Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Iran: Chronik wichtiger Ereignisse

Januar 2004

1. bis 4. Januar
  • Zur Unterstützung der Erdbebenopfer in Iran haben die USA ihre Sanktionen gegen das Land teilweise aufgehoben. Das iranische Volk sei nach der Katastrophe auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen, teilte das Weiße Haus am 1. Jan. mit. Für Lebensmittel- und Sachspenden müssen vorübergehend keine Sondergenehmigungen mehr eingeholt werden.
    Der frühere iranische Präsident Akbar Haschemi Rafsandschani hat die Entscheidung der US-Regierung begrüßt. Washington sende bereits seit "mehreren Monaten ein positives Signal", sagte der einflussreiche iranische Politiker am 1. Jan. in Bam im Südosten des Landes. Auf die Frage, ob die beiden zerstrittenen Länder den Dialog wieder aufnehmen könnten, antwortete Rafsandschani: "Ich bin mir nicht sicher." Es gebe jedoch Zeichen dafür, dass die US- Regierung dies befürworten würden.
    Am Abend des 1. Jan. hat US-Präsident Bush Bedingungen für eine weitere Entspannung zwischen den USA und Iran gestellt. In Farfullias im US-Bundesstaat Texas sagte er, wenn die Führung in Teheran bessere Beziehungen haben möchte, dann müsse sie alle inhaftierten Al-Qaida-Mitglieder an ihre jeweiligen Heimatländer ausliefern. Außerdem müsse Iran sein Streben nach Massenvernichtungswaffen aufgeben und mit der IAEA zusammenarbeiten. Schließlich forderte Bush demokratische Reformen im Iran.
  • Die Zahl der Toten bei der Erdbebenkatastrophe im Südwesten Irans ist auf 35.000 gestiegen. Das sagte der iranische General Hussein Fattahi am 3. Jan. der Nachrichtenagentur IRNA. Etwa 100.000 Bewohner in Bam und Umgebung sind obdachlos geworden.
  • Iran hat EU-Beobachter für die iranischen Parlamentswahlen am 20. Februar abgelehnt. Diese würden überhaupt nicht gebraucht, weil Iran genügend eigene Wahlbeobachter habe, sagte Innenminister Mussavi Lari am 4. Jan. Er bezog sich dabei auf Presseberichte, nach denen die EU Beobachter angeboten habe. - Unterdessen warnte Präsident Mohammed Chatami vor einer Diskriminierung von möglichen Kandidaten. Alle Kandidaten werden vom konservativen Wächterrat auf ihre Eignung geprüft.
5. bis 11. Januar
  • Nach dem verheerenden Erdbeben im Südosten Irans wird der Nationale Sicherheitsrat eine mögliche Verlegung der Hauptstadt Teheran prüfen. Teheran sei sehr stark gefährdet, ein Beben dort hätte noch viel schlimmere Folgen als das Beben von Bam, sagte der Chef des Gremiums, Hassan Rohani, am 5. Jan. im staatlichen Fernsehen. Über eine Verlegung der Hauptstadt werde "ernsthaft" nachgedacht, versicherte Rohani.
  • Iran will nach eigenen Angaben in eineinhalb Jahren mit einer eigenen Rakete einen Satelliten ins Weltall befördern. "Wir werden das erste islamische Land sein, das über die Technologie verfügt, einen Satelliten ins All zu schicken", sagte der iranische Verteidigungsminister, Konteradmiral Ali Schamchani, am 6. Jan. im staatlichen Fernsehen. Weitere Einzelheiten gab er nicht bekannt.
  • Die iranische Regierung hat Ägypten um die Wiederaufnahme der seit 1980 unterbrochenen diplomatischen Beziehungen gebeten. Die Beziehungen mit Ägypten müssten wieder hergestellt werden, weil dies dem palästinensischen Volk helfe, sagte ein Sprecher des iranischen Außenministeriums am 6. Jan. in Teheran. Dies forderten alle palästinensischen Gruppen, besonders die militanten Organisationen. Zuvor hatte der Außenamtssprecher den Stadtrat von Teheran aufgefordert, eine Hauptverkehrsstraße mit dem Namen des Mörders des ägyptischen Präsidenten Anwar el Sadat umzubenennen. Das Gremium stimmte dem Ansinnen zu, wie ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichtete. Damit wäre ein wichtiges Hindernis für die Aussöhnung zwischen Iran und Ägypten beseitigt.
