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Lehren aus dem Irakkrieg? Fangen wir mit der Geschichte der Vereinigten Staaten an / Lessons of Iraq War Start With US History

von Howard Zinn* / by Howard Zinn

Der dritte Jahrestag von Präsident Bushs Irakdebakel ist ein wichtiger Tag, um darüber nachzudenken, wie diese Administration so viele Leute narren konnte, den Krieg zu unterstützen.

Meiner Meinung nach gibt es zwei Gründe - Gründe, die weit in unsere nationale Kultur zurückreichen.

Der erste Grund ist die Abwesenheit jeglicher historischer Perspektive (in unserem Land). Der zweite ist die Unfähigkeit, über die eigenen nationalen Grenzen hinauszudenken.

Wenn wir unsere Geschichte nicht kennen, sind wir Frischfleisch für karnivore Politiker bzw. für Journalisten und Intellektuelle, die diesen Fleischfressern das Besteck reichen. Aber wenn wir etwas über unsere Geschichte wissen, wenn wir begreifen, wie häufig es schon vorkam, dass uns unsere Präsidenten belogen haben, werden wir uns künftig nicht mehr narren lassen.

Präsident Polk belog die Nation bezüglich der Gründe für den Krieg gegen Mexiko im Jahre 1846. Mexiko hatte kein "amerikanisches Blut auf amerikanischem Boden" vergossen. Vielmehr war es so, dass Polk und die Sklavenhalteraristokratie halb Mexiko wollten.

1898 log Präsident McKinley über die Gründe für die Invasion in Kuba. Er wolle die Kubaner von spanischer Kontrolle befreien, sagte er. In Wirklichkeit wollte McKinley die Spanier aus Kuba haben, um die Insel für United Fruit und andere amerikanische Konzerne zu öffnen. Präsident McKinley belog uns auch über die Gründe für den Krieg gegen die Philippinen. Wir wollen die Filipinos "zivilisieren", sagte er. Der wahre Grund war, wir wollten dieses wertvolle Stück Land im fernen Pazifik besitzen - selbst um den Preis, Hunderttausende Filipinos töten zu müssen.

Präsident Wilson belog uns über den Eintritt Amerikas in den Ersten Weltkrieg - ein Krieg, der angeblich geführt wurde, um "die Welt sicher für die Demokratie zu machen". In Wahrheit ging es beim Ersten Weltkrieg darum, die Welt für den weiteren Aufstieg Amerikas zur Macht zu sichern.

Präsident Truman log, als er sagte, die Atombombe wurde über Hiroshima abgeworfen, weil Hiroshima "militärisches Ziel" war.

Was Vietnam angeht, haben alle gelogen - Präsident Kennedy in Hinblick auf die Dimension unserer Involviertheit (in diesen Krieg), Präsident Johnson über den Golf von Tonkin und Präsident Nixon über das heimliche Bombardement Kambodschas. Alle zusammen behaupteten sie, der Vietnamkrieg habe das Ziel, Südvietnam kommunismusfrei zu halten. In Wirklichkeit wollten sie Amerikas südvietnamesischen Außenposten am Saum des asiatischen Kontinents behalten.

Präsident Reagan log über den Einmarsch in Grenada. Er sagte, die Insel sei eine Bedrohung für die Vereinigten Staaten. Das stimmte nicht.

Bush senior belog uns über die Panama-Invasion (bei der Tausende normaler Panamanesen starben). Bush log über die Gründe für den Angriff auf den Irak 1991. Dabei ging es wohl kaum um die Verteidigung der Integrität des Staates Kuwait. Es ging um die Sicherung der amerikanischen Macht über den ölreichen Mittleren Osten.

Und da existiert noch eine größere Lüge: die arrogante Idee, Amerika sei das Zentrum des Universums, wir seien ein bewundernswertes, ein überlegenes und tugendreiches Land.

Falls wir im Angesicht der Welt um uns herum von der Prämisse, der festen Überzeugung, ausgehen, die Vorsehung habe unsere Nation mit einzigartigen Tugenden ausgestattet - mit Tugenden, die Amerika jeder anderen Nation auf Erden moralisch überlegen machen -, werden wir den Präsidenten wohl kaum infrage stellen, wenn er davon spricht, Truppen an diesen oder jenen Ort zu entsenden, hier und dort bomben zu lassen, um irgendeinem (buchstäblich) gottverlassenen Ort Tugenden wie Freiheit oder Demokratie und natürlich 'free enterprise' zu bescheren.

Stellen wir uns ein paar harten Fakten, die im Widerspruch stehen zu der Idee einer einzigartigen, einer tugendhaften Nation.

Wir haben eine lange Geschichte der 'ethnischen Säuberungen', zu der wir stehen müssen. Amerikanische Regierungen haben Millionen Indianer von ihrem Land vertrieben. Das Mittel der Wahl waren Massaker und Zwangsumsiedlungen.

Wir müssen uns unserer langen Geschichte der Sklaverei, des Rassismus und der Segregation stellen - Geschichte, die noch nicht zu Ende ist.

Wir müssen uns der nach wie vor gegenwärtigen Erinnerung an Hiroshima und Nagasaki stellen.

Es ist keine Geschichte, auf die man stolz sein könnte.

