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Tankstelle Kurdistan

Deutsche Wirtschaftskreise haben die nordirakischen Energieressourcen schon seit Jahren fest im Blick

Von Jörg Kronauer *

Entsteht im Nordirak ein kurdischer Staat? Es sieht ganz danach aus, meint Friedbert Pflüger. Es sei zwar gut möglich, daß die Zentralregierung in Bagdad und die Autonomieregierung in Erbil für den Kampf gegen den »Islamischen Staat« (IS) noch einmal gemeinsame Sache machten. Wahrscheinlicher aber sei auf lange Sicht die Abspaltung des Gebiets, urteilt der ehemalige CDU-Außenpolitiker, der es bis zum Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium brachte, bevor er 2009 aus der Politik ins Beratergeschäft zu wechseln begann. Aus westlicher Sicht sei das alles jedoch kein Problem, schreibt Pflüger, der sich auch als Leiter des Rohstoff-Arbeitskreises der »Atlantik-Brücke« betätigt, in einem aktuellen Onlinebeitrag für die Fachzeitschrift Internationale Politik: Ganz unabhängig von der Sezessionsfrage sei »die Unterstützung des Westens für die kurdische Region« im aktuellen Kampf gegen den IS »eine humanitäre und geopolitische Aufgabe ersten Ranges«.

Geopolitisch? Aber sicher. »Irak-Kurdistan« sei »eine Energiegroßmacht«, stellt Pflüger trocken fest. Bereits ohne Kirkuk sei die Region mit ihren »geschätzten 45 Milliarden Barrel Ölreserven zu einem beachtlichen Player auf der Bühne der globalen Energiepolitik geworden«. Nach der Einnahme von Kirkuk im Juni verfüge Erbil nun sogar »über die neunt­größten Öl-Vorkommen der Welt« – mehr als Libyen. Die Erdgasvorräte der Region, selbst ohne diejenigen in Kirkuk »nicht weniger als 5,7 Billionen Kubikmeter«, seien »sogar die achtgrößten der Welt«. Und vor allem: Die Bodenschätze stehen dem Westen konkurrenzlos zur Verfügung. Erbil habe »gegen den Willen Bagdads, aber in enger Zusammenarbeit mit Ankara eine eigene Pipeline in die Türkei gebaut«, erinnert Pflüger: »Erstmals gelangte im Mai dieses Jahres kurdisches Öl über den türkischen Hafen Ceyhan per Tanker nach Europa und in die USA.« In einer Zeit, in der die Suche nach Alternativen zu russischen Energierohstoffen auf Hochtouren läuft, ist die Aussicht auf einen potenten neuen Lieferanten besonders viel wert.

Interessierte Kreise in Deutschland haben die nordirakischen Ressourcen seit Jahren fest im Blick. Ende August 2010 schloß der Essener RWE-Konzern sogar schon einmal eine Kooperationsvereinbarung mit der Regionalregierung in Erbil, um sich Zugriff auf das dortige Erdgas zu verschaffen. RWE beteiligte sich damals an den Planungen für die »Nabucco«-Pipeline, die Erdgas aus dem Kaspischen Becken nach Europa leiten sollte, und bemühte sich um zusätzliche Lieferanten für die Röhre. Die Kooperationsvereinbarung mit Erbil führte allerdings zu heftigem Ärger mit Bagdad: Die Zentralregierung pochte auf ihr Mitbestimmungsrecht in Rohstoffragen – auch, weil sie sich wohl im klaren war, daß eine Pipelineverbindung über die Türkei zum Mittelmeer Erbil viel Geld und damit die Möglichkeit zur Sezession verschaffen würde. Für den RWE-Deal setzte sich Anfang 2011 der damalige Entwicklungsminister Dirk Niebel persönlich in der irakischen Hauptstadt ein – vergeblich: Das Vorhaben scheiterte. Pluspunkte in Berlin hat die irakische Regierung sich damit nicht verschafft.

