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Kaum noch Alternativen

Jahresrückblick 2012 – Heute: Iran. Politische Lösung des Atomstreits erscheint so gut wie unmöglich

Von Knut Mellenthin *

Zum »Jahr der Entscheidung« könnte 2013 im Streit um das iranische Atomprogramm werden. Die seit zwanzig Jahren allen sachlichen Erkenntnissen zum Trotz aufrechterhaltene Lüge, Iran stehe ganz kurz vorm Abschluß der Entwicklung eigener Nuklearwaffen, hat mittlerweile eine selbsterzeugte Dramatik und Eigendynamik angenommen. Die Situation läßt für die USA und ihre Verbündeten außer Kapitulation der Regierung in Teheran, Zusammenbruch der iranischen Gesellschaft unter einer neuen Protestwelle oder einem Krieg, der sich vermutlich über mehrere Jahre hinziehen würde, kaum noch eine Alternative zu.

US-Präsident Barack Obama hat im zu Ende gegangenen Jahr nur mühsam der Forderung der israelischen Regierung Stand gehalten, sich auf ein genaues Datum zu verpflichten, zu dem er den Angriffsbefehl geben würde, falls bis dahin keine iranische Kapitulation erfolgt ist. Premierminister Benjamin Netanjahu und sein Verteidigungsminister Ehud Barak stützten diese Forderung massiv mit der Drohung eines militärischen Alleingangs. Da Israel zu einem solchen technisch gar nicht in der Lage wäre, sofern es nicht seine Atomwaffen einsetzen will, würde jeder Angriff auf den Iran die USA zwangsläufig in den Krieg hineinziehen. Genau das ist das Kalkül von Netanjahu. Nach seiner als sicher geltenden Wiederwahl am 22. Januar wird er das Thema erneut aufnehmen mit der Forderung, daß spätestens im Sommer 2013 die Entscheidung fallen müsse, da es sonst »zu spät« sei.

Konfrontationskurs

Auf zwei Termine konzentriert sich derzeit die internationale Aufmerksamkeit. Erstens: Die US-Regierung hat im November angekündigt, sie wolle zusammen mit ihren Partnern und Gefolgsleuten eine erneute Verweisung des Streits an den UN-Sicherheitsrat anstreben, falls Iran bis zum März 2013 keine »substantielle Zusammenarbeit« mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) »begonnen« hat. Das zielt eindeutig auf eine Beschlußfassung in der nächsten Vierteljahressitzung des IAEA-Vorstands, die vom 4. bis 8. März stattfinden wird. Praktisch wäre ein erneuter Verweis an den Sicherheitsrat, der ohnehin seit 2006 ständig mit dem Streit befaßt ist, kaum von Bedeutung. Die Ankündigung signalisiert aber die Absicht Washingtons, die Konfrontation in den kommenden Monaten zielgerichtet zu verschärfen.

Zweitens: Am 14. Juni 2013 wird im Iran ein neuer Präsident gewählt. Mahmud Ahmadinedschad darf aufgrund der Verfassung nicht noch einmal antreten. Wer sein Nachfolger werden könnte, ist derzeit völlig offen. Die Opposition wird voraussichtlich, ganz unabhängig vom konkreten Verlauf der Ereignisse, schon am Wahltag ein Geschrei über angebliche Fälschungen erheben, das im Westen ein enthusiastisches Echo finden wird. Sollte es gelingen, diese Propaganda wie vor vier Jahren in Massenproteste umzusetzen, könnte Obama, selbst wenn er wollte, keine Verhandlungen mit Teheran führen. Viel mehr ist zu befürchten, daß der Westen gewalttätige Auseinandersetzungen in iranischen Städten als Vorwand für ein »humanitäres« militärisches Eingreifen nehmen könnte.

Im Herbst gab es in Mainstreammedien und mehr oder weniger linken Internetforen eine Welle von Gerüchten, daß Obama nach seiner Wiederwahl direkte Gespräche mit dem Iran aufnehmen wolle. Die New York Times behauptete sogar unter Berufung auf die berühmten anonymen »officials«, daß solche Kontakte insgeheim bereits begonnen hätten. Seit der Präsidentenwahl am 6. November sind diese Gerüchte weitgehend verstummt. Das deutet darauf hin, daß sie hauptsächlich dazu bestimmt waren, die Wahl zu beeinflussen.