Für unsere Führer ist es ganz selbstverständlich: Wir haben aufgrund unserer moralischen Überlegenheit das Recht, die Welt zu dominieren. Vielen Menschen haben sie diesen Glauben schon eingepflanzt. Republikaner und Demokraten teilen diese Vorstellung.

Worauf gründet die Vorstellung unserer moralischen Überlegenheit?

Ein ehrlicher Blick auf uns, als Nation, könnte uns auf Kommendes vorbereiten - auf das nächste Lügen-Bombardement als Begleitmusik für den nächsten Vorschlag, einen neuen Teil der Erde unsere Macht spüren zu lassen.

Vielleicht inspiriert uns der ehrliche Blick dazu, unsere Geschichte neu zu gestalten. Wir müssen unser Land den Lügnern entwinden, die es regieren. Sagen wir 'nein' zu nationalistischer Arroganz. Auf diese Weise wird es uns möglich sein, uns mit Menschen auf der ganzen Welt zu verbünden. Unser gemeinsames Anliegen heißt Frieden und Gerechtigkeit.

*Howard Zinn war im Zweiten Weltkrieg Bomberpilot der amerikanischen Air Force. Berühmt wurde sein Buch 'A People's History of the United States (deutsch: 'Eine Geschichte des Volkes der Vereinigten Staaten' (Schwarzerfreitag)) sowie 'Voices of a People's History of the United States' von Howard Zinn/Anthony Arnove

ZNet Kommentar 18.03.2006

www.zmag.de


Lessons of Iraq War Start With US History



By Howard Zinn*

On the third anniversary of President Bush's Iraq debacle, it's important to consider why the administration so easily fooled so many people into supporting the war.

I believe there are two reasons, which go deep into our national culture.

One is an absence of historical perspective. The other is an inability to think outside the boundaries of nationalism.

If we don't know history, then we are ready meat for carnivorous politicians and the intellectuals and journalists who supply the carving knives. But if we know some history, if we know how many times presidents have lied to us, we will not be fooled again.

President Polk lied to the nation about the reason for going to war with Mexico in 1846. It wasn't that Mexico "shed American blood upon the American soil" but that Polk, and the slave-owning aristocracy, coveted half of Mexico.

President McKinley lied in 1898 about the reason for invading Cuba, saying we wanted to liberate the Cubans from Spanish control, but the truth is that he really wanted Spain out of Cuba so that the island could be open to United Fruit and other American corporations. He also lied about the reasons for our war in the Philippines, claiming we only wanted to "civilize" the Filipinos, while the real reason was to own a valuable piece of real estate in the far Pacific, even if we had to kill hundreds of thousands of Filipinos to accomplish that.

President Wilson lied about the reasons for entering the First World War, saying it was a war to "make the world safe for democracy," when it was really a war to make the world safe for the rising American power.

President Truman lied when he said the atomic bomb was dropped on Hiroshima because it was "a military target."

And everyone lied about Vietnam -- President Kennedy about the extent of our involvement, President Johnson about the Gulf of Tonkin and President Nixon about the secret bombing of Cambodia. They all claimed the war was to keep South Vietnam free of communism, but really wanted to keep South Vietnam as an American outpost at the edge of the Asian continent.

President Reagan lied about the invasion of Grenada, claiming falsely that it was a threat to the United States.

The elder Bush lied about the invasion of Panama, leading to the death of thousands of ordinary citizens in that country. And he lied again about the reason for attacking Iraq in 1991 -- hardly to defend the integrity of Kuwait, rather to assert U.S. power in the oil-rich Middle East.

There is an even bigger lie: the arrogant idea that this country is the center of the universe, exceptionally virtuous, admirable, superior.

If our starting point for evaluating the world around us is the firm belief that this nation is somehow endowed by Providence with unique qualities that make it morally superior to every other nation on Earth, then we are not likely to question the president when he says we are sending our troops here or there, or bombing this or that, in order to spread our values -- democracy, liberty, and let's not forget free enterprise -- to some God-forsaken (literally) place in the world.

But we must face some facts that disturb the idea of a uniquely virtuous nation.

We must face our long history of ethnic cleansing, in which the U.S. government drove millions of Indians off their land by means of massacres and forced evacuations.

We must face our long history, still not behind us, of slavery, segregation and racism.

And we must face the lingering memory of Hiroshima and Nagasaki.

It is not a history of which we can be proud.

Our leaders have taken it for granted, and planted the belief in the minds of many people that we are entitled, because of our moral superiority, to dominate the world. Both the Republican and Democratic Parties have embraced this notion.

But what is the idea of our moral superiority based on?

A more honest estimate of ourselves as a nation would prepare us all for the next barrage of lies that will accompany the next proposal to inflict our power on some other part of the world.

It might also inspire us to create a different history for ourselves, by taking our country away from the liars who govern it, and by rejecting nationalist arrogance, so that we can join people around the world in the common cause of peace and justice.

* Howard Zinn, who served as a bombardier in the Air Force in World War II, is the author of A People's History of the United States [ http://tinyurl.com/gqjvs ] (HarperCollins, 1995). He is also the co-author, with Anthony Arnove, of Voices of a People's History of the United States [ http://tinyurl.com/gja83 ] (Seven Stories Press, 2004).

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