In der Tat: Als die CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 20. März 2013 zu einem Kongreß über »Außenpolitische Aspekte der deutschen Rohstoff- und Energiesicherheit« in den Reichstag lud, da sprach – in Anwesenheit von Klaus Schäfer, damals Vorstandschef von E.on Ruhrgas – auch Nechirvan Barzani, aber niemand aus Bagdad. Der Ministerpräsident der kurdischen Autonomieregion, ein Neffe des Autonomiepräsidenten Massud Barzani, pries die Erdgasvorräte des Gebietes an – und tat das erneut, als er tags drauf bei Bundeskanzlerin Merkel vorsprach. »Die riesigen Öl- und Gasvorräte, die in Kurdistan seit 2007 entdeckt wurden«, seien »wichtig für die künftige Energieversorgung Europas«, warb Dilschad Barzani, Repräsentant der Autonomieregierung in Deutschland und Bruder des Autonomiepräsidenten, kürzlich in einer PR-Broschüre aus Erbil. Zu den einflußreichsten Lobbyisten in puncto nordirakisches Gas zählt freilich Friedbert Pflüger, der unter anderem die Beratungsfirma »KGE Business Alliances« mit Filialen in Berlin und Erbil betreibt (»KGE« steht für »Kurdish German European«). Als die »Atlantik-Brücke« am 2. Juli auf einem Symposium in Berlin über Alternativen zu russischen Energierohstoffen beriet, da empfahl Pflüger neben Schiefergas aus den USA auch dringend Erdgas aus »Irak/Kurdistan«.

Und wenn die kurdische Autonomieregion einen eigenen Staat gründet, gestützt auf Einkünfte aus dem Öl- und Gasverkauf in die westliche Welt? Für Pflüger ginge das völlig in Ordnung. In der Internationalen Politik verweist er darauf, daß Erbil derzeit überraschenderweise »die meiste Unterstützung« aus Ankara erhält. Die Regierung Erdogan hat – auch auf Druck aus Washington nach dem Irak-Krieg von 2003 – ihre Wirtschaftskontakte in den Nordirak intensiviert, um das Gebiet zu stabilisieren, und dabei im Laufe der Zeit ihre Haltung zu einem etwaigen irakisch-kurdischen Staat revidiert. Dieser wäre ökonomisch vollkommen abhängig von der Türkei – bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) war bereits von »einer Art türkischem Protektorat« die Rede – und könnte ihr seinerseits günstige Rohstoffe liefern. Zudem wäre er für Ankara ein nützlicher »Puffer zu den Bürgerkriegsgebieten in Syrien und im Irak«, urteilt Pflüger. Mit einem stabil an die Türkei angebundenen Gaslieferanten »Kurdistan« könnte auch Berlin gut leben – besser vielleicht als mit einer Autonomieregion, die im Streit mit der Zentralregierung liegt und deshalb, wie RWE leidvoll erfahren mußte, ein unzuverlässiger Geschäftspartner ist.

* Aus: junge Welt, Montag 25. August 2014


»Unnatürliche Staaten«

US-Spaltungspläne für den Mittleren Osten

Von Jörg Kronauer **


Ein »Freies Kurdistan« – das hat bereits im Juni 2006 Ralph Peters gefordert. Der ultrarechte US-Publizist, der es im Military Intelligence Corps der U.S. Army bis zum Oberstleutnant brachte, publizierte damals einen Artikel und eine Landkarte in der US-Militärzeitschrift Armed Forces Journal. Der Bürgerkrieg im Irak eskalierte gerade, und Peters meinte, einen Lösungsvorschlag in die Debatte werfen zu müssen, den so manche US-Militärs bereits 2003 befürwortet hatten: Man solle den Irak in drei Teile zerlegen. Die nah- und mittelöstlichen Grenzen, einst von den Kolonialmächten gezogen, entsprächen den ethnisch-religiösen Verhältnissen nicht; nur wenn man sie neu ziehe, also ethnisch bzw. religiös halbwegs »reine« Gebilde schaffe, dann könne man die Region befrieden. Iran etwa, »ein Staat mit verrückten Grenzen«, habe seine arabischsprachigen Landesteile abzutreten. Pakistan, »ein anderer unnatürlicher Staat«, müsse große Gebiete Afghanistan und einem neu zu gründenden »Belutschistan« überlassen. Irak, »ein Staat wie Frankensteins Monster«, sei dreizuteilen: in einen schiitischen Staat im Süden, einen kurdischen Staat im Norden und einen sunnitischen Rest. Und wenn man schon dabei sei, dann könne man den Nordirak auch gleich mit den kurdischen Gebieten Syriens, Irans und der Türkei zu einem »Freien Kurdistan« zusammenschließen.

