen im Land. In jedem Wahlbüro, meist Schulen oder Moscheen, verfolgten sieben vor Ort ausgesuchte Personen, die keiner bestimmten Partei oder Strömung angehörten, den Urnengang. Jeder Präsidentschaftskandidat stellte ebenfalls einen Beobachter. Nach Schließung der Wahllokale zählten alle genannten Personen, einschließlich der Vertreter der Kandidaten, die Stimmen. Sie zeichneten fünf Dokumente ab, die das Ergebnis der Abstimmung enthielten. Unmöglich, daß sich sieben voneinander unabhängige Personen verschwören, um schon vor Ort, an jeder Box, einen Wahlbetrug zu begehen. Das ist absurd.

Die Opposition wirft der Regierung trotz allem noch immer massive Wahlmanipulation vor. Wie soll diese Kritik aus der Welt geschafft werden?

Das Ergebnis der Wahlen in Iran ist korrekt! Es ist doch nicht neu auf der Welt, daß der unterlegene Kandidat seine Unzufriedenheit über den Wahlausgang bekundet. Der US-Demokrat Al Gore hat zum Beispiel das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahl aus dem Jahr 2000, in der er über eine halbe Million Stimmen mehr auf sich vereinen konnte als George W. Bush, nie anerkannt. Oder schauen wir nach Mexiko. Dort wurde Felipe Calderón bei der Präsidentschaftswahl 2006 gegen den Linkskandidaten Manuel López Obrador zum Sieger erklärt. Obrador bestreitet das Wahlergebnis, mobilisierte über Wochen in Mexiko-City seine Anhänger, die sogar in Zeltstädten wohnten. Er rief sogar eine Gegenregierung aus. Es ist doch wie beim Fußballspiel: Die kämpfenden Mannschaften haben die Entscheidungen des Referees zu akzeptieren.

Trotzdem fordert die Opposition Neuwahlen.

Die Regierung richtete aufgrund dieser Forderung ein unabhängiges Gremium ein, das einen geeigneten Mechanismus zur Klärung suchte und fand: Es wurden zehn Prozent aller Stimmen nach dem Zufallsprinzip vor laufenden TV-Kameras – die iranische Öffentlichkeit nahm also an der Überprüfung teil – neu ausgezählt. Jegliche Manipulationsmöglichkeit war ausgeschlossen. Und erzielt wurde kein anderes Ergebnis als das vom Wahltag, vom 12. Juni. Jüngst hat die Regierung sogar noch die Fristen für weitere Proteste und Klagen verlängert. Außerdem wurden Kommissionen, die sich aus Freiwilligen oder einfach nur interessierten Bürgern rekrutieren, eingerichtet, die weitere Klagen und Beschwerden bearbeiten.

Präsident Ahmadinedschad warf den westlichen Regierungen »Einmischung« in die iranische Wahl vor und avisierte, in Zukunft entschiedener denn je international aufzutreten. Die größten Vorwürfe wurden gegen London erhoben. Können Sie das konkretisieren?

Unser Land machte mit den Großmächten Großbritannien, Rußland, den USA in den vergangenen hundert Jahren keine guten Erfahrungen. Der Stachel sitzt tief, und die Sensibilität für jede Art von Einmischung von außen wird eher stärker. Der britische Regierungssender BBC zum Beispiel richtete exakt acht Monate vor der Präsidentschaftswahl einen persischsprachigen Sender ein, dessen Programm nur einen Schwerpunkt kannte: die Wahlen. Sofort nach den Wahlen agierte er kaum mehr als Radiosender, sondern als eine Art Headquarter für zivilen Ungehorsam, das dann verbreitete, wo sich die Menschen versammeln sollen, was sie zu tun und unterlassen haben, wie sie sich verhalten sollen. Auch das persische Programm des US-Senders Voice of America – der aus den Töpfen des US-Haushaltes gespeist wird, die zum »Sturz des Regimes in Iran« vorgesehen sind – brachte vor den Wahlen sehr selektive Beiträge, die sich hauptsächlich mit den Möglichkeiten des »Regimewechsels« in Teheran befaßten.

Die Botschafter Schwedens, Tschechiens und Spaniens überreichten im Auftrag der EU dem Teheraner Außenministerium ein Schreiben, in dem die sofortige Freilassung des inhaftierten iranischen Beschäftigten aus der britischen Botschaft gefordert wird. Sollte das nicht geschehen, werde die EU »weitere Schritte einleiten« ...

Neun Briten waren in Haft. Acht wurden wieder auf freien Fuß gesetzt, da sie eine kleinere Rolle als Informanten für die britische Botschaft spielten. Wohlgemerkt: Wir haben die Freilassung veranlaßt, da gab es keinen Druck seitens der EU. Die noch inhaftierte Person wird momentan zu dem Vorwurf verhört, illegal Filmmaterial besorgt und der britischen Botschaft zur Verfügung gestellt zu haben. Ihr zur Seite steht einer der besten Anwälte des Landes. Stellt sich heraus, daß die Person gegen unsere Gesetze verstoßen hat, droht ihr eine Strafe. Drohgebärden seitens der EU verkomplizieren die Angelegenheit lediglich; sie nützen gar nichts.

Bilder von verprügelten, blutenden und sterbenden Teheraner Demonstranten gingen um die Welt. Für die westlichen Medien war es das Werk bewaffneter Kommandoeinheiten der Basidschi, die mit Knüppeln und Eisenketten auf Motorrädern Protestierende jagten. Waren die regierungstreuen Religionswächter außer Rand und Band?

