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Neue Gräuel der Islamisten oder falsche Propaganda?

Irritationen um angebliche Fatwa zur Beschneidung von Frauen im syrisch-irakischen »Kalifat«

Von Karin Leukefeld *

Die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) soll ein religiöses Gutachten (Fatwa) zur Beschneidung aller Frauen im Alter zwischen 11 und 45 Jahren erlassen haben.

Nach Angaben der stellvertretenden UN-Gesandten in Irak, Jacqueline Badcok, soll die Beschneidungs-Fatwa der IS Frauen in dem Gebiet betreffen, das die Gruppe als »Kalifat« bezeichnet und das teilweise im Osten Syriens und im Westen Iraks liegt. Unklar sei, wie viele Frauen nun von der Fatwa betroffen sein könnten, sagte Badcock in einer in Genf ausgestrahlten Videokonferenz. Nach UN-Angaben leben in dem betroffenen Gebiet etwa vier Millionen Mädchen und Frauen in dem Alter. Bisher sei die Praxis der Genitalbeschneidung in Irak nicht weit verbreitet und nur »in einigen isolierten Regionen« üblich gewesen.

In Mossul, das am 10. Juni von den Kampfverbänden eingenommen worden war, werden religiöse und ethnische Minderheiten verfolgt. Inzwischen lebten dort nur noch 20 christliche Familien, sagte Badcock. Einige Christen-Familien seien unter dem Verfolgungsdruck zum Islam konvertiert, andere hätten es vorgezogen, eine von der IS verhängte Strafe zu zahlen. Die meisten Christen sind inzwischen aus der einst multireligiösen Metropole geflohen.

Kurze Zeit nach der Erklärung der UN-Diplomatin waren in verschiedenen Medien Zweifel an der Richtigkeit der Fatwa aufgetaucht. BBC zitierte »Medienanalysten«, die darauf hinwiesen, dass die Erklärung über »soziale Medien« verbreitet worden und vermutlich eine Fälschung sei. Sie stimme »in Art und Sprache« nicht mit den anderen Erklärungen der Gruppe überein. Außerdem sei sie mit »Islamischer Staat in Irak und in der Levante« unterzeichnet, ein Name, den die Gruppe nicht mehr benutzt, seit sie sich zum »Islamischen Staat« erklärt hat. Einige Blogger, so die BBC, hätten darauf hingewiesen, dass die Fälschung vermutlich gestreut worden sei, um die Gruppe in Misskredit zu bringen. Diese Blogger könnten wiederum der Gruppe zugetan sein. Korrespondenten des National Public Radio hatten versucht, die Richtigkeit der Meldung zu überprüfen und ihre Kontakte in Mossul befragt, die von der Anordnung nichts gehört hätten.

Der US-amerikanische Think Tank »Center for American Progress«, der der Demokratischen Partei nahesteht und Medien sowie Öffentlichkeit über das Internetportal »Think Progress« mit Studien, Nachrichten und Berichten bedient, wies darauf hin, dass die Gruppe seit Monaten in Rakka herrsche, derartige Maßnahmen gegen die Frauen aber dort nicht ergriffen habe. Zitiert wird unter anderen eine unabhängige Journalistin mit den Worten: «ISIS ist für viele Gräueltaten verantwortlich, aber diese Geschichte ist erfunden und bedient die Emotionen westlicher Öffentlichkeit.«

Die Gruppe Islamischer Staat hat das von ihr besetzte Gebiet in Irak und Syrien zum »Kalifat« – Gottesstaat – erklärt und als Rechtssystem die Scharia ausgerufen. Menschen werden gezwungen, ihren Glauben aufzugeben oder Schutzgeld zu zahlen.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 26. Juli 2014


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