  • Iran wird sich nach Einschätzung des britischen Diplomaten Jeremy Greenstock nicht in die politische Neuordnung seines Nachbarlandes Irak einmischen. Die Regierung in Teheran habe offenbar nicht vor, in Irak auf die Errichtung eines Gottesstaates nach eigenem Vorbild hinzuwirken, sagte der Irak-Beauftragte der britischen Regierung am 6. Jan. dem Rundfunksender BBC. Greenstock hatte zuvor in Teheran Gespräche mit dem iranischen Außenminister Kamal Charrasi geführt. "Es gab keinen Hinweis darauf, dass sie eine Kopie ihrer eigenen Version von Regierung wollen, und dass finde ich beruhigend", sagte Greenstock in dem Interview. Vielmehr sei Teheran offenbar der Meinung, "dass ein stabiler und sicherer Irak bedeutet, dass die Iraker ihre Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen". Sofern die USA und Großbritannien dem iranischen Regime gewisse Zugeständnisse machten, sei Teheran bereit, in Irak eine "positive Rolle" zu übernehmen. Die iranische Regierung wünsche eine Garantie, dass Washington und London keine "geheimen Angriffspläne gegen Iran" hegten und wünsche die Aufnahme wirtschaftlicher Beziehungen zu den beiden Ländern, besonders im Öl- und Energiesektor. Zudem fordere Teheran Zugang zu den heiligen schiitischen Stätten in Irak für iranische Pilger und ein Vorgehen gegen die Volksmudschahedin, eine iranische Oppositionsgruppe, die von Irak aus operiert.
  • Iran und Ägypten wollen nach 23-jähriger Unterbrechung ihre diplomatischen Beziehungen erneuern. Die Entscheidung dazu sei bereits bei einer Gipfelbegegnung der Präsidenten Mohammad Chatami und Husni Mubarak im Dezember in Genf getroffen worden, sagte der iranische Vizepräsident Mohammad Ali Abtahi am 6. Jan. der Nachrichtenagentur AP in Teheran.
    Die ägyptische Regierung hat Verlautbarungen aus Iran widersprochen, wonach beide Länder ihre diplomatischen Beziehungen wiederaufnehmen wollen. Es sei "noch keine Entscheidung gefallen", sagte der ägyptische Außenminister Ahmed Maher am 6. Jan. in Kairo. Die Beziehungen der beiden Länder seien aber "auf dem richtigen Weg".
  • Die Hilfe der USA in der vom Erdbeben zerstörten Region Südirans ändert nach den Worten des geistigen iranischen Führers Ajatollah Ali Chamenei nichts an den angespannten Beziehungen zu Washington. Die Vereinigten Staaten legten weiterhin eine "fundamentale Feindseligkeit" an den Tag, sagte Chamenei am 8. Jan. in einer vom staatlichen Fernsehen übertragenen Rede. Es war die erste öffentliche Stellungnahme des mächtigsten iranischen Führers seit dem Beben vom 26. Dezember. Sollten die USA ihre Haltung jedoch ändern, werde sich Teheran "niemandem entgegenstellen".
  • Die US-Regierung will offenbar Gespräche mit Teheran über das iranische Atomprogramm vorantreiben. Dass Iran amerikanische Hilfe nach der jüngsten Erdbebenkatastrophe akzeptierte, habe einige Möglichkeiten des Dialogs eröffnet, erklärte US-Außenminister Colin Powell am 9. Jan. Bei den Gesprächen soll es auch um Menschenrechte und die von den USA vorgeworfene Unterstützung militanter anti-israelischer Gruppen seitens Irans gehen. Es gebe bereits Kontakte, in deren Rahmen diese Themen zur Sprache gekommen seien, sagte Außenamtssprecher Richard Boucher. Es sei nicht geplant, diese Kontakte auszuweiten. Die US-Linie sei jedoch, in angemessener Weise Iran weiter auf bestimmte, Besorgnis hervorrufende Themen anzusprechen.