Peters’ Konzept hat es zu George W. Bushs Zeiten nicht geschafft, aus dem rechten Sumpf in die Sphären der breiten öffentlichen Debatte oder gar der etablierten Politik aufzusteigen. Erst Ende September 2013 sind völkisch-religiöse Spaltungspläne für die arabische Welt an prominenter Stelle aufgetaucht – in einem Beitrag der bekannten Publizistin Robin Wright in der renommierten New York Times. Kurz zuvor hatte US-Präsident Barack Obama den angekündigten Überfall auf Syrien abgeblasen; mit dem Sturz Baschar Al-Assads und der Einsetzung einer prowestlichen Marionette in Damaskus war also auf die Schnelle nicht zu rechnen. Wright, unter anderem als Mitarbeiterin des staatsfinanzierten »United States Institute of Peace« fest im Establishment verankert, schlug nun ihrerseits vor, Syrien und darüber hinaus den gesamten Nahen und Mittleren Osten zu zerstückeln – in Kleinstaaten, die machtlos und bequem in Abhängigkeit zu halten wären. Aus Westsyrien wollte sie »Alawitestan« machen, aus dem Südirak »Shiitestan«, Ostsyrien und den Westirak verschmolz sie zu »Sunnistan«, die kurdischsprachigen Gebiete Syriens und des Irak zu »Kurdistan«. In der Tat – so könnte Assad auch ohne seinen Sturz seiner einstigen Macht beraubt werden.

Auch wenn die westlichen Regierungen sich gegenwärtig – jedenfalls offiziell – noch gegen derlei Spaltungspläne aussprechen: Die Kriege, die der Westen über den Nahen und den Mittleren Osten gebracht hat, begünstigen die Zerschlagung von Staaten in machtlose Protektorate. Das hat Ralph Peters wohl geahnt. Es sei »ein schmutziges kleines Geheimnis aus 5000 Jahren Geschichte«, schrieb er 2006: »Ethnische Säuberung funktioniert.«

* Aus: junge Welt, Montag 25. August 2014

Hintergrund: Berlins Aktivitäten im Nordirak

Käme es zur Gründung eines kurdischen Staates auf dem Territorium des Nordirak, dann wäre die Bundesrepublik gut aufgestellt. Sie bemüht sich um eine Stärkung ihrer Präsenz in der Hauptstadt Erbil, seit die designierte Bundeskanzlerin Angela Merkel Anfang November 2005 den Präsidenten der Autonomen Region Kurdistan, Massud Barzani, empfing. Damals ging es darum, den Irak zu konsolidieren; nach den Auseinandersetzungen zwischen Bundeskanzler Schröder und US-Präsident Bush sah man in Berlin die Chance, mit stabilisierenden Aktivitäten im Nordirak den USA einen Gefallen zu tun und gleichzeitig die Expansion deutscher Firmen voranzutreiben.

Anfangs verlief die Sache recht stockend – nicht zuletzt natürlich wegen der Gewalteskalation im Irak. Ende 2008 gewannen die Berliner Aktivitäten dann an Fahrt. Zunächst richtete das Goethe-Institut in Erbil einen »Dialogpunkt Deutsch« ein; Anfang 2009 eröffnete das Auswärtige Amt ein Generalkonsulat in der Hauptstadt der Autonomieregion. Dann nahm dort ein aus Deutschland finanziertes »European Technology and Training Center« die Arbeit auf, das Fachkräfte nach deutschen Standards schult – unter anderem Ministerialbeamte – und im Auswärtigen Amt als eine Art »Führungsakademie« bezeichnet wird.

2010 intensivierte Berlin seine Aktivitäten – wie’s der Zufall will, genau zu dem Zeitpunkt, als sich RWE um Zugriff auf das nordirakische Erdgas bemühte. Zunächst eröffnete in Erbil das »Deutsche Wirtschaftsbüro« – als »Brückenbauer zwischen dem irakisch-kurdischen und dem deutschen Markt« –, dann eine »Deutsche Schule«. 2011 folgte ein Informationszentrum des DAAD. Dennoch klagte Kurdistan-Lobbyist Friedbert Pflüger damals, deutsche Firmen seien im Nordirak trotz aller Bemühungen der Bundesregierung »nur wenig präsent«: »Sie verkennen den Stabilitätsgewinn des Nordirak, der dem kurdischen Volk erstmals in seiner Geschichte die Chance auf Eigenständigkeit bietet.« Nun – der Kampf gegen den »Islamischen Staat« (IS) setzt vorerst ein dickes Fragezeichen hinter den »Stabilitätsgewinn«. Doch sollte die Region sich konsolidieren und tatsächlich einen Staat »Kurdistan« gründen: Der deutsche Staat wäre schon lange präsent.

(jk)




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