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Waffenfrage ist keine Gretchenfrage

Die Schwäche der politischen Systeme in Nordirak stärkt die Dschihadisten

Von Jan Keetman *

Derzeit dreht sich die Irak-Debatte vor allem um das Problem der Bewaffnung gegen die Terroristen. Es gibt wichtige weitere Aspekte.

Geradezu flehentlich soll der Präsident der kurdischen Regionalregierung in Erbil, Massud Barsani, Außenminister Frank-Walter Steinmeier um Waffenlieferungen gebeten haben. Militärische Ausrüstung sollen Barsanis Peschmerga nun auch aus Deutschland erhalten. Auf der Liste stehen allerdings nur Ausrüstungsgegenstände, die nicht unmittelbar zum Töten da sind. Also etwa Minensuchgeräte, schusssichere Westen, Panzerfahrzeuge sind im Gespräch. Ob die Kurden das alles auch bedienen können, ist fraglich. Andere Waffen erhalten die Kurden bereits von den US-Amerikanern.

Dass man den Vormarsch der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) mit dem Verteilen von humanitären Hilfsgütern nicht stoppen kann, steht außer Frage. Direktes militärisches Eingreifen wird von den USA bereits in geringem Umfang praktiziert. Für die Entsendung von Bodentruppen gibt es keine politische Bereitschaft und es gibt auch gute Gründe, es nicht damit zu versuchen. Trotzdem sollte man sich im Klaren darüber sein, dass die Bewaffnung der Kurden nicht der Kern des Problems ist.

Der IS hat in Mossul die frische US-amerikanische Bewaffnung zweier irakischer Divisionen erbeutet, während die Peschmerga größtenteils mit Waffen ausgestattet sind, die sie im Jahr 2003 und davor von der irakischen Armee erbeutet haben und die schon damals nicht mehr auf dem neuesten Stand waren.

Allerdings ist den Kurden fast gleichzeitig mit der Eroberung Mossuls durch IS ebenfalls ein neues Waffendepot der irakischen Armee in die Hände gefallen. Fluchtartig hatte sich die irakische Armee auch aus der Erdölmetropole Kirkuk zurückgezogen und ihr dortiges Depot zurückgelassen. Die Kontrolle übernahmen die Kurden. Die zurückgelassenen Waffen landeten aber auf dem Markt. Wahrscheinlich ist vieles letztendlich beim IS angekommen.

Damals fühlten sich die Kurden noch sicher vor den Dschihadisten. Dann bekamen sie selbst die Kampfweise des IS zu spüren. Diese besteht in der Erzeugung von Panik, dem Streuen von Gerüchten, Überfällen. Zum Teil zogen sich die Peschmerga kampflos zurück und vergrößerten damit nur die allgemeine Panik.

Die US-Luftangriffe behindern zwar den IS beim Einsatz schwerer Waffen und von Fahrzeugen. Zudem heben sie die Moral der Peschmerga.

Doch insgesamt sind die IS-Kämpfer schwer zu treffen. Während alle Welt auf die Kämpfe rund um Kurdistan blickte, eroberte die IS rasch eine Stadt in der Nähe von Bagdad. Und so war es in den vergangenen Monaten immer wieder. Plötzlich taucht der IS irgendwo zwischen Aleppo und Bagdad auf, entweder in Überzahl oder nur mit einem kleinen Stoßtrupp. Die völlig unvorbereiteten Sicherheitskräfte vor Ort wissen es nicht, aber sie haben die Videos im Kopf, die die Erschießung von Gefangenen zeigen. Also machen sie, dass sie wegkommen. Ein Teil der Bevölkerung flieht ebenfalls und steckt mit ihrer Panik noch mehr an.

Wo dem IS wirklich entschieden widerstanden wird, sind nicht nur modernere Waffen und gut trainierte Häuserkämpfer im Einsatz, sondern auch Selbstmordattentäter, die mit Sprengstoff oder Benzin gefüllte Lastwagen in die feindliche Stellung fahren. Weder Luftangriffe noch eine besser bewaffnete Peschmerga-Truppe können die Guerillakriegführung des IS gänzlich aushebeln. Um der Miliz dauerhaft zu schaden, müssten die Peschmerga entschieden in die Offensive gehen, Mossul erobern und die syrischen Erdölquellen bei Deir ez-Zor am mittleren Euphrat. Ob die Kurden in der Lage und willens sind, derart weit vorzustoßen, kann bezweifelt werden. Und wenn sie es täten, wer sollte die von IS zurückgewonnenen Gebiete in Irak und Syrien dann verwalten?

Die Stärke des IS ist eben auch die Schwäche der politischen Systeme in der Region. Die ganze Wirtschaft hängt von den Ölquellen ab und um diese streiten sich entweder ethnische oder religiös definierte Gruppen. In dem System gedeihen weder Verantwortungsbewusstsein noch öffentliche Kontrolle. Also blüht die Vetternwirtschaft und landet Kriegsgerät einfach auf dem Markt.