  • Die Türkei und Iran haben vor der Errichtung eines unabhängigen kurdischen Staates im Nachbarland Irak gewarnt. Falls Irak geteilt werden sollte, würden sich "die Probleme im Nahen Osten verdoppeln", sagte der türkische Außenminister Abdullah Gül am 10. Jan. nach einem Treffen mit seinem iranischen Kollegen Kamal Charrasi in Teheran. Die türkische und die iranische Regierung befürchten, dass die Autonomiebestrebungen der irakischen Kurden auf die kurdischen Minderheiten in ihren eigenen Ländern übergreifen könnten.
  • Iran hat Spekulationen über eine baldige Aufnahme offizieller Gespräche mit den USA zurückgewiesen. Zunächst müsse Washington seine feindselige Haltung aufgeben, erklärte Außenminister Kamal Charrasi am 10. Jan. "Im Augenblick gibt es keine Pläne, einen Dialog zu beginnen", sagte er auf einer Pressekonferenz. "Wichtig sind gegenseitiger Respekt und das Prinzip der Gleichberechtigung in einer gesunden Atmosphäre ohne Gewalt." Damit das gewährleistet sei, müssten die USA ihre Politik gegenüber Iran ändern, fügte Charrasi hinzu.
  • Wenige Wochen vor der Parlamentswahl in Iran hat der Wächterrat zahlreiche profilierte Reformpolitiker von einer Kandidatur ausgeschlossen. Das von Konservativen beherrschte Gremium habe 877 von 1700 Kandidaten untersagt, sich am 20. Februar zur Wahl zu stellen, berichtete die studentische Nachrichtenagentur ISNA am 11. Jan. Unter den Ausgeschlossenen sei auch Mohammed Resa Chatami, Chef der größten Reformpartei im Parlament und Bruder von Präsident Mohammed Chatami.
    Präsident Mohammed Chatami kritisierte die Entscheidung des von Konservativen dominierten Gremiums als "nicht vereinbar mit der Demokratie". Der prominente Abgeordnete Mohsen Mirdamadi warf den konservativ-islamischen Kräften einen "Staatsstreich" vor. Medieninformationen zufolge untersagte der Wächterrat 877 von 1700 Kandidaten, sich um ein Parlamentsmandat zu bewerben.
12. bis 18. Januar
  • Gegen die Behinderung der anstehenden Parlamentswahlen in Iran durch den ultra-konservativen Wächterrat haben am 12. Jan. in Teheran mehr als 200 Menschen protestiert. Sie versammelten sich vor dem Sitz der Staatschef Mohammed Chatami nahe stehenden Islamisch-iranischen Beteiligungsfront, um die etwa 80 Abgeordneten zu unterstützen, die den zweiten Tag in Folge an einem Proteststreik teilnahmen. Wie die iranische Nachrichtenagentur Irna meldete, drohte ein Vizepräsident, Mohammed Ali Satari-Far, mit seinem Rücktritt, falls freie Wahlen nicht gewährleistet sein sollten.
  • Der Chef der größten iranischen Reformpartei, Mohammed Resa Chatami, hat im Konflikt um den Ausschluss tausender Kandidaten von der Parlamentswahl vor einer Eskalation der Lage gewarnt. Der Bruder von Präsident Mohammed Chatami und Vorsitzende der Islamisch-iranischen Beteiligungsfront sagte am 13. Jan. in Teheran, Ziel der größtenteils als Sitzstreiks organisierten Proteste sei die Teilnahme der ausgeschlossenen Kandidaten an der Wahl auf rechtlich einwandfreier Grundlage. Er hoffe, dass mithilfe der Regierung dies auch erreicht werde. Andernfalls habe seine Partei "andere Pläne, die wir später bekannt geben werden". Parteichef Chatami selbst ist ebenfalls von der Ausschlussverfügung des konservativen Wächterrats betroffen.
