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Terroroffensive im Irak

Überfälle islamistischer Kommandos auf Bildungseinrichtungen

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Eine Schule in Mossul und eine Universität in Ramadi waren am Pfingstwochenende Ziel von Angriffen im Irak. Am Samstag hatten Kämpfer des »Islamischen Staates im Irak und in der Levante« (ISIL) die Anbar-Universität in der westirakischen Stadt Ramadi überfallen. Eine unbekannte Zahl von Studierenden wurde als Geiseln genommen, etwa 1000 anderen gelang die Flucht. Ebenfalls am Samstag geriet eine Schule in der nordirakischen Stadt Mossul ins Kreuzfeuer von bewaffneten Gruppen und Regierungstruppen. Die UN-Kinderhilfsorganisation UNICEF erklärte, die Schule sei gezielt mit Mörsergranaten beschossen worden, Kinder wurden getötet. Bei weiteren Angriffen am Sonntag verloren 20 Menschen in Bagdad ihr Leben und 80 Personen wurden zum Teil schwer verletzt. Ebenfalls am Sonntag starben im übrigen Irka mindestens 36 Soldaten und Kämpfer.

Seit Ende 2013 bekämpft die irakische Armee den ISIL, der sowohl in Syrien als auch im Irak »Ungläubige«, d.h. schiitische Muslime überfällt. Im Irak gibt es verschiedene Bündnisse von ISIL mit lokalen westirakischen Stammesverbänden, die der Regierung in Bagdad vorwerfen, sie zu drangsalieren und politisch auszugrenzen. Nach UN-Angaben sind seit Beginn der Kämpfe eine halbe Million Menschen aus der Provinz Anbar geflohen.

In einem am Sonnabend auf Spiegel online verbreiteten Interview sagte der ehemalige UN-Sonderbeauftragte für Syrien, Lakhdar Brahimi, die Gruppe ISIL sei an politischen Veränderungen nicht interessiert, sondern wolle eine »neue Ordnung« installieren. Es bestehe die Gefahr, »daß die ganze Region explodiert«. ISIL sei »sowohl in Syrien als auch im Irak aktiv« und habe Hunderte Kämpfer aus europäischen Staaten unter Waffen. »In den letzten drei Monaten hat ISIL in Syrien 100 Angriffe durchgeführt, im Irak 1000«, zitierte Brahimi einen irakischen Offiziellen. Richard Barret, ehemaliger oberster Antiterrorbeauftragter des britischen Geheimdienstes MI6 und Vizepräsident der Soufan-Gruppe, einem US-amerikanischen Privatunternehmen für Sicherheit und Aufklärung geht davon aus, daß etwa 12000 Ausländer in Syrien kämpfen, darunter 3000 aus westlichen Staaten.

In der EU wird der »Islamische Staat im Irak und in der Levante« als »Terrororganisation« eingestuft. Beim letzten G-7-Gipfel in Brüssel stand das Thema europäischer ISIL-Kämpfer und -Rückkehrer ganz oben auf der Agenda. Der aktuelle ISIL-Führer Abu Bakr Al-Baghdadi wird von westlichen Geheimdiensten als einflußreicher eingestuft, als Al-Qaida-Führer Aiman Al-Sawahiri.

Wie andere bewaffnete Gruppen in der Region, darunter die Nusra-Front und die Islamische Front, ist auch der ISIL ursprünglich vom saudischen Geheimdienst, von weiteren Golfkooperationsstaaten und der Türkei finanziert und bewaffnet worden, um sowohl die syrische als auch die irakische Regierung zu destabilisieren. Im Laufe der letzten drei Jahre haben die Kampfverbände zunehmend ein Eigenleben entwickelt. Auf Druck der USA wurde der ISIL in Saudi-Arabien und in den anderen Staaten des Golfkooperationsrates Anfang 2014 auf die Terrorliste gesetzt. Die Gruppen der Islamischen Front hingegen sollen als »moderate Kampfverbände« vom Westen und den Golfstaaten weiter gegen die Führung in Damaskus und gegen die Gotteskrieger unterstützt werden. Das wiederum stärkt die Motivation des ISIL, sich zukünftig nicht nur gegen die »Ungläubigen« in Syrien und Irak zu wenden, sondern auch gegen ihre ursprünglichen Auftraggeber.

* Aus: junge Welt, Dienstag 10. Juni 2014


Islamisten kontrollieren Mossul

Irakische Regierung verliert Herrschaft über Norden des Landes **

Kämpfer des »Islamischen Staats im Irak und in Syrien« (ISIS) haben im Norden des Irak nach tagelangen Kämpfen die Stadt Mossul eingenommen. Der Gouverneur der Provinz Nineveh, Athil Al-Nudschaifi, sagte dem Nachrichtensender Al-Arabija am Dienstag, die Regierungstruppen hätten sich zurückgezogen. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) sprach davon, daß bereits rund eine halbe Million Menschen aus der Stadt geflohen seien. Nach Angaben des Nachrichtenportals Sumaria News drangen die Kämpfer auch in Gefängnisse ein und ließen mehr als 1400 Häftlinge frei. Zudem übernahmen sie demnach die Kontrolle über den Flughafen, mehrere Regierungsgebäude sowie zwei Fernsehsender.

Die Gruppe gehört zu den radikalsten Sunnitengruppen, die im arabischen Raum einen islamischen Gottesstaat errichten wollen. Seit Januar kontrolliert sie bereits Gebiete der westirakischen Provinz Al-Anbar. Auch in Syrien ist die ISIS aktiv.

Der irakische Ministerpräsident Nuri Al-Maliki rief das Parlament in Bagdad auf, über Mossul den Notstand zu verhängen. Im staatlichen Fernsehen appellierte er zudem an die Iraker, sich den »Terroristen« entgegenzustellen. Das Kabinett habe einen Krisenstab eingerichtet, der sich mit der Rekrutierung von Freiwilligen sowie deren Ausrüstung und Bewaffnung befassen solle, erklärte Maliki.

In Berlin rief die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (Die Linke) die Bundesregierung auf, »die Terrorkampagne der ISIS im Norden des Iraks und Syriens unmißverständlich zu verurteilen«. Mit der Eroberung der Millionenstadt Mossul habe »der Terror einen neuen Höhepunkt« erreicht.

Auch in anderen Landesteilen reißt die Gewalt nicht ab. Am Dienstag wurden bei einem Bombenanschlag auf eine Beerdigung in Baakuba nördlich von Bagdad mindestens 20 Menschen getötet und 28 verletzt. Drei weitere Menschen wurden bei Anschlägen in der Hauptstadt getötet.

** Aus: junge Welt, Mittwoch 11. Juni 2014


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