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Falludscha ist weitgehend unbewohnbar

Reportage und Interview über die Lage der Flüchtlinge

Im Folgenden dokumentieren wir einen Artikel und ein Interview, in denen die Situation in der irakischen Stadt Falludscha Ende Dezember 2004 geschildert wird. Autorin und Interviewerin ist Karin Leukefeld.*



30.000 Menschen demonstrieren in Falludscha

Wenige Tage nach der Veröffentlichung dieser Artikel veröffentlichte Juan Cole (Professor für Geschichte an der University of Michigan) auf seiner Homepage (www.juancole.com) einen Bericht, wonach es am 1. Januar in Falludscha zu einer Demonstration von schätzungsweise 30.000 Einwohnern gekommen sei:

Sunday, January 02, 2005

Thousands of Fallujans Demonstrate

Ash-Sharq al-Awsat Thousands of Fallujans demonstrated on Saturday in front of the main entrance to the largely abandoned city. They demanded that US military forces leave their city and that basic services be restored so that they could return. One eyewitness reporter called in from the scene an estimate of 30,000 demonstrators. [Cole: I saw footage of the demonstration on Arab satellite television, and agree that it was a big, important demonstration, but I'd say it was only a few thousand strong; I suspect that having 30,000 people out by that gate would be a logistics problem--where did their water come from, e.g.]

Some of the placards announced that Fallujans refused to live under a military occupation. They presented a list of demands, which included the facilitation of their return to the city, speedy return of services, rebuilding of the devastated city, and monetary compensation to its inhabitants. They also protested the US military demand that returnees show identification papers. Many said that such papers got left behind in the city when they fled.

Children marched with placards reading "Where is my Father?" or "Where is my house, you supposed Liberators?"
Several demonstrators said that returnees were instructed by the Marines not to eat any food left behind in the city during their absence.

I suppose the implication is that the US used chemicals in its assault on the city, which may have poisoned foodstuffs. This allegation does not make any sense to me, however. I don't think the US did use chemicals, or that it would have risked the public relations backlash from doing so. I also can't imagine what chemicals are in the US inventory that would render food inedible.

The Fallujah demonstration was big enough to be news, but I couldn't find out anything about it via Western newspapers and wire services.

[1/2 Addendum: Kind readers made several suggestions about why the US might have warned against eating food left behind, assuming they did issue such a warning. One reader suggested that cordite and other chemicals released in the course of a high-powered conventional assault on the city could not be good for a person. Another suggested that it had to do with the use of uranium-tipped shells fired by US tanks. Another suggested that US troops as a tactic of war deliberately poisoned food so as to deny it to the guerrillas.)

Quelle: http://www.juancole.com/



Rückkehr nach Falludscha

Die Großstadt 50 Kilometer westlich von Bagdad ist unbewohnbar

Von Karin Leukefeld, Bagdad


Fast 8000 Bewohner Falludschas, die während der US-amerikanischen Großoffensive im November geflohen waren, sind nach Schätzungen der US-Armee in ihre Heimatstadt zurückgekehrt. Die meisten hätten jedoch nur in Augenschein genommen, was von ihrem Hab und Gut geblieben ist, und die Stadt, die eine Viertelmillion Einwohner zählte, wieder verlassen.

Auf Flugblättern hatte die irakische Regierung zur Rückkehr in die Stadt aufgerufen, die als Hochburg des sunnitischen Widerstands ins Fadenkreuz der USA-Militärs geraten war. Den Anfang machten Einwohner des Stadtteils Andalus, 2000 Personen hatte man erwartet. Jede Familie erhalte eine Starthilfe von 150 000 Dinar (100 Dollar), hieß es in dem Aufruf zur Rückkehr. Wessen Haus zerstört sei, der könne eine Wiedergutmachung in Höhe von bis zu 10 000 Dollar beantragen. Wer nicht in sein Haus zurückkehren könne, habe Anrecht auf eine Wohnung in neuen Blocks, die die Regierung bauen werde.

Um in ihre Stadt zu gelangen, mussten sich die Rückkehrer an Kontrollpunkten durchsuchen lassen. Ohne Ausweispapiere war kein Durchkommen. Von denen, die durchkamen, nahm ein USA-Dokumentationstrupp sowohl einen Fingerabdruck als auch eine Aufnahme der Iris zu den Akten. Die US-Amerikaner kündigten an, die Einwohner Falludschas mit besonderen Ausweisen zu versehen.

Was die Rückkehrer erwartete, war schockierend. Ganze Straßenzüge liegen in Schutt und Asche. Ein Mann fand in seinem zerstörten Haus die Leiche eines Verwandten, die von Hunden zerfressen war. Der 65-jährige Muhammad Rabia erzählte Journalisten, er ziehe es vor, wieder ins Flüchtlingslager zurückzukehren. "Ich habe mein Haus und alles verloren, was darin war. Ich dachte, vielleicht noch einige meiner Sachen zu finden, aber alles war zerstört." Ausgebrannte, in sich zusammengesunkene Häuser und Geschäfte, Tierkadaver auf den Straßen, verbrannte Autowracks - Falludscha ist eine Geisterstadt.

