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Vorwürfe gegen Obama

Rechte Hardliner in USA machen den Präsidenten für das Erstarken bewaffneter islamistischer Extremisten im Irak verantwortlich

Von Knut Mellenthin *

Die US-Regierung beschleunige angesichts der Besetzung der Stadt Falludscha durch »Al-Qaida«-Kämpfer ihre militärischen Lieferungen an den Irak, meldeten am Montag viele Mainstream-Medien. Tatsächlich geht es jedoch nur um schon länger vereinbarte Waffenverkäufe, und auch eine Änderung der bisherigen Zeitplanung ist nicht erkennbar. Es war schon im Dezember bekannt, daß die irakischen Streitkräfte in diesem Jahr 75 »Hellfire«-Raketen, zehn Aufklärungsdrohnen vom Typ »ScanEagle« und weitere 48 vom Typ »Raven« erhalten sollen. Die »Raven« ist nicht größer als ein Modellflugzeug, wiegt nicht einmal zwei Kilo, hat eine Flugzeit von höchstens 90 Minuten und kann aus der Hand gestartet werden. Sie ist die am häufigsten exportierte Drohne der USA. Die Liefertermine für die einzelnen Geräte wurden bisher nicht öffentlich mitgeteilt.

Ungewiß ist auch, wann die durch drei Kriege stark reduzierte irakische Luftwaffe die dringend gewünschten F-16-Düsenjäger – 36 Stück sollen es insgesamt werden – erhalten wird. Nach mehrfachen Verschiebungen heißt es nun, daß die ersten im Herbst geliefert werden sollen. Die von Bagdad schon länger begehrten sechs »Apache«-Kampfhubschrauber sind derzeit vom Senat blockiert. Die maßgeblichen rechten Hardliner im Kongreß lehnen zwar Waffenverkäufe an den Irak nicht grundsätzlich ab, wollen sie aber stärker zur Erpressung der Regierung in Bagdad nutzen. An erster Stelle steht dabei das Ziel, die enge Zusammenarbeit Iraks mit dem Nachbarland Iran zu stören.

Solche Erpressungsversuche sind aber nicht sehr wirkungsvoll, weil Bagdad nicht unbedingt auf die USA angewiesen ist. Im Herbst 2012 vereinbarte Irak einen Waffendeal mit Rußland mit dem beeindruckenden Volumen von 4,3 Milliarden Dollar. Bestandteil sind unter anderem 40 Kampfhubschrauber und 48 Luftabwehrsysteme. Die ersten vier Hubschrauber trafen im November im Irak ein.

Neben Rußland hat auch Frankreich schon sein Interesse angemeldet, dem Irak mit Waffen, Ausbildern und »nachrichtendienstlicher Zusammenarbeit« behilflich zu sein. Trotzdem bleiben die USA vorläufig mit großem Abstand Bagdads bedeutendster militärischer Lieferant. Seit 2005 haben sie der dortigen Regierung Waffen im Wert von über 14 Milliarden Dollar verkauft.

Für die republikanischen Hardliner um John McCain und Lindsey Graham ist Irak hauptsächlich ein Thema der Propaganda gegen Präsident Barack Obama. In einer gemeinsamen Erklärung warfen die beiden Senatoren Obama am Sonnabend vor, er sei für die »ebenso tragische wie vorhersehbare« Einnahme Falludschas durch die »Al-Qaida-Anhänger« verantwortlich. Schuld sei nämlich seine im Oktober 2011 getroffene Entscheidung, alle US-Truppen zum Ende jenes Jahres aus dem Zweistromland abzuziehen.

In Wirklichkeit hatte schon Obamas Vorgänger George W. Bush dieses Datum in seinem letzten Amtsjahr 2008 vereinbart. Die damit verbundene Absicht, ungefähr 15000 US-Soldaten auch nach 2011 als »Ausbilder« und »Berater« im Irak zu lassen, scheiterte letztlich an der Weigerung des dortigen Parlaments, den Angehörigen der US-Streitkräfte strafrechtliche Immunität einzuräumen. McCain und Graham, unterstützt vom früheren Oberbefehlshaber im Irak, David Petraeus, behaupten – ohne konkret zu werden – daß dieser Widerstand damals zu überwinden gewesen wäre.