Wehe der Gruppe, die da nicht reinpasst und selbst zu schwach ist, um mitzuspielen, wie die Jesiden, die Christen, die Turkmenen, die Schabak. Es war ein bezeichnendes Bild, als die jesidische Abgeordnete Viyan Dakhil unter Tränen das irakische Parlament um Hilfe anflehte. Sie schrie, brach zusammen und raffte sich wieder auf, bat, argumentierte, während ihr der Vorsitzende ständig für ihre Rede dankte und ihr damit bedeutete, endlich aufzuhören. Viele Herren im Anzug und Frauen im Tschador drehten Viyan Dakhil den Rücken zu. Viyan Dakhil stürzte kurz darauf bei einem Hilfsflug ab. Vermutlich hat sie verletzt überlebt.

Das Problem der Region ist wirklich nicht nur, dass die Waffen der Peschmerga etwas schlechter sind als die Waffen des IS.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag 14. August 2014


Zweierlei Maß

Im Irak soll die Miliz »Islamischer Staat« zurückgedrängt werden. Über die Türkei kommt Nachschub für ihren Krieg in Syrien, aus Saudi-Arabien Geld

Von Karin Leukefeld **


Vor den Toren der kurdischen Autonomiegebiete und der dort liegenden Ölfelder sorgt der Aufmarsch der Kämpfer der Gruppierung »Islamischer Staat« (IS) dafür, daß die USA und ihre Verbündeten ihre Interessen in der Region nun militärisch untermauern. Als Anfang des Jahres im Norden Syriens Kurden und religiöse Minderheiten von derselben Miliz – damals noch unter dem Namen ISIS agierend – angegriffen wurden, beschränkte sich der Westen darauf, die Lage zu beobachten.

Die Barbarei des IS in Syrien und andernorts geht weiter. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete am Mittwoch, daß IS-Kämpfer nördlich von Aleppo verschiedene Ortschaften eingenommen haben sollen. Die Rede ist von Turkmen Bareh und Akhtarin, wo bisher vom Westen unterstützte, sogenannte moderate Kampfgruppen die Kontrolle ausgeübt haben sollen. Urheber der Meldung ist die in London ansässige »Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte«.

Akhtarin liegt an der Bahnlinie Aleppo–Kargamesh. Das Gebiet ist wegen der Nähe zur Türkei von strategischer Bedeutung für Kampfverbände in Syrien und im Irak. Hier wird militärischer Nachschub aus der Türkei transportiert. Im Gegenzug hat IS von syrischen Ölfeldern in Deir Ezzor gestohlenes Öl oder aus syrischen Silos gestohlenen Weizen an Mittelsmänner verkauft.

Wie das irakische Handelsministerium mitteilte, hat IS in den vergangenen Tagen und Wochen in den Provinzen Anbar und Niniveh verschiedene Weizensilos besetzt und geplündert. Mehr als 50000 Tonnen Weizen seien gestohlen und vermutlich über die Grenze nach Syrien transportiert worden, um ihn dort zu verarbeiten. Zuvor hätten die Kämpfer versucht, den gestohlenen Weizen über örtliche Bauern an die irakische Regierung zu verkaufen. Das Ministerium habe den Ankauf von Weizen aus diesem Grund gestoppt.

Im Libanon wurde derweil Premierminister Tammam Salam ein Video übergeben, auf dem von Aufständischen der Nusra-Front und anderen Kampfverbänden entführte Soldaten zu sehen sind. Die Kämpfer hatten vor wenigen Tagen versucht, sich bei Arsal einen Grenzübergang freizuschießen, um ihren Nachschub zu sichern. Fünf Tage lang wurde Arsal belagert. Durch Vermittlung von Islamgelehrten zogen sich die Kämpfer schließlich wieder zurück. Das Video zeigt nach Berichten der libanesischen Zeitung The Daily Star sieben Soldaten, für deren Freilassung nun Forderungen gestellt werden. Insgesamt waren 20 Angehörige von Armee und Sicherheitskräften von den Kampfverbänden verschleppt worden.

Der Auswärtige Ausschuß des jordanischen Parlaments verurteilte unterdessen ungewöhnlich scharf jede ausländische Einmischung in die internen Angelegenheiten Syriens und des Irak. Gemeinsam müßten die Staaten »gegen terroristische Netzwerke vorgehen«, die Andersgläubige und Andersdenkende auslöschen wollten. Die internationale Gemeinschaft müsse eine politische Lösung in Syrien unterstützen, um die Nachbarstaaten zu entlasten. Jordanien hat – wie auch der Libanon – durch den enormen Zustrom von Flüchtlingen aus Syrien erhebliche wirtschaftliche Probleme. Als Basis für US-und andere westliche Truppen und Geheimdienste ist Jordanien mittlerweile instabil.

