"Iranische Flüchtlingsgruppe wird zum Spielball diplomatischer Taktik"
Internationale Liga für Menschenrechte hält Welle von Widerrufsverfahren gegen Asylberechtigte für einen Skandal
Im Folgenden dokumentieren wir eine Presseerklärung der Internationalen Liga für Menschenrechte, worin sie sich für das Bleiberecht für iranische Oppositionelle in Deutschland einsetzt.
Pressemitteilung der Internationalen Liga für Menschenrechte
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
Berlin/Bremen, 26. Januar 2005
Internationale Liga für Menschenrechte hält Welle von Widerrufsverfahren
gegen Asylberechtigte für einen Skandal
Liga-Präsident Dr. Rolf Gössner: „Der massenhafte Widerruf von
Asylberechtigungen verstößt gegen völkerrechtliche Standards und gefährdet
Flüchtlinge. Von der humanitären Intention des Asylrechts ist nicht mehr
viel übrig geblieben.“
Die Internationale Liga für Menschenrechte beobachtet mit Sorge die
gegenwärtige Praxis des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge, vermehrt Asylanerkennungen zu widerrufen. Damit revidiert das
Amt seine eigenen Beschlüsse, mit denen es vor Jahren politische
Flüchtlinge wegen Verfolgungsgefahr als asylberechtigt anerkannt hatte.
„Diese Behörde betätigt sich zunehmend als Amt für die Aberkennung von
Asylberechtigungen“, sagte heute Liga-Präsident Rolf Gössner in Berlin.
Während 1998 knappe 700 Widerrufsverfahren bundesweit durchgeführt worden
waren, sind es im Jahr 2004 mehr als 17.000 Verfahren. Betroffen sind
insbesondere Asylberechtigte aus dem Kosovo, dem Irak und Afghanistan, aus
der Türkei sowie aus dem Iran.
Diese Widerrufsverfahren werden nach Erkenntnissen der Liga oftmals ohne
ernsthafte individuelle Überprüfung des Einzelfalls und jenseits
völkerrechtlicher Standards durchgeführt. Dabei werden die Kriterien der
Genfer Flüchtlingskonvention weitgehend ignoriert, die einen Widerruf der
Flüchtlingseigenschaft nur unter engen Voraussetzungen zulässt: Danach
müssen sich die objektiven Verhältnisse und die Menschenrechtssituation in
den jeweiligen Herkunftsländern grundlegend und dauerhaft geändert haben,
die ursprüngliche Verfolgungsgefahr muss weggefallen und ein wirksamer
staatlicher Menschenrechtschutz gewährleistet sein (Art. 1 C [5] 2). Davon
könne jedoch in den genannten Ländern, insbesondere im Irak und im Iran,
objektiv nicht die Rede sein, sagte Gössner.
Der Entzug des Asylstatus’ beschädige die soziale Existenz der Betroffenen
und schwäche ihren Schutz vor Auslieferung an Verfolgerstaaten, wo sie der
Gefahr von Folter, Misshandlung und Mord ausgesetzt wären.
„Abschiebungsreife auf Vorrat herstellen“, so heißt diese Aushöhlung des
Asyls im Bürokraten-Deutsch, die die Betroffenen in große Unsicherheit,
vielfach in Angst und Verzweiflung stürzt.
Viele Widerrufsverfahren werden auf die „Anti-Terror-Gesetze“ gestützt, mit
denen die Anerkennung von Asylbewerbern erschwert sowie Ausweisungen
erleichtert worden sind. Das Asyl- und Ausländerrecht ist damit unter
„Terrorismusvorbehalt“ gestellt worden. Zusätzlich werden die Verfahren auf
die sog. Terrorliste der EU gestützt, deren Zusammensetzung keiner
demokratischen Kontrolle unterliegt. Hier sind Einzelpersonen und
Organisationen aufgelistet, die als „terroristisch“ gelten – unter anderen
die kurdische Arbeiterpartei und ihre Nachfolgeorganisation sowie die
iranische Widerstandsgruppe der Volksmudjahedin. Deren Einstufung erfolgte,
obwohl sich die Volksmudjahedin europaweit und in der Bundesrepublik
weitgehend friedlich und legal verhalten, vom Generalbundesanwalt mangels
eines Anfangsverdachts weder als „terroristische“ noch als „kriminelle
Vereinigung“ eingestuft werden (Az. 121 Js 579/97; 1998) und nicht verboten
sind. Selbst die etwa 4.000 im Irak lebenden Volksmudjahedin, die
ursprünglich von dort aus das iranische Regime bekämpft hatten, sind 2004
als schutzwürdige Gruppe bzw. Personen nach der Genfer Konvention anerkannt
worden.
