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Der kurdische Flickenteppich

Diverse Gruppen in Irak und Syrien kämpfen gegen die Miliz "Islamischer Staat"

Von Karin Leukefeld *

An Waffen fehlt es in Irak nicht, unabhängig davon, ob aus Deutschland noch mehr als Unimogs und Schutzwesten geliefert werden. Um die Waffen konkurrieren mehrere kurdische Gruppen.

Zehn Millionen US-Dollar hat der kurdische Ministerpräsident Neschirvan Barsani dieser Tage für die Inlandsvertriebenen in Dohuk zur Verfügung gestellt und stockte damit die bereits geleistete Hilfe auf 25 Millionen US-Dollar auf.

Viele internationale Hilfsorganisationen seien gekommen, um den Vertriebenen zu helfen, so Barsani. Die Peschmerga, die kurdischen Streitkräfte, würden »die Terroristen schlagen und erfolgreich sein, sobald die erbetenen Waffen und Munition eingetroffen sind«.

Waffen sind also mit und ohne Deutschland schon auf dem Weg: aus den USA, Kanada und Australien, aus Frankreich und Großbritannien, aus Tschechien und Italien. Doch wer wird diese Waffen erhalten?

Offiziell heißt es, dass Waffen und Ausrüstung an die Peschmerga (Übersetzung: Diejenigen, die dem Tod ins Auge sehen) im kurdischen Nordirak geliefert werden. Gemeint sind vermutlich die Kämpfer, die Präsident Massud Barsani (Vater des Ministerpräsidenten Neschirvan Barsani) gehorchen. Die Barsanis führen den mächtigsten kurdischen Klan in Nordirak und die 1946 gegründete Demokratische Partei Kurdistans (KDP) ist heute die Regierungspartei der Barsanis.

Peschmergakämpfer gibt es aber auch im Sold der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), die vom Talabani- Klan geführt wird, der bis vor Kurzem mit Dschalal Talabani den irakischen Präsidenten stellte. Die PUK spaltete sich 1975 von der KDP ab. Mehrmals lieferten sich beide Parteien blutige Machtkämpfe, zuletzt in den 90er Jahren, im Schutz des »sicheren Hafens« Irak. Die USA und westliche Staaten, die damals in dem »sicheren Hafen« vielen Interessen nachgingen, schätzten die Situation so brenzlig ein, dass sie humanitäre und Geheimdienstmitarbeiter evakuierten. Die KDP erhielt Unterstützung aus der Türkei, die PUK aus Iran – und von Saddam Hussein. Neben KDP und PUK gibt es Goran, die Partei des Wandels, die ebenfalls über bewaffnete Kämpfer verfügt, wie übrigens jede andere politische Organisation und sei sie noch so klein.

Der »Islamische Staat« unterhält bereits mitten in den kurdischen Gebieten eine feste Bastion. Gemeint ist die Islamische Bewegung Kurdistan, die der Bewegung der Muslimbruderschaft nahestand. In einem Prozess innerer Zerwürfnisse entstanden die salafistisch ausgerichteten Jund al-Islam (Soldaten des Islam) und die Ansar al-Islam (Helfer des Islam). Inzwischen gibt es eine Kurdische Islamische Front (KIF), die sich auch aus Kurden in der Provinz Aleppo rekrutiert.

