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Iran: Chronik wichtiger Ereignisse

Juli 2005

Freitag, 1. Juli, bis Sonntag, 10. Juli
  • Der Iran hat empört Vorwürfe aus den USA zurückgewiesen, wonach der neu gewählte Präsident Mahmud Ahmadinedschad in die Geiselnahme von US-Bürgern vor rund 25 Jahren verwickelt gewesen sein soll. Washington habe in der Angelegenheit "einen Propagandakrieg" begonnen, sagte ein Vertrauter Ahmadinedschads am 2. Juli in Teheran der studentischen Nachrichtenagentur Isna.
  • Der Streit um das iranische Atomprogramm wird nach Angaben des Kreml eines der Hauptthemen beim Treffen des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und dem französischen Präsidenten Jacques Chirac am 3. Juli sein. Bei den Gesprächen am Rande der 750-Jahr-Feier von Kaliningrad, dem früheren Königsberg, gehe es um die Frage, wie die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen verhindert werden könne, sagte ein Kreml-Vertreter, der nicht genannt werden wollte, am 2. Juli in Moskau. In diesem Zusammenhang gehe es vor allem um das iranische Atomprogramm.
  • Die iranische Atompolitik soll sich unter einer neuen Regierung ändern. Ein neuer Ansatz für die Verhandlungen mit der Europäischen Union sei vorrangig, erklärte ein enger Mitarbeiter des neu gewählten Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad am 3. Juli. Berichte, dass der gemäßigte Chefunterhändler für das umstrittene Atomprogramm des Landes von seinem Amt zurückgetreten sei, wurden aber offiziell dementiert. Die EU versucht, Iran von der Urananreicherung abzubringen, die auch zum Bau von Atombomben benutzt werden könnte.
  • Kurz vor dem Besuch des irakischen Regierungschefs Ibrahim al-Dschafari in Iran haben Aufständische offenbar einen Anschlag auf die iranische Botschaft in Bagdad verübt. Der Nachrichtensender Al-Arabija berichtete am 5. Juli von einer Explosion an der Botschaft. Nach einem Bericht der iranischen Nachrichtenagentur IRNA dürfte der Besuch Al-Dschafaris einen "Wendepunkt" in den Beziehungen zwischen beiden Ländern markieren.
  • Die Europäer wollen nach den Worten des französischen Außenministers Philippe Douste-Blazy dem Iran unter keinen Umständen eine Wiederaufnahme seines militärischen Atomprogramms erlauben. Die Europäische Union werde eine Wiederaufnahme des Atomprogramms "niemals hinnehmen", sagte Douste-Blazy am 5. Juli nach einem Treffen mit seiner US-Kollegin Condoleezza Rice in Washington. Das im November vergangenen Jahres mit dem Iran geschlossene Abkommen von Paris spreche eindeutig von einer Aussetzung des Programms.
  • In Teheran hat es am 6. Juli widersprüchliche Angaben über einen angeblichen Rücktritt des iranischen Atombeauftragten Hassan Ruhani gegeben. Die staatliche Nachrichtenagentur Irna berichtete ohne genauere Nennung einer Quelle, Ruhani habe bei Staatschef Mohammed Chatami seinen Rücktritt von der Leitung des Obersten Rates für nationale Sicherheit eingereicht. Der Sprecher des Rates, Ali Agha Mohammadi, nannte die Meldung hingegen "völlig falsch". Ein Rücktritt zum jetzigen Zeitpunkt würde keinen Sinn ergeben. Im übrigen habe sich Ruhani am Mittwoch noch mit dem neu gewählten iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad getroffen, fügte Mohammadi hinzu.
  • Ein Vierteljahrhundert nach dem Beginn des Iran-Irak-Kriegs hat sich die Regierung in Bagdad bei Teheran für die Taten des damaligen Staatschefs Saddam Hussein entschuldigt. "Ich will hier um Verzeihung bitten für das, was Saddam Hussein getan hat", sagte der irakische Verteidigungsminister Saadun el Dulaimi am 7. Juli bei einem Treffen mit seinem iranischen Kollegen Ali Schamchami in Teheran. "Wir müssen das gleiche mit Kuwait machen und mit allen Opfern von Saddam Hussein", fügte er hinzu.