Die Anhänger der Volksmudjahedin wurden in der Vergangenheit wegen ihrer
grausamen Verfolgung im Iran als Asylberechtigte anerkannt. Nun werden sie
immer häufiger mit dem Widerruf ihrer Anerkennung konfrontiert, weil sie
inzwischen hierzulande als „Sicherheitsrisiko“ gelten. Auf die
EU-„Terrorliste“ gelangten sie ausgerechnet auf Druck des iranischen
Regimes, das von der UNO wegen massiver Menschenrechtsverletzungen
verurteilt worden ist. Rolf Gössner: „Die Volksmudjahedin sind Objekt eines
skandalösen Handels zwischen der EU und dem Iran geworden – also auf Kosten
iranischer Oppositioneller, wie immer man zu ihnen und ihren Aktivitäten im
Iran stehen mag“: Um mit dem Iran weitreichende Handelsbeziehungen
aufzubauen und das Mullah-Regime zum Verzicht auf ein eigenständiges
Atomprogramm zu bewegen, haben England, Frankreich und Deutschland im
Gegenzug angeboten, die Volksmudjahedin weiterhin als „Terroristische
Organisation“ in der EU-„Terrorliste“ zu führen – mit dem Effekt, dass sich
die iranischen Herrscher ermuntert fühlen, noch härter und skrupelloser
gegen Oppositionelle vorzugehen. Und bislang anerkannte Asylberechtigte
müssen fürchten, schon wegen dieser Einstufung ihren Asylstatus hierzulande
zu verlieren und möglicherweise ausgeliefert zu werden. Nach Einschätzung
des Auswärtigen Amtes führe im Iran bereits die bloße Mitgliedschaft bei
den Volksmudjahedin zu menschenrechtswidrigen Verfolgungsmaßnahmen. Auch
Anhänger und Sympathisanten sind vor solcher Verfolgung nicht gefeit.
„Während die US-Regierung inzwischen unverhohlen droht, gegen den Iran
militärisch zu intervenieren“, so Liga-Präsident Gössner, „betreiben Europa
und Deutschland eher einen ökonomisch motivierten ‚Schmusekurs’ – auf
Kosten iranischer Flüchtlinge und ihrer Sicherheit.“
Die Internationale Liga für Menschenrechte fordert die Bundesregierung auf,
darauf hinzuwirken,
-
dass innerhalb der EU und in der Bundesrepublik keine Flüchtlingsgruppe
zum Spielball diplomatischer Taktik und ökonomischen Geschachers wird – wie
das im Fall der Volksmudjahedin gegenüber dem menschenverachtenden
Mullah-Regime des Iran ge-schehen ist;
-
dass die auf rein politisch-exekutiver, nicht auf rechtlich-legislativer
Entscheidung beruhende EU-„Terrorliste“ unverzüglich revidiert wird, weil
ihre Folgewirkungen gravierend sind und zu massiven
Menschenrechtsverletzungen führen können;
-
dass alle Asyl-Widerrufsverfahren eingestellt oder revidiert werden, die
unter Berufung auf diese „Terrorliste“ mit dem Ziel eingeleitet worden sind,
die Asyl- oder Aufenthaltsberechtigung aufzuheben;
-
dass niemand in Auslieferungshaft gerät, bevor sein Verfahren
rechtskräftig abgeschlossen ist und dass niemand an einen Verfolgerstaat
ausgeliefert wird, weil damit gegen Verfassung, Europäische
Menschenrechtskonvention und Genfer Flüchtlingskonventionen verstoßen würde.
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