  • Im Streit um den Ausschluss führender Reformpolitiker von der Parlamentswahl in Iran zeichnete sich eine Lösung ab. Der oberste Führer der islamischen Republik, Ajatollah Ali Chamenei, ordnete die Überprüfung der Entscheidung durch den Wächterrat an. Das berichtete das staatliche Fernsehen am 14. Jan.
  • Ein deutsch-iranisches Konsortium hat den Zuschlag für einen Millionenauftrag zum Aufbau eines neuen Kanalisationssystems in der iranischen Hauptstadt Teheran erhalten. Wie die iranische Nachrichtenagentur Irna am 15. Jan. meldete, beläuft sich das Auftragsvolumen auf 250 Millionen Euro. Zu dem Konsortium gehören Siemens, die Walter Bau AG und ein Unternehmen aus dem Ruhrgebiet sowie die iranische Firma HAMPA-Teheran. Nach iranischem Recht müssen ausländische Unternehmen mit einheimischen Firmen zusammenarbeiten, wenn sie sich um öffentliche Aufträge bewerben; die einheimischen Firmen halten mit 51 Prozent die Mehrheit an dem Konsortium.
  • Dutzende Reformpolitiker in Iran haben den fünften Tag in Folge mit einem Sitzstreik gegen den Ausschluss tausender Kandidaten für die Parlamentswahl protestiert. "Wir setzen unser Sit-in fort, bis unsere Forderungen erfüllt sind", sagte der Chef der größten iranischen Reformpartei, Mohammed Resa Chatami, am 15. Jan. in Teheran. In einer Erklärung begrüßten die Reformer ein Treffen des Wächterrats mit dem geistlichen Führer Ayatollah Ali Chamenei am Vortag als "erstes positives Zeichen".
    Die Streichung von 80 reformorientierten Abgeordneten von der Kandidatenliste für die Parlamentswahlen im Februar wird auf jeden Fall rückgängig gemacht. Das sagte der konservative Geistliche Ajatollah Emami Kaschani am 16. Jan. in Teheran. Eine entsprechende Anweisung des obersten Führers Ajatollah Ali Chamenei an den Wächterrat werde befolgt. Die Parlamentarier setzten ihren Sitzstreik dennoch fort. Sie begründeten ihn mit dem Verbot für tausende andere Bewerber.
    Im Streit um den Ausschluss tausender Kandidaten von der Parlamentswahl im Februar in Iran hat der Leiter der Wahlkommission mit Rücktritt gedroht. Sollte der von den Konservativen beherrschte Wächterrat seine Entscheidung nicht rückgängig machen, werde er sein Amt niederlegen, sagte Mortesa Mobalagh am 17. Jan. Was zähle, seien die "Rechte des Volkes". Sollten diese nicht geachtet werden, "wird der Urnengang mit mir an der Spitze nicht organisiert", betonte Mobalagh, der zugleich Vize-Innenminister ist.
  • Die iranische Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi hat Vorwürfe der USA zurückgewiesen, wonach Teheran eine Atombombe entwickeln soll. "Iran braucht keine Atombombe", sagte Ebadi am 17. Jan. in einem Interview der Nachrichtenagentur AP. Washington habe ähnliche Vorwürfe gegen Irak erhoben, dort seien aber bislang keine Massenvernichtungswaffen gefunden worden, betonte die Anwältin am Rande des Weltsozialforums in Bombay.
  • Bei dem schweren Erdbeben im Südosten Irans sind Ende Dezember nach offiziellen Angaben 41.000 Menschen ums Leben gekommen. Bisher war von 30.000 bis 35.000 Toten ausgegangen worden. Wie das Büro des Gouverneurs der Provinz Kerman weiter mitteilte, wurden 20.000 Menschen verletzt. Bei dem Erdstoß der Stärke 6,3 auf der Richterskala am 26. Dezember war die Stadt Bam zum größten Teil zerstört worden.