Auch wenn die Übergangsregierung es nicht wahrhaben möchte: Falludscha ist nicht bewohnbar. Es gibt weder Strom noch Wasser, auch Lebensmittel und Brennmaterial sind nicht zu haben. Bei nächtlichen Temperaturen um den Nullpunkt ist kein normales, geschweige denn ein Flüchtlingsleben in den Ruinen möglich. Die Seuchengefahr ist groß, die medizinische Versorgung unzulänglich. Abgesehen davon wird in Teilen der Stadt offenbar noch immer gekämpft.

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) hat einem Bericht des UN-Nachrichtendienstes IRIN zufolge eine zweiwöchige Notversorgung für die 200 000 Flüchtlinge aus Falludscha gestartet. Wer die Versorgung für die Menschen in Falludscha nach deren Rückkehr gewährleisten soll, ist unklar. Industrieminister Hashim Al-Hassani erklärte vor Journalisten in Bagdad, die Regierung habe bereits Decken, Kerosin, Lebensmittel, Wasser und Plastikplanen zur Verfügung gestellt. Gemeinsam mit den Soldaten der multinationalen Streitkräfte habe man begonnen, die Stadt von Minen und Munition zu säubern und mit dem Wiederaufbau zu beginnen. "Wir kooperieren mit verschiedenen Ministerien, um die Wasser- und Abwasserversorgung in der Stadt wiederherzustellen." Auch die Stromversorgung solle bald wieder funktionieren, versicherte der Minister optimistisch. Falludscha solle "das irakische Modell für Frieden, Brüderlichkeit und die gemeinsame Anstrengung werden, die Zukunft Iraks zu bauen."

* Aus: Neues Deutschland, 03.01.2004

Verteilt über ganz Irak

Vertreter des Irakischen Roten Halbmonds zur Lage der Flüchtlinge

Dr. Anas A. Al-Azawi ist Geschäftsführer des Irakischen Roten Halbmonds, Ferdos Al-Abadi ist Sprecherin der Gesellschaft, die eng mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz zusammenarbeitet. Karin Leukefeld befragte sie:

ND: Seit einigen Tagen kehren Einwohner nach Falludscha zurück. Wie ist die Versorgungslage dort?

Ferdos Albadi: Als wir noch dort gearbeitet haben, brachten wir die Familien, die Falludscha nicht verlassen hatten, mit Autos in unser Büro. Dort haben wir ihnen Essen gegeben; wenn es nötig war, haben wir sie medizinisch versorgt, dann haben wir sie wieder in ihre Häuser gebracht. So sah es aus, bis wir die Arbeit einstellen mussten. Es gibt unseres Wissens weder Strom noch Wasser in der zerstörten Stadt.

Der Rote Halbmond arbeitet nicht mehr in Falludscha?

Dr. Anas: Wir haben unsere Arbeit dort am 5. Dezember eingestellt. Auf Wunsch der Amerikaner, oder der Multinationalen Streitkräfte. Weil weiter gekämpft wurde und "Säuberungsaktionen" stattfanden, wurde unser Büro geschlossen.

Die Regierung hat mitgeteilt, dass Einwohner bestimmter Viertel in die Stadt zurückkehren können.

Dr. Anas: Wir haben das aus dem Fernsehen erfahren, mehr wissen wir nicht.

Wurden Sie nicht informiert und um Hilfe gebeten?

Ferdos Albadi: Wir wissen wirklich nichts darüber. Die Regierung und die USA-Streitkräfte machen das allein

Koordinieren Sie Ihre Arbeit nicht mit den Offiziellen?

Ferdos Albadi: Wir informieren die Regierung über jeden unserer Schritte. Aber Tatsache ist, dass wir allein arbeiten, ohne die Hilfe der Regierung. Nur das Menschenrechtsministerium hat uns einmal mit einer Hilfslieferung unterstützt. Nicht finanziell oder personell, sondern mit Lebensmittelpaketen.

Wie viele Familien aus Falludscha sind bei Ihnen registriert?

Dr. Anas: Die meisten Familien flohen damals in die umliegenden Dörfer. Es gibt 1500 Familien in Habbaniya, 500 in einem Lager bei Habbaniya, 3500 in Amret Falludscha, bis zu 4000 sind in Saqlawia, ungefähr 2500 in Germa. In Bagdad gibt es nach unserer Schätzung 5000 Familien. Sie wissen, unsere Familien sind sehr groß, wir zählen 7 bis 10 Personen. Auch in den Norden sind Familien geflohen: In Erbil beispielsweise sind 150 Familien registriert. Außerdem haben wir in Kerbala 210, in Babel 142 und in Diyala ungefähr 100 Familien. Sie sind über ganz Irak verteilt.

* Aus: Neues Deutschland, 03.01.2004


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