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Bombenterror in Bagdad

Zwei Selbstmordanschläge reißen über 130 Menschen aus dem Leben

Zwei Selbstmordattentäter haben am Sonntag (25. Okt.) in Irak in Bagdad über 130 Menschen mit in den Tod gerissen. Mindestens 500 weitere Menschen wurden nach Angaben des Innenministeriums bei dem Blutbad in der irakischen Hauptstadt verletzt.

Über den Gebäuden im Zentrum Bagdads schwebten am Sonntag dichte schwarze Rauchwolken. Auf den Straßen lagen nach Berichten von Augenzeugen zahlreiche Leichen. In ausgebrannten Autos, die von der Wucht der Detonation erfasst worden waren, waren verkohlte Leichen zu sehen. Gebäudefassaden wurden schwer beschädigt.

Es war ein blutiger Sonntag in Bagdad: Zwei Selbstmordattentäter haben in der irakischen Hauptstadt über 130 Menschen in den Tod gerissen. Bei der folgenschwersten Terrorattacke im Irak seit zwei Jahren wurden nach Angaben des Innenministeriums zudem mindestens 500 Menschen verletzt. Die irakische Regierung machte das Terrornetz Al Qaida und Überreste der unter dem früheren Diktator Saddam Hussein herrschenden Baath Partei für das Blutbad verantwortlich.

Die beiden Täter sprengten sich nach Angaben von Augenzeugen im Zentrum der Stadt fast zeitgleich in die Luft. Der erste Attentäter brachte seinen mit Sprengstoff beladenen Lastwagen in der Nähe des Justizministeriums zur Explosion. Der zweite Terrorist zündete seinen Sprengstoffwagen neben dem Gebäude des Provinzrates.

Schon am 19. August starben in Bagdad in einer Serie von Bombenanschlägen vor Regierungsgebäuden mehr als 100 Menschen, 1200 wurden verletzt. Auch diese Anschläge gingen nach Ansicht der Behörden auf das Konto der Baathisten. Die US-Truppen hatten im vergangenen Juli ihre Stützpunkte in den irakischen Städten geräumt und die Kontrolle an die irakischen Sicherheitskräfte übergeben.

Die Arabische Liga in Kairo verdammte die Attacken. In einer Erklärung heißt es, die Liga unterstütze die irakische Regierung bei allem, das dazu diene, »Recht und Gesetz herzustellen und Gewalt und Terror zu bekämpfen«.

Die Bundesregierung in Berlin verurteilte die »feigen Anschläge« in einer Erklärung von Außenamtssprecher Andreas Peschke auf das Schärfste. Deutschland werde die Iraker auch weiter beim Aufbau eines stabilen und demokratischen Landes unterstützen. Auch die schwedische EU-Ratspräsidentschaft verurteilte in Brüssel die Anschläge und drückte den Angehörigen der Opfer ihr Mitgefühl aus.

* Aus: Neues Deutschland, 26. Oktober 2009


Iraks Wahltermin auf der Kippe

Anhaltender Streit um Regularien und die Stadt Kirkuk

Von Karin Leukefeld, Amman **

Die Verabschiedung eines Wahlgesetzes in Irak ist vergangene Woche im Parlament gescheitert. Nach wochenlanger Diskussion überwies der Parlamentspräsident das Gesetz zu neuerlicher Beratung an den Nationalen Sicherheitsrat.

Der Rat, der nun erneut über das Wahlgesetz nachdenken muss, besteht aus Ministerpräsident Nuri al-Maliki, Präsident Dschalal Talabani und den Vorsitzenden der im Parlament vertretenen Parteien. Der verfassungsrechtliche Status dieses Gremiums ist unklar. »Die Sache ist dem Parlament über den Kopf gewachsen«, begründete Parlamentssprecher Ijad al-Sammarai den Schritt.

Eine neue Abstimmung könnte am heutigen Montag stattfinden, sofern der Sicherheitsrat sich auf neue Regularien geeinigt hat. Die Parlamentswahlen sind für den 16. Januar geplant, die Wahlkommission benötigt 90 Tage, um die Wahlen landesweit vorzubereiten. Um diese Frist einzuhalten, hätte das Gesetz am 19. Oktober beschlossen werden müssen. Erste Stimmen stellen die Wahlen schon in Frage, die laut Verfassung bis Ende Januar stattgefunden haben müssen. Haidar al-Abadi von der Dawa-Partei Malikis bezeichnete die neuerliche Verzögerung des Gesetzes bereits als »Todesstoß« für die Wahlen.

Umstritten ist vor allem der Status der Ölstadt Kirkuk, die als Kerngebiet des ursprünglichen irakischen Bevölkerungsmosaiks gilt. Heute beanspruchen die Kurden die Macht in Kirkuk und beharren auf ein ihnen zugesagtes Referendum, das über die Zukunft der Stadt entscheiden soll.

Während die Regierung Saddam Husseins Kurden aus Kirkuk vertrieben hatte, waren Araber aus dem Süden Iraks dort zwangsangesiedelt worden. Nach der US-Invasion 2003 drehten die Kurden den Spieß um. Tausende arabische Iraker flohen vor den einströmenden Kurden, die von ihrer Autonomieregierung ermuntert und unterstützt wurden.

Der Konflikt hat sich inzwischen ausgedehnt, wobei den kurdischen Peschmerga-Milizen vorgeworfen wird, vor allem Minderheiten einzuschüchtern und zu bedrohen. Die Regierung Maliki weigert sich, das Referendum durchzuführen, weil sie einen Gewaltausbruch befürchtet und die Ölquellen Kirkuks als nationale Ressource nicht aufgeben will. Maliki weiß eine deutliche Mehrheit der Iraker hinter sich, auch die UN und die USA warnen vor einem Referendum.

Irakische Medien berichteten derweil, es werde über eine Quotenlösung diskutiert. Danach sollen jeweils sieben Sitze für die Kurden und die Araber reserviert werden sowie drei Sitze für die Turkmenen. »Das wird zu neuem Streit zwischen den Volksgruppen führen«, glaubt der Historiker Reidar Visser, der die Entwicklung in Irak seit Jahren intensiv verfolgt. Auch viele Kurden in Kirkuk, so Visser, seien von der kurdischen politischen Führung »genervt.«

Sollte keine Einigung über das Wahlgesetz erzielt werden, könnten die umstrittenen Bestimmungen von 2005 erneut zur Anwendung kommen. Darin ist nur die Wahl von Listen vorgesehen. Die Namen der Kandidaten bleiben verborgen. Ministerpräsident Maliki und die UN-Vertretung in Irak sind gegen ein solches Vorgehen. Auch der oberste Geistliche des Landes, Großajatollah Ali al-Sistani, lehnt eine »geschlossene« Listenwahl ab und hat zu mehr Transparenz im Wahlprozess aufgefordert.

* Aus: Neues Deutschland, 26. Oktober 2009


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