  • Die Kontroverse um den Ausschluss reformorientierter Bewerber von der Parlamentswahl in Iran spitzt sich zu. Der konservative Wächterrat verteidigte am 18. Jan. seine Entscheidung, Kandidaten "ohne Loyalität zum Islam und zur Verfassung" nicht zuzulassen. Der als Wahlleiter fungierende Innenminister Mortesa Moballegh hatte zuvor damit gedroht, die am 20. Februar geplante Parlamentswahl abzusagen. "Der Wächterrat wird auf keinen Fall nachgeben", erklärte der Sprecher des nicht gewählten Verfassungsgremiums, Ibrahim Asisi, vor Journalisten in Teheran. Man werde sich vom Geschrei der Straße nicht vorschreiben lassen, wie die Gesetze Irans zu interpretieren seien. Nach dem Beschluss des Wächterrats dürfen von den 8.200 Parlamentskandidaten etwa 3.000 nicht antreten, darunter rund 80 derzeitige Abgeordnete.
19. bis 25. Januar
  • Im Streit um den Ausschluss tausender Kandidaten von der Parlamentswahl im Februar in Iran hat die Reformbewegung von Präsident Mohammed Chatami mit einem Boykott des Urnengangs gedroht. Wenn nicht unverzüglich "Maßnahmen" ergriffen würden, um das "Problem" des Kandidatenausschlusses zu lösen, das eine freien Wettbewerb der verschiedenen politischen Richtungen verhindere, würden die Reformer nicht an der Wahl am 20. Februar teilnehmen, zitierten iranische Zeitungen am 19. Jan. die Bewegung. Die Entscheidung sei am Vorabend bei einer außerordentlichen Sitzung der Partei gefallen, an der auch Chatami und Parlamentspräsident Mehdi Karubi teilgenommen hätten.
  • Im Streit um die Zulassung von Kandidaten bei der Parlamentswahl in Iran hat der Wächterrat einige der zuvor abgelehnten Kandidaten zugelassen. Das von konservativen Geistlichen dominierte Gremium habe sein Urteil in einigen Fällen revidiert, berichtet die studentische Nachrichtenagentur ISNA am 19. Jan. Konkrete Zahlen wurden nicht genannt. Der Wächterrat, der alle Gesetze und Kandidaten auf ihre Treue zum Islam überprüft, hatte 3500 Kandidaten für die Wahl abgelehnt - darunter 80 reformorientierte Parlamentarier.
  • Nach anhaltenden Protesten in Iran hat der konservative Wächterrat den Wahlausschluss von 200 reformorientierten Kandidaten zurückgenommen. Zugleich sagte das von Ayatollah Ali Chamenei eingesetzte Verfassungsgremium am 20. Jan. zu, die Bewerbungen von weiteren der rund 3.000 nicht akzeptierten Personen zu überprüfen. Chamenei hatte dies angeordnet, nachdem zahlreiche Betroffene im Parlament in einen Sitzstreik getreten und zeitweise auch die Nahrung verweigert hatten.
    Die protestierenden Abgeordneten zeigten sich wenig beeindruckt vom jetzigen Einlenken des Wächterrats. Die erste Rücknahme von Wahlausschlüssen sei zwar eine positive Entwicklung, reiche aber keinesfalls aus, sagte der betroffene Abgeordnete Radschabali Masruei. Es müssten umgehend alle 3.000 abgelehnten Bewerber zur Wahl zugelassen werden, andernfalls sei ein Boykott der Abstimmung zu erwarten. Der reformorientierte Innenminister Mortesa Moballegh hat bereits damit gedroht, die Parlamentswahl ganz abzusagen.
  • Im Streit um den Ausschluss tausender Kandidaten von der iranischen Parlamentswahl haben mehrere Minister und der stellvertretende Präsident ihren Rücktritt eingereicht. Dieser werde endgültig sein, sollte der Wächterrat die Ablehnung der Kandidaten nicht rückgängig machen, erklärte Vize-Präsident Mohammed Ali Abtahi am 21. Jan.
  • UN-Generalsekretär Kofi Annan hofft auf freie und faire Wahlen in Iran. Annan sagte am 21. Jan. nach einem Treffen mit Bundesaußenminister Fischer in der Nähe von Baden-Baden: "Wir beobachten die Situation im Iran sehr genau." Annan sagte weiter: "Ich hoffe, dass sie einen Weg finden werden, ihre Differenzen beizulegen und dass freie und faire Wahlen stattfinden können." Fischer pflichtete der Einschätzung des UN-Generalsekretärs bei.