Am Sonntag hatten sich erstmals der neue ägyptische Präsident Abdel Fattah Al-Sisi und der saudische König Abdallah getroffen, um über die Lage im Nahen Osten zu beraten. Auch ein Vertreter der Vereinigten Arabischen Emirate nahm an der Unterredung in Dschidda teil. Al-Sisi, der anschließend nach Rußland zu Gesprächen mit Präsident Wladimir Putin weiterreiste, hatte kürzlich die Bildung einer arabischen Armee zum Kampf gegen den IS vorgeschlagen. Einige der wichtigsten Geldgeber des Kampfverbandes befinden sich allerdings in Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten. Nur zögerlich wird gegen sie mit Kontensperrungen vorgegangen. IS ist ein Ableger der Gruppierung »Al-Qaida im Irak« und war ursprünglich von dem früheren saudischen Geheimdienstchef Bandar Bin Sultan unterstützt worden.

** Aus: junge Welt, Donnerstag 14. August 2014


Paris: Kurden kriegen Kriegsgerät

USA bauen militärisches Engagement in Irak aus ***

Als erstes europäisches Land liefert Frankreich Waffen an die Kurden in Nordirak, um deren Kampf gegen die Extremisten der Organisation Islamischer Staat (IS) zu unterstützen. Präsident François Hollande habe beschlossen, »in den nächsten Stunden« Waffenlieferungen auf den Weg zu bringen, erklärte der Elysée-Palast am Mittwoch in Paris. Frankreich werde »jede nötige Unterstützung« angesichts der »katastrophalen Lage« im irakischen Kurdistan leisten.

Hollande habe die Waffenlieferungen nach den dringenden Hilfsappellen der kurdischen Regionalregierung beschlossen – in Abstimmung mit der Zentralregierung in Bagdad, teilte der Elysée-Palast weiter mit. Dabei verwies das Präsidialamt auf das Telefongespräch Hollandes am Donnerstag mit dem Präsidenten der autonomen Kurdenregion, Massud Barsani. Schon seit einigen Tagen habe Frankreich Vorbereitungen getroffen, »um die operationellen Fähigkeiten der Kräfte im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) zu unterstützen«.

Derweil verstärken die USA ihr militärisches Engagement in Irak. Rund 130 weitere US-Militärberater trafen nach Angaben von US-Verteidigungsminister Chuck Hagel im Norden des Landes ein. Sie seien bereits am Dienstag in Erbil angekommen, sagte Hagel dem Politikportal »Politico.com«. Erbil ist die Hauptstadt der kurdischen Autonomiegebiete. Mit der Entsendung steigt die Zahl der in Irak stationierten US-Soldaten auf fast 1000. Laut Hagel sollen die neuen Berater feststellen, welche weiteren Schritte beim humanitären Einsatz zum Schutz der Flüchtlinge unternommen werden können. An Kampfhandlungen sollen sie sich seinen Angaben zufolge nicht beteiligen. Die USA würden keine Kampftruppen entsenden, bekräftigte Hagel. US-Präsident Barack Obama hatte zuvor bereits rund 300 Soldaten geschickt, um irakische Sicherheitskräfte zu unterstützen und die US-Botschaft in Bagdad zu schützen.

*** Aus: neues deutschland, Donnerstag 14. August 2014


Dumme Kriege

Olaf Standke über den Druck auf Obamas Irak-Politik ****

Nun sind es schon 1000 US-amerikanische Soldaten, die Präsident Barak Obama nach Irak geschickt hat. Auch die jüngste Entsendung läuft unter der Überschrift: Militärberater. Das Weiße Haus nutzt jede Gelegenheit, um zu betonen, dass man auf keinen Fall an Bodentruppen denke. »Ich lehne nicht alle Kriege ab. Was ich ablehne, ist ein dummer Krieg. Was ich ablehne, ist ein unüberlegter Krieg.« So sprach der Abgeordnete Obama 2002 auf einer Kundgebung gegen den drohenden Irak-Feldzug der Bush-Regierung.

Obama hat dann auch als Oberkommandierender die US-Truppen aus dem Zweistromland zurückgeholt – es aber versäumt, viel früher und viel stärker auf eine friedliche Nachkriegsordnung in Irak zu drängen, die alle Bevölkerungsgruppen in den politischen Prozess einbezieht. Nun wächst die Gefahr eines nächsten dummen Krieges – weil die Luftangriffe an der kurdischen Front gegen Islamisten, die von US-Partnern in der Region unbehelligt hochgerüstet und logistisch unterstützt werden, bislang wirkungslos blieben; weil der Druck der Republikaner im Jahr der Kongresswahlen daheim wächst, mit Hilfe des Pentagons endlich wieder amerikanische Führungsstärke zu demonstrieren; und weil man es in Washington erneut versäumt, alle Möglichkeiten dringend notwendiger ziviler Hilfe für die Kämpfer gegen den Islamischen Staat auszuschöpfen. br>
**** Aus: neues deutschland, Donnerstag 14. August 2014 (Kommentar)


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