Unabhängig davon, daß das Volk in Deutschland, Großbritannien, USA und in anderen demokratischen Ländern bei Demonstrationen niedergeknüppelt wird: Sowohl die Anhänger des Präsidenten Ahmadinedschad als auch die des Kandidaten Mussawi demonstrierten anfangs relativ friedlich. Doch es mischten sich zunehmend Unruhestifter dazwischen, die dafür sorgten – darüber berichtet hierzulande keiner –, daß acht Polizisten zu Tode kamen, über vierhundert verletzt wurden, daß einhundert Bankfilialen in Brand gesetzt wurden, daß unschuldige Menschen, Geschäftsleute verletzt wurden, daß es zu Toten kam, Sprengstoffanschläge auf das Mausoleum von Revolutionsführer Khomeini und Tankstellen verübt wurden. Die Sicherheitskräfte haben einen Trupp Randalierer verhaftet, der sich, bekleidet mit Polizei- oder Basidschi-Uniformen, unter die Demonstranten mischte und die Unruhen anheizte. Mirhossein Mussawi hatte sich von diesen Gewalttätern distanziert.

Eine weitere und nicht unwesentliche Rolle in den Unruhen spielten Terroristen der Volksmudschaheddin, eine terroristische Vereinigung, die seit Jahren vom Irak aus gegen uns agiert, von den USA finanziert wird und auf Druck Großbritanniens von der EU-Terrorliste gestrichen wurde. Ihre Agenten sind für blutige Terroranschläge im Iran vor und nach den Wahlen sowie für die Brutalisierung der Proteste mitverantwortlich.

Abschließend: Erwartet der Iran einen militärischen Angriff des Staates Israel?

Wer oder was ist Israel, das es wagt, sich in die Angelegenheiten anderer Länder einzumischen? Für meinen Teil: Ich wäre nicht abgeneigt, wenn sie es versuchen würden. Es wartet eine bittere Pille auf die Israelis, die sie dann schlucken können. Offenbar haben sie vergessen, wie ihnen im Sommer 2006 keine Armee, sondern lediglich eine paramilitärische Einheit den Hintern im Libanon versohlt hat.

Interview: Jürgen Cain Külbel

* Aus: junge Welt, 11. Juli 2009

Mor fordert mehr Druck auf den Iran

Israels scheidender Gesandter in Deutschland, Ilan Mor, hat sich im Interview mit dem Deutschlandfunk zu den aktuellen Entwicklungen im Iran und der Situation im Nahen Osten geäußert.

„Ich glaube, was wir heute in den Straßen von Teheran sehen ist erst mal zu bewundern und zweitens natürlich auch zu begrüßen. Es ist eine Gesellschaft, die nicht mehr unter Druck leben möchte, und sie sagen das mit unmissverständlichen Worten. Aber das Problem ist, dass der Ahmadinedschad und seine Komplizen weiter an der Macht bleiben und sie bestimmen die Realität, sie treffen die Entscheidungen, und die Entscheidung ist, so lange es keine andere Entscheidung gibt, mit dem Atomprogramm weiterzumachen.”

„Sie versuchen immer wieder, den schwarzen Peter irgendwo anders hinzuschieben, und zu sagen, dass der Iran unter Druck ist, die Amerikaner möchten Iran so weiter bedrohen, angreifen und so weiter, ich sehe keine sofortigen Gründe dafür. Ich glaube, egal was die Regierung in Teheran sagt, gibt es eine Reihe von offenen Fragen, was das Atomprogramm anbelangt, und diese Fragen müssen beantwortet werden, egal ob die Gesellschaft - und ich glaube fest daran, dass auch die Gesellschaft das Atomprogramm unterstützt -, egal was dort im Iran passiert. Bis dahin müssen wir weiter den politischen, den wirtschaftlichen und den finanziellen Druck auf den Iran verstärken. Das ist ein Gebot der Stunde.”

Am Ende des Gesprächs erzählt Mor von seinen Erfahrungen in und mit Deutschland als israelischer Gesandter:

„Es war das zweite Mal, dass ich in Deutschland war. Das erste Mal war in Bonn, das zweite Mal ist in Berlin seit 2004. Ich gehe nach Israel zurück mit einer gewissen Zufriedenheit, indem ich eine andere Gesellschaft neu entdeckt habe. Nach 20 Jahren Wiedervereinigung ist Deutschland selbstbewusster geworden. Deutschland ist selbstsicherer geworden, auch in der Weltpolitik, in der internationalen Politik. Deutschland ist mehr mit Europa verbunden. Ich glaube, diese zwei Elemente, ganz zu schweigen, dass die Gesellschaft sich verändert hat, auch was Israel anbelangt, es gibt mehr Kritik, es gibt weniger Verständnis für Israel, aber im Grunde genommen bleiben die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel stabil, umfangreich und einzigartig. Die Tatsache, dass diese Einzigartigkeit unantastbar geblieben ist, ist für mich auch ein Grund, zufrieden zu sein.“

Auf die Frage, wann er wiederkomme, entgegnet der Diplomat:

„Das hat mit der Personalabteilung des Ministeriums in Jerusalem zu tun. Erst mal kehre ich nach Israel zurück, werde ich dort zwei Jahre als Minimum leben, in der Zentrale arbeiten. Ich werde weiter Deutschland verfolgen. Wir erwarten uns alle auch in Israel in Bezug auf Deutschland spannende Zeiten. Die Wahlen in Deutschland am 27. September sind auch für uns interessant. Aber ich gehe davon aus, eines Tages werde ich zum dritten Mal nach Deutschland zurückkehren dürfen. Es ist für mich als israelischer Diplomat sehr wichtig. In diesem Sinne sage ich nicht tschüß, sondern auf Wiedersehen, auf Hebräisch lehitraot.”

(Deutschlandfunk, 03.07.09)
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/993228/

Auszug aus dem Interview wurde verbreitet vom Newsletter der israelischen Botschaft in Berlin, 3. Juli 2009




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