  • Die Urheber des terroristischen Angriffs vom 7. Juli in London haben nach den Worten des ultrakonservativen Ajatollah Emami Kaschani nichts mit dem Islam zu tun. "Diese Barbaren haben weder etwas mit dem Islam zu tun, noch mit Menschlichkeit", sagte Kaschani während des Freitagsgebets am 8. Juli in der iranischen Hauptstadt Teheran. Der Ajatollah lobte den britischen Premier Tony Blair, dass er zwischen dem Islam und radikalen Islamisten unterschieden habe. Trotzdem, so Kaschani, müsse er daran erinnern, dass das Netz der Al Kaida-Terroristen auch durch die Aktivitäten der Vereinigten Staaten und Israel erzeugt worden sei. "Ich habe auch US-Präsident George W. Bush gefragt, was er wirklich erreicht hat bei seinem fast vier Jahre dauernden Krieg gegen den Terrorismus, wenn es immer noch solche barbarischen Akte gibt", sagte der Ajatollah. Es werde kein Ende des Schreckens geben, ohne dass der Westen seine Politik im Nahen Osten und an der Golfregion drastisch ändere.
Montag, 11. Juli, bis Sonntag, 17. Juli
  • Der Iran will in Kürze wieder mit der Anreicherung von Uran beginnen. Teheran werde in den Verhandlungen über das Atomprogramm jeden Vorschlag aus Europa zurückweisen, der das Recht zur Urananreicherung ausklammere, sagten iranische Unterhändler am 12. Juli der konservativen Zeitung "Kayhan". "Die Europäer müssen ihre Zusagen einhalten", sagte Hussein Mussawian. Ansonsten werde der Iran die Verhandlungen abbrechen. Unter dem neuen ultrakonservativen Präsidenten, Mahmud Ahmadinedschad, bleibe diese Einstellung unverändert, bekräftigte der Chefunterhändler Cyrus Nasseri. Er hoffe, dass die Aussetzung des Urananreicherung bald beendet sei.
  • Die Wiederaufnahme des Dialogs zwischen dem Iran und den USA ist nach Einschätzung des scheidenden iranischen Präsidenten Mohammed Chatami weiter entfernt als vor einigen Jahren. Washington müsse den ersten Schritt machen, sagte Chatami am 14. Juli dem Satelliten-Fernsehsender El Arabija. Doch die Aussicht darauf sei angesichts der in den USA regierenden Neo-Konservativen leider schlecht. Deren maßlose Äußerungen hätten die Lage "vollkommen verschlechtert". Während Chatamis Präsidentschaft hatte US-Präsident George W. Bush den Iran zusammen mit anderen "Schurkenstaaten" auf der "Achse des Bösen" angeordnet und der Entwicklung von Atomwaffen bezichtigt.
  • Der iranische Innenminister Abdolwahed Mussawi-Lari hat sich bereit erklärt, in zwei Provinzen die bei der Präsidentschaftswahl abgegebenen Stimmzettel neu auszählen zu lassen. In den Provinzen Teheran und Isfahan könnten die Stimmen erneut gezählt werden, um "jeden Zweifel" an der Rechtmäßigkeit der Abstimmung auszuschließen, erklärte Mussawi-Lari laut der Nachrichtenagentur Irna am 15. Juli in einem Schreiben an den scheidenden Staatspräsidenten Mohammed Chatami.
  • Zum Auftakt seines historischen Besuchs im Nachbarland Iran hat der irakische Ministerpräsident Ibrahim Dschaafari zur Beilegung aller bilateralen Differenzen aufgerufen. "Ob wir es mögen oder nicht, wir sind Nachbarn und wir sollten in der Lage sein, unsere Meinungsverschiedenheiten zum Vorteil beider Seiten zu lösen", sagte Dschaafari am 16. Juli in Teheran. Der irakischen Regierung seien die Beziehungen zum Iran "sehr wichtig", betonte der schiitische Regierungschef nach einem Empfang mit militärischen Ehren.