Im Krieg in Syrien kämpfte die KIF zunächst an der Seite der Al-Nusra-Front und später auch des »Islamischen Staates in Irak und der Levante« (ISIS). Auch an Angriffen auf die kurdischen Volksverteidigungskräfte (PYD) in Syrien war und ist KIF beteiligt. Die in Syrien entstandene Partei der demokratischen Einheit (PYD) ist säkular und modern ausgerichtet, sie zeichnet sich besonders durch die Gleichberechtigung der Frauen aus, die sowohl politisch als auch militärisch kämpfen. Das verbindet sie mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die 1978 in der Türkei entstanden ist. In Europa, den USA und in der Türkei ist die PKK als »terroristische Organisation« verboten und wird verfolgt. Das Militärkommando der PKK sitzt im kurdischen Nordirak (Qandilberge), wo es vor wenigen Tagen ungewöhnlichen Besuch erhielt. Der kurdische Präsident Massud Barsani kam persönlich vorbei und verständigte sich mit den PKK-Kommandanten auf die militärische Zusammenarbeit beim Kampf gegen den »Islamischen Staat«. Barsani kennt die Stärke der PKK-Guerilla und weiß, dass die Wiedereroberung von Makhmour und die tatsächliche Rettung der Jesiden im Sindschar-Gebirge der PKK und der PYD aus Syrien zu verdanken ist.

Während die Peschmerga sich aus Sindschar vor den heranrückenden IS-Truppen zurückgezogen hatten, halfen PYD und PKK-Kämpfer den bedrängten Jesiden vom Sindschar herunter und führten sie über den Tigris zunächst nach Syrien. Von dort wurden sie zurück nach Dohuk gebracht. Manche Jesiden sind allerdings im irakisch-syrischen Grenzgebiet geblieben und haben inzwischen – mit Hilfe der PYD – einen eigenen militärischen Verteidigungsverband aufgestellt.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag 21. August 2014


Geister, die sie riefen

IS-Dschihadisten töten entführten US-Journalisten und drohen mit weiterem Mord

Von Karin Leukefeld **


Der maskierte, schwarz gekleidete Mann hatte dem Titel der am Dienstag bei Youtube eingestellten Videoaufzeichnung zufolge »eine Botschaft an die USA«. Im Hintergrund des fünfminütigen Films ist eine nicht zu lokalisierende Wüstenlandschaft zu sehen. »Als Regierung führen sie die Aggression gegen den Islamischen Staat an. Sie haben sich gegen uns verschworen und nach Gründen gesucht, um sich in unsere Angelegenheiten einzumischen. Ihre Luftwaffe greift uns täglich im Irak an, Ihre Angriffe haben Muslime getötet«, wütet der Kämpfer, der offensichtlich der Gruppe »Islamischer Staat« (IS) angehört. Neben ihm kniet ein Mann in einem orangen Umhang, bei dem es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um den US-amerikanischen Journalisten James Foley handelt. Der Kämpfer fuchtelt mit einem Messer. Schließlich durchtrennt er seinem Opfer die Kehle, anschließend wird ein Bild des abgetrennten Hauptes gezeigt, das auf dem Rumpf der Leiche liegt.

Das Video wurde inzwischen als authentisch eingestuft. »Wir sind keine Aufständischen mehr, wir sind eine islamische Armee und ein Staat, der von vielen Muslimen in aller Welt anerkannt wird«, behauptet der IS-Kämpfer in dem Video und folgert: »Damit wird jede Aggression gegen den ›Islamischen Staat‹ eine Aggression gegen Muslime aus allen Teilen der Gesellschaft, die das islamische Kalifat als ihre Regierung anerkennen.« Foley war vorab offensichtlich dazu gezwungen worden, die US-Regierung als seine »wirklichen Mörder« zu bezeichnen. »Jeder Versuch von Ihnen, Obama, den Muslimen das Recht zu versagen, in Sicherheit unter einem islamischen Kalifat zu leben, wird zu Blutvergießen führen«, sagt der IS-Mann schließlich noch vor dem Mord. Die Art der Tötung erinnert stark an die Exekutionen der Al-Qaida unter Abu Mussab Al-Sarkawi zwischen 2003 und 2006 im Irak.

Foley, der für die US-Zeitung Global Post, die französische Nachrichtenagentur AFP und andere Medien seit Anfang 2012 aus Syrien berichtet hatte, war mit verschiedenen Kampfverbänden unter anderem in Aleppo unterwegs, bevor er im November 2012 in der Provinz Idlib verschwand. Seine Eltern hatten die Entführer mehrfach um die Freilassung ihres Sohnes gebeten.