  • Der iranische Präsident Mohammed Chatami hat nordkoreanische Lieferungen von Nuklearmaterial an Iran dementiert. Er weise diesen Vorwurf "kategorisch" zurück, sagte Chatami am 21. Jan. vor Journalisten am Rande des Weltwirtschaftsforums im schweizerischen Davos. "Wir haben nichts zu verbergen." Iran sei strikt gegen die Produktion von Atomwaffen, das nationale Nuklearprogramm diene allein friedlichen Zwecken.
  • Etwa 200 radikale Islamisten haben am 21. Jan. im Westen Irans eine Protestveranstaltung von Reformanhängern überfallen. Die Angreifer hätten mehrere Redner verletzt, die sich gegen den Massenausschluss von Reformpolitikern von der anstehenden Parlamentswahl ausgesprochen hatten, meldete die amtliche Nachrichtenagentur Irna am 22. Jan. Der Chef der örtlichen Reformpartei, Hossein Modschahed, wurde mit Knochenbrüchen ins Krankenhaus eingeliefert, wie die Reformzeitung "Jas e No" berichtete. Die Angreifer gehörten laut Irna der radikalen Hisbollah-Bewegung an.
  • Der konservative Wächterrat im Iran hat laut dpa weitere Reformkandidaten für die Parlamentswahlen im Februar zugelassen. Damit gab der Klerus dem Druck der Regierung von Präsident Mohammed Chatami nach. Die Zahl der zugelassenen Kandidaten aus dem Reformlager stieg um 60 auf jetzt 260, sagte ein Sprecher des Rates am 22. Jan. Ursprünglich hatte der Wächterrat 3500 Reformkandidaten abgelehnt. Die Regierung Chatami besteht darauf, dass davon mindestens 618 genehmigt werden.
  • Irans Geheimdienst soll nach Angaben eines seiner früheren Agenten hinter den Anschlägen am 11. September 2001 gesteckt haben. Das sagte ein Beamter des deutschen Bundeskriminalamts am 22. Jan. als Zeuge im zweiten Hamburger Terrorprozess. Er berichtete dort über die Aussagen des Ex-Agenten. Danach war auch der in Hamburg angeklagte Abdelghani Mzoudi in Iran. Der Agent habe ihn aber nie gesehen und wisse nicht, wann dies war. Dem früheren Agenten war Vertraulichkeit zugesichert worden.
  • Iran steht nach Einschätzung des Generaldirektors der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Mohamed ElBaradei, zu seinem angekündigten Verzicht auf die Anreicherung von Uran. Es gebe keine Anzeichen, dass Iran sich derzeit um angereichertes Uran bemühe, trat ElBaradei am 22. Jan. am Rande des Weltwirtschaftsforum in Davos Zweifeln an der Zusicherung Teherans entgegen.
  • In Iran haben 54 Abgeordnete mit einem Boykott der Parlamentswahl im kommenden Monat gedroht. Sie würden nicht an der Abstimmung teilnehmen, wenn der Ausschluss zahlreicher reformorientierter Kandidaten nicht aufgehoben würde, erfuhr die Nachrichtenagentur AFP am 22. Jan. von Abgeordneten in Teheran. Die 54 Parlamentarier versuchten, weitere Mandatsträger zur Unterschrift des Boykottaufrufs zu bewegen. Sie kündigten zudem an, die Sitzungen des scheidenden Parlaments zwischen der Parlamentswahl am 20. Februar und der Konstituierung des neuen Parlaments im Juni zu boykottieren.
  • Der konservative iranische Wächterrat hat weitere zunächst ausgeschlossene Kandidaten zur Parlamentswahl im kommenden Monat wieder zugelassen. Der Vorsitzende des Wächterrats, Ayatollah Ahmad Dschannati, verteidigte den Ausschluss von mehr als einem Drittel der Kandidaten für die Parlamentswahl als wohl überlegt. Im Rundfunk sagte ein Mitglied des Wächterrats, Mohamed Dscharomi, die Zahl der wiederzugelassenen Kandidaten sei von 200 auf 350 gestiegen. "Alle Parteien haben nun Kandidaten in allen Bezirken", erklärte er. Said Schariati, ein führendes Mitglied der größten Reformpartei Islamische Beteiligungsfront, wies dies zurück. Die Wiederzulassung von ein paar wenig bekannten Politikern sei bedeutungslos. Niemand lasse sich dadurch in die Irre führen. "So lange einige prominente Namen und tausende Liberale wegen ihrer reformistischen Ansichten auf der Schwarzen Liste stehen, wird es keine freien Wahlen geben."