Die politische Logik spricht indessen durchaus dafür, das »Jahr der Entscheidung« mit irgendwelchen dramatischen Schritten der US-Regierung in Richtung Teheran zu eröffnen. Das könnten in der Tat diskrete direkte Kontakte, aber vielleicht sogar öffentliche »Gesprächsangebote« sein. Letztlich ist, was die äußere Gestaltung der Ereignisse angeht, nicht einmal eine spektakuläre Reise des neuen Außenministers John F. Kerry nach Teheran mit Sicherheit auszuschließen.

Indessen würden alle Schritte nur darauf abzielen, noch einmal die iranische »Unnachgiebigkeit« vor aller Welt zu demonstrieren, um dann unter günstigeren Bedingungen auf die militärische Konfrontation zuzusteuern. Obama könnte, selbst wenn er wollte, den Iranern keine neuen Vorschläge machen, die diesen annehmbar erscheinen würden. Am nahezu hundertprozentigen Widerstand des Kongresses, der jede Verhandlungslösung blockiert, käme der Präsident nicht vorbei. Selbst die Möglichkeit, daß in der Obama-Administration vielleicht bereits neue Ideen zur Entschärfung des Streits diskutiert werden, muß man leider definitiv ausschließen: Solche Debatten könnten unmöglich geheimgehalten werden – und die Pro-Israel-Lobby würde schon bei den geringsten Anzeichen eines Stimmungswechsels im Weißen Haus präventiv Alarm schlagen. Im äußersten Fall hätte Netanjahu es immer noch in der Hand, mit einem Militärschlag die Notbremse zu ziehen und die USA in den Krieg zu zwingen.

Nötig werden dürfte das jedoch kaum. Obama kann mit seinen Forderungen an Teheran keinesfalls unter die von Rußland und China mitgetragenen Resolutionen des UN-Sicherheitsrats gehen. Diese verlangen vom Iran erstens die vollständige und dauerhafte Einstellung aller Tätigkeiten, die im weitesten Sinn mit der Urananreicherung zu tun haben. Zweitens die Einstellung aller Arbeiten, die mit dem Bau eines Schwerwasserreaktors in Arak zusammenhängen. Drittens die Rückkehr zum sogenannten Zusatzprotokoll, das stark erweiterte Inspektionsrechte der IAEA vorsieht. Teheran hatte das Zusatzprotokoll im Jahre 2003 freiwillig akzeptiert, aber sich zwei Jahre später wieder daraus zurückgezogen. Viertens verlangen die Resolutionen die Zusammenarbeit mit der IAEA bei der »Klärung offener Fragen« aus der Vergangenheit des iranischen Atomprogramms. In der Realität ist das ein endloses Unterfangen, da westliche Geheimdienste immer wieder neue, nicht überprüfbare Anschuldigungen nachschieben. Fünftens: Verzicht Irans auf die Entwicklung von Mittel- und Langstreckenraketen.

Unmögliches gefordert

Keine dieser Forderungen ist in völkerrechtlichen Verpflichtungen begründet, die für alle Staaten der Welt gelten. Insbesondere ergeben sie sich nicht aus dem Atomwaffensperrvertrag, sondern stehen zum Teil sogar in klarem Widerspruch zu diesem. Ein Eingehen darauf würde Iran zeitlich unbefristet unter ein weltweit einmaliges Sonderrecht stellen. Das könnte man nur einem militärisch besiegten oder durch eine mehrjährige Hungerblockade in die Knie gezwungenen Staat aufnötigen.

Es gibt keine Chance, daß Iran in Verhandlungen wesentlich mehr akzeptieren wird als die Einstellung der Urananreicherung auf knapp 20 Prozent. Diese dient dazu, Brennelemente für den Betrieb eines noch aus den 1970er Jahren stammenden Reaktors herzustellen, der Isotope für die Behandlung von Krebspatienten produziert. Im Gegenzug würde Teheran nicht nur erwarten, daß es die benötigten Brennelemente erhält, sondern auch, daß mit der Aufhebung der Sanktionen in einem ernsthaften Umfang begonnen würde. Auch das könnte Obama nicht einmal, wenn er wollte. Die Macht, dies zu tun oder zu verweigern, liegt beim Kongreß. An diesen Tatsachen sollte man alle »Hoffnungssignale« messen, von denen es in den kommenden Monaten wahrscheinlich einige geben wird.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 02. Januar 2013


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