Sein Mörder, der in der mittelalterlichen Pose eines Henkers auftritt, spricht gutes Englisch mit britischem Akzent. Nach der Hinrichtung führt er einen weiteren Mann in Orange vor die Kamera und erklärt an die Adresse von US-Präsident Obama, daß das Leben des Mannes von »Ihrer nächsten Entscheidung abhängt«. Bei dem zweiten Mann handelt es sich offenbar ebenfalls um einen US-amerikanischen Journalisten, Steven Joel Sotloff. Er arbeitete unter anderem für das in New York erscheinende Magazin Time und war im Juli 2013 in Nordsyrien nahe der Grenze zur Türkei entführt worden.

Die Nachrichtenagentur Reuters gab unter Berufung auf die in London ansässige »Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte« an, daß der IS im Juli in Syrien über eine neue Rekordzahl an Kämpfern verfügt habe. Etwa 6300 Männer hätten sich der Miliz angeschlossen, ein Fünftel davon seien Ausländer. Insgesamt soll die Gruppe über 50000 Kämpfer verfügen, 20000 von ihnen stammten nicht aus dem Land. Die meisten ausländischen IS-Kämpfer kommen über die Türkei nach Syrien.

Bei den aktuellen Angriffen auf die Stellungen des »Islamischen Staates« in Irak und Syrien scheinen sich die USA und Syrien offenbar abzusprechen. Unmittelbar nachdem US-Kampfjets und Drohnen ihre Angriffe westlich der nordirakischen Stadt Mossul begonnen hatten, wurde die IS-Hochburg Rakka in Syrien erstmals von der syrischen Luftwaffe angegriffen. Die US-Luftbehörde ordnete gleichzeitig an, daß US-Flugzeuge den syrischen Luftraum nicht überfliegen dürfen. Als Begründung hieß es, daß bewaffnete Gruppen in Syrien über Flugabwehrraketen verfügten. Diese Waffen könnten möglicherweise früher durch mit den USA verbündete Staaten – die »Freunde Syriens« – an Rebellenverbände in Syrien geliefert worden sein.

Die syrischen Streitkräfte hatten bisher die Stadt Rakka weitgehend unbehelligt gelassen, was insbesondere bei syrischen Auslandsoppositionellen dazu führte, der Regierung Assad Komplizenschaft mit dem »Islamischen Staat« vorzuwerfen. Die Streitkräfte mußten ihre Kräfte allerdings auch an anderen Fronten konzentrieren. Verschiedene Kampfverbände griffen die Armee, die bisher bereits mehr als 30000 Soldaten und Offiziere verloren haben dürfte, oft an vielen Orten gleichzeitig an. Rakka und die Gebiete im Osten Syriens könnten dem IS daher aus militärischer Sicht als scheinbar »sicherer Hafen« überlassen worden sein, um dort – nach Befriedung anderer Fronten – schließlich mit massiver militärischer Wucht gegen die Stellungen der Miliz vorzugehen. Die blutig geführten Machtkämpfe der bewaffneten Gruppen untereinander waren der syrischen Armee dabei sicher willkommen.

Entwicklungshilfeminister Gerd Müller warf derweil am Mittwoch im ZDF-»Morgenmagazin« dem Emirat Katar vor, den »Islamischen Staat« zu finanzieren. »Eine Geschichte wie diese hat immer ein Davor«, so Müller. »Wer rüstet, wer finanziert die ISIS-Truppen?« fragte er rhetorisch und antwortete selbst: »Das Stichwort« sei »Katar und die Frage, wie gehen wir mit diesen Staaten politisch um?« Der syrische Vizeaußenminister ­Faisal Mekdad begrüßte unterdessen am Mittwoch die Entscheidung des UN-Sicherheitsrates, der gegen die Unterstützer von IS und Nusra-Front Sanktionen verhängt hatte.

** Aus: junge Welt, Donnerstag 21. August 2014


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