  • Bei der gewaltsamen Zerschlagung von Arbeiterprotesten in der iranischen Provinz Kerman sind vier Menschen getötet worden. Zahlreiche weitere Demonstranten seien bei den Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften am 24. Jan. schwer verletzt worden, teilte der reformorientierte Abgeordnete der Provinz, Mansur Soleimani Meimandi, am 25. Jan. in einer vom staatlichen Rundfunk übertragenen Parlamentssitzung in Teheran mit. Arbeiter einer Kupferfabrik im Dorf Chatunabad in der Nähe von Schahrebabak hätten auf der Demonstration Festanstellungen eingefordert, weswegen sie auch bereits mehrere Tage gestreikt hatten. Die Behörden hätten in Spezialeinheiten angefordert, die das Dorf mit Unterstützung von Hubschraubern gestürmt hätten. In Iran gibt es kein Streikrecht.
  • Nach dem umstrittenen Ausschluss tausender Kandidaten von der Parlamentswahl hat das iranische Parlament eine Reform des Wahlrechts beschlossen. Mit der Mehrheit der reformorientierten Abgeordneten verabschiedete es in einer Sondersitzung in Teheran am 25. Jan. Änderungen am Wahlgesetz, durch welche der Ausschluss von Kandidaten erschwert wird. Die vom Wächterrat abhängigen Wahlausschüsse hatten mehr als 3.600 der insgesamt 8.157 Kandidaten von der Parlamentswahl im Februar ausgeschlossen und damit eine Regierungskrise ausgelöst. Da die Kandidaturen für die Wahl am 20. Februar nur noch bis zum 30. Jan. eingereicht werden können, hatten 32 Abgeordnete die Änderungsvorschläge eilig ins Parlament eingebracht. Das Thema war wegen der Dringlichkeit ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt worden. Nach den Änderungen dürfen einmal gewählte Abgeordnete von künftigen Wahlen nicht mehr ausgeschlossen werden, sofern sie kein Verbrechen begehen. Zudem sollen nicht rechtsrelevante Gründe von der Liste der Ausschlusskriterien genommen werden. Das neue Gesetz sollte umgehend in Kraft treten. Allerdings kann der konservative Wächterrat es wieder kippen.
  • Iran hat am 25. Jan. den Bau eines neuen Raketen-Typs mit einer Reichweite von 150 Kilometern bekannt gegeben. Die Raad-Raketen sollen an der Küste und auf den Inseln im Persischen Golf oder auf Kriegsschiffen installiert werden, wie der iranische Verteidigungsminister Ali Schamchani im Staatsfernsehen mitteilte. Die Raketen des Typs Raad (Donner) hätten die ersten Tests erfolgreich bestanden und eine Treffgenauigkeit von 75 Prozent.
26. bis 31. Januar
  • Der konservative iranische Wächterrat hat die vom Parlament in Teheran beschlossene Reform des Wahlrechts abgelehnt. Nach Auffassung des Gremiums stehe der Gesetzentwurf in einigen Punkten im Widerspruch zur Religion und zur Verfassung, meldete die amtliche Nachrichtenagentur Irna am 26. Jan. und bestätigte entsprechende Presseberichte.