    Die iranische Regierung hat einem Austausch von Geheimdienstinformationen zum Nutzen der Sicherheit in der Region zugestimmt. Beide Länder hätten die Bildung einer gemeinsamen Sicherheits-Arbeitsgruppe vereinbart, deren Ziel die Schaffung eines Mechanismus zum Austausch nachrichtendienstlicher Informationen sei, sagte der irakische Außenminister Hoschjar Sebari am 17. Juli in Teheran. Dies solle das Vorgehen gegen illegale Grenzübertritte und die Wahrung der regionalen Stabilität erleichtern. Die iranische Seite habe sich "sehr kooperativ" verhalten und große Bereitschaft zu der gemeinsamen Arbeitsgruppe gezeigt, hob Sebari hervor.
  • Im Streit um das iranische Atomprogramm sind die europäischen Verhandlungsführer nach iranischen Angaben unter Umständen zur Hilfe beim Aufbau eines Reaktors und der Lieferung von Brennstoff bereit. Ein bis August angekündigter Vorschlag Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens könne eine solche Initiative beinhalten, sagte der iranische Unterhändler Hossein Mussawian am 17. Juli der iranischen Nachrichtenagentur Irna. Darüberhinaus könnten die Europäer auch eine mehrmonatige Verzögerung beim Verweis der Angelegenheit an den UN-Sicherheitsrat anbieten, fügte Mussawian hinzu.
Montag, 18. Juli, bis Sonntag, 24. Juli
  • Nach mehr als fünf Wochen im Hungerstreik ist der iranische Oppositionelle Akbar Gandschi stark geschwächt in ein Krankenhaus in Teheran eingeliefert worden. Wie die Ehefrau des regierungskritischen Journalisten, Massumeh Schafije, am 18. Juli sagte, wurde Gandschi am Sonntagnachmittag in das Krankenhaus Milad in der iranischen Hauptstadt gebracht. Sie habe ihren Mann bislang nicht besuchen können, da sie keine Genehmingung des Staatsanwaltes habe. Deshalb wisse sie auch nicht, wie es um ihn stehe. Die Ärzte hätten ihr gesagt, er sei sehr schwach, sagte Schafije.
  • Die USA haben zurückhaltend auf die am 17. Juli vereinbarte Vertiefung der iranisch-irakischen Zusammenarbeit reagiert. "Wir haben immer gesagt, dass wir den Irak zu gutnachbarschaftlichen Beziehungen ermutigen", sagte der Außenamtssprecher Sean McCormack am 18. Juli in Washington. Allerdings könnte der Iran "eine nützlichere Rolle" im Nachbarland spielen, fügte der Sprecher hinzu. Er bezog sich vor allem auf "bestimmte Individuen", welche die iranisch-irakische Grenze überquerten. Washington sehe in dieser Hinsicht aber mit größerer Sorge nach Syrien als nach Iran.
  • Die Nachbarländer Iran und Irak haben sich auf einen Handelsaustausch im Ölsektor verständigt. Der iranische Ölminister Bidschan Namdar Sanganeh und sein irakischer Kollege Ibrahim Bahr el Ulum unterzeichneten am 19. Juli nach Angaben Teherans eine entsprechende Absichtserklärung. Diese sieht vor, dass Bagdad Rohöl an den Iran liefert und im Gegenzug raffinierte Erdölprodukte aus dem Nachbarland importiert. Damit soll dem Mangel an Benzin und anderen Erdölprodukten im Irak entgegengewirkt werden.
  • Die Kritik von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) an den politischen Entwicklungen im Iran hat einen diplomatischen Schlagabtausch zwischen Berlin und Teheran ausgelöst. Das Bundesinnenministerium wies die Kritik aus Teheran an Schily in ungewöhnlich scharfer Form zurück. Es sei eine "unglaubliche Unverschämtheit", wenn der Sprecher des iranischen Außenministeriums "meint, Herrn Schily anhalten zu müssen, er solle die demokratischen Grundsätze respektieren", sagte Schilys Sprecher Rainer Lingenthal am 20. Juli in Berlin. Das iranische Außenministerium hatte die Aussagen Schilys in einem Interview mit dem "Spiegel" vom 19. Juli kritisiert, in dem der Bundesinnenminister unter anderem den neuen Staatschef Mahmud Ahmadinedschad als Fundamentalisten bezeichnet: "Wenn wir jetzt hören, dass Iran und der Irak enger kooperieren wollen und in Teheran gleichzeitig ein Fundamentalist an die Macht kommt, bei dem nicht sicher ist, dass er absolute Distanz zum Terrorismus hält, sind das alles sehr Besorgnis erregende Perspektiven."