Ebenso nebulös ist ihre nicht näher erläuterte Forderung an die Obama-Administration, Waffenlieferungen an den Irak davon abhängig zu machen, ob Premier Nuri Al-Maliki dazu gebracht werden kann, Sunniten und Kurden an der Macht zu beteiligen. Ein offener Brief in diesem Sinn, den die beiden Senatoren anläßlích des USA-Besuchs von Maliki Ende Oktober 2013 an Obama richteten, wurde auch von ihren Kollegen James Inhofe, Bob Corker, Robert Menendez und Carl Levin unterzeichnet. Die beiden letzteren sind Mitglieder der Demokratischen Partei Obamas.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 8. Januar 2014


US-Waffen schneller nach Irak

Vormarsch sunnitischer Aufständischer hält an **

Nach dem Vormarsch Aufständischer in Irak beschleunigen die USA ihre Waffenlieferungen an die Regierung in Bagdad. Die irakische Armee werde früher als geplant hundert weitere Hellfire-Raketen und zehn zusätzliche Aufklärungsdrohnen vom Typ ScanEagle erhalten, teilte das Pentagon in Washington am Montag mit. Eigene Kampftruppen wird Washington aber nicht nach Irak schicken, wie Oberst Steven Warren bekräftigte.

Bereits im Dezember hatten die USA den irakischen Streitkräften 75 Hellfire-Raketen geliefert. Die Ausrüstung mit hundert weiteren Raketen des Typs war für die kommenden Monate geplant und soll nun vorgezogen werden. Die Raketen können von Hubschraubern und Kampfflugzeugen abgeschossen werden. Die ScanEagles können 24 Stunden lang in der Luft bleiben.

Die angeblich mit Al Qaida verbündete Gruppierung Islamischer Staat im Irak und der Levante (ISIL) hatte in den vergangenen Wochen in der westirakischen Provinz Anbar an Boden gewonnen und am Freitag die Stadt Falludscha unter ihre Kontrolle gebracht. Pentagonsprecher Warren sagte, dass die US-Regierung gemeinsam mit Bagdad an einer Strategie arbeite, um die ISIL-Kämpfer zurückzudrängen. Warren unterstrich aber eine frühere Aussage von Außenminister John Kerry, dass sich die USA nicht mit eigenen Soldaten einschalten.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 8. Januar 2014


Fanal Falludscha

Olaf Standke über den Mehrfrontenkrieg in Irak ***

Ihren angekündigten Sturm auf das von Dschihadisten kontrollierte Falludscha haben die irakischen Streitkräfte am Dienstag verschoben; ihr Versuch, die ebenfalls von Extremisten besetzten Teile von Ramadi zurückzuerobern, scheiterte. Aber sind die Viertel der Provinzhauptstadt wirklich in der Hand der ISIL (Islamischer Staat im Irak und in der Levante)? Oder geht es hier nicht vielmehr um einen weiteren Schlag der schiitisch geführten Regierung von Nuri al-Maliki gegen die unter Saddam Hussein einst herrschenden Sunniten? Das Wiedererstarken islamistischer Terroristen im Zweistromland ist auch Folge dieser verheerenden Politik. Und das Chaos wird komplett, weil offensichtlich ein komplexer Mehrfrontenkrieg tobt, in dem Stammesmilizen je nach Interessenlage Regierungstruppen unterstützen oder bekämpfen.

Falludscha ist aber auch ein Symbol US-amerikanischen Scheiterns. Wohl nirgendwo im Irak-Krieg haben die Besatzungstruppen heftiger gegen Aufständische gekämpft, unter größtem Leid der Zivilbevölkerung. Nach ihrem Abzug hinterließen sie ein in jeder Beziehung zerrüttetes, von ethnischen wie religiösen Gräben durchzogenes Land – das so erst wurde, was einst kriegslegitimierende Lüge war: Operationsfeld für Terroristen. Allein im Vorjahr starben bei Kämpfen und Anschlägen über 8000 Menschen. Und nun glaubt Washington, das Problem mit verstärkten Waffenlieferungen lösen zu können.

*** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 8. Januar 2014 (Kommentar)


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