    Nach dem Veto des konservativen Wächterrats sehen Reformer Iran an der Wegscheide zwischen Demokratie und Diktatur. Eine der vom Wächterrat ausgeschlossenen Abgeordneten, Fatemeh Hakikatschu, sagte der AP am 26. Jan., mit dem Veto habe der Wächterrat das Land einem politischen Chaos näher gebracht. "Die Ablehnung bringt alle Reformer und alle, die freie und faire Wahlen wollen, einem Boykott näher." Ein Studentenführer kündigte Massenproteste gegen die Hardliner an. Mit dem ersten in höchster Dringlichkeitsstufe verabschiedeten Gesetz seit der islamischen Revolution 1979 hatte das derzeit von Reformern dominierte Parlament am Tag zuvor den Wächterrat dazu bringen wollen, doch noch die meist reformorientieren Kandidaten für die Parlamentswahl zuzulassen, die vom Wächterrat unter Angabe formaler Gründe disqualifiziert worden waren.
  • Nach dem Veto des konservativen Wächterrats gegen ein Eilgesetz zur Zulassung liberaler Kandidaten hat die iranische Regierung angedeutet, die Parlamentswahl im Februar möglicherweise abzusagen. Dass Bewerber mit unterschiedlichen Ansichten antreten, sei die wichtigste Voraussetzung für eine solche Abstimmung, erklärte das Kabinett am 26. Jan. Die Regierung werde weiterhin alles tun, um freie und faire Wahlen zu ermöglichen.
  • Im Streit um die anstehende Parlamentswahl in Iran hat der konservative Wächterrat den Ausschluss tausender reformorientierter Kandidaten etwas abgemildert. Bislang sei etwa ein Fünftel der ausgeschlossenen Kandidaten doch zur Wahl zugelassen worden, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Irna am 27. Jan. unter Berufung auf Gremiumskreise. Es handle sich dabei um 700 Kandidaten, die überwiegend aus dem Großraum der iranischen Hauptstadt Teheran kämen.
  • Die größte iranische Studentenorganisation hat im Streit um den Ausschluss tausender Kandidaten von der Parlamtentswahl im Februar zum Boykott der Abstimmung aufgerufen. Eine faire und freie Wahl sei nicht möglich, daher sollten die Menschen nicht zur Abstimmung gehen, forderte das Büro für die Festigung der Einheit am 28. Jan. laut der amtlichen Nachrichtenagentur Irna. Die reformorientierte Studentenbewegung rief zugleich die moderaten iranischen Politiker auf, nicht an der Wahl teilzunehmen.
  • Im innenpolitischen Streit um den Ausschluss liberaler Kandidaten von der Parlamentswahl in Iran will Präsident Mohammad Chatami den konservativen Wächterrat weiter unter Druck setzen. Bis zum Vormittag des 28. Jan. habe das Gremium bereits mehr als 700 der insgesamt rund 3.600 Ausschlüsse rückgängig gemacht. Weitere sollten folgen, sagte Chatami nach einer Kabinettssitzung am 28. Jan. "Selbst wenn nur ein einziger Mensch unrechtmäßig disqualifiziert worden ist, werde ich als Präsident sein Recht verteidigen", erklärte Chatami. Reformorientierte Abgeordnete kritisierten die Rücknahme als rein kosmetisch und zu zögerlich. "Für uns ist es bedeutungslos, an der Wahl teilzunehmen, wenn Bewerber anderer Richtungen nicht teilnehmen dürfen", sagte Ali Tadschernia, der von der Abstimmung ausgeschlossen wurde.
  • Im Streit um die iranische Parlamentswahl hat der von ultrakonservativen Kräften dominierte Wächterrat am 30. Jan. die Zahl der zugelassenen Kandidaten endgültig festgelegt. In einer von der studentischen Nachrichtenagentur Isna verbreiteten Erklärung des Wächterrats heißt es, von insgesamt 7900 Bewerbern seien 5451 zu dem Urnengang am 20. Februar zugelassen. Von den mehr als 3600 von ihm ursprünglich ausgeschlossenen Bewerber wurden demnach 1160 im Nachhinein doch noch zugelassen. Die Zahl 7900 weicht von den früher genannten 8157 Kandidaten ab. Der Wächterrat machte keinerlei Angaben dazu, wer nachträglich zugelassen wurde. Er verwies lediglich darauf, dass ausgeschlossene Kandidaten ab 30. Jan. um Mitternacht drei Tage Zeit hätten, um gegen ihren Ausschluss Widerspruch einzulegen.


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