    Schilys Sprecher nannte die Kritik aus Teheran "unverfroren": "Eine solche Stimme aus einem Land, in dem die Menschenrechte ständig verletzt werden, in dem Frauen nach dubiosen Urteilen ausgepeitscht werden, in dem Regimekritiker ohne Möglichkeit auf juristischen Beistand und auf gerichtlich sachgerechte Überprüfung monatelang in Einzelhaft genommen werden, ist an Unverfrorenheit kaum noch zu überbieten."
  • Die iranische Regierung hat in einem internen Bericht offiziell die Folterung von Gefangenen und Menschenrechtsverletzungen im Strafvollzug eingestanden. Häftlinge seien über längere Zeit ohne Prozess festgehalten worden und Geständnisse unter Druck zustande gekommen, sagte der ranghohe Justizbeamte Abbas Ali Alisadeh der studentischen Nachrichtenagentur Isna am 24. Juli unter Bezugnahme auf den Bericht des Justizministeriums. "Wir haben Maßnahmen ergriffen und können stolz feststellen, dass diese Unzulänglichkeiten nun verschwunden sind", betonte Alisadeh. Die iranischen Gefängnisse gehörten inzwischen "zu den besten der Welt". (AFP)
Montag, 25. Juli, bis Sonntag, 31. Juli
  • Der Iran will unabhängig vom Ausgang der Atomverhandlungen mit der EU die sensible Uran-Konversion im zentraliranischen Isfahan wieder aufnehmen. Der scheidende Präsident Mohammed Chatami sagte am 27. Juli in Teheran, die Verhandlungsvorschläge der Europäer berücksichtigten "hoffentlich wie vereinbart" die Produktion in Isfahan. "Aber ob das nun enthalten ist oder nicht: Wir werden in Isfahan wieder tätig werden", sagte Chatami. Einen Termin dafür nannte er nicht. In den bisherigen Atomverhandlungen hieß es, die Uran-Konversion solle bis Ende Juli oder Anfang August ausgesetzt bleiben.
  • Frankreichs Präsident Jacques Chirac ist für eine Einschaltung des UN-Sicherheitsrates, sollte Iran bei seinem umstrittenen Atomprogramm nicht einlenken. Ziel sei es, von Teheran "handfeste Garantien" für eine Einstellung der Urananreicherung zu erhalten, sagte Chirac am 27. Juli in Paris im Gespräch mit Israels Premier Ariel Scharon. Zuvor hatte der scheidende iranische Präsident Mohammed Chatami erklärt, Teheran werde unabhängig von dem Angebot der EU gewisse umstrittene Teile seines Programm wieder aufnehmen.
  • Falls die EU nicht bis zum 31. Juli ihre Vorschläge zur Regelung des Streits mit Teheran über die friedlichen Nutzung der Kernenergie vorlegt, will der Iran am 1. August die Atomanalge von Isfahan wieder in betrieb nehmen. Dies gab Teherans Unterhändler Hassan Rowhani laut einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA bekannt. Ein Sprecher des iranischen Sicherheitsrats sagte am 31. Juli, der Rat habe am 30. Juli folgendes beschlossen: "Die Verhandlungen gehen weiter, wir werden die Anreicherung nicht aufnehmen. Was wir wieder in Gang setzen, falls die EU-Vorschläge nicht unseren Mindestforderungen entsprechen, ist die begrenzte Umwandlung (von Rohuran in Hexafluoridgas) in Isfahan." Das Gas ist das Vorprodukt für die Anreicherung durch Zentrifugen. Angereichertes Uran ist der Brennstoff für zivile Reaktoren, aber auch das Vorprodukt von Atomwaffen.



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