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Unter Generalverdacht

Irak: Hunderte Kandidaten wegen angeblicher Nähe zur verbotenen Baath-Partei per Gerichtsentscheid von den Parlamentswahlen am 6. März ausgeschlossen

Von Karin Leukefeld *

Mit einer Woche Verspätung beginnt am Freitag (12. Feb.) der Wahlkampf im Irak. Wegen politischer und juristischer Auseinandersetzungen um den Ausschluß von Hunderten Kandidaten wegen angeblicher Nähe zur verbotenen Baath-Partei, hatte die Unabhängige Wahlkommission (IHEC) in der vergangenen Woche den Beginn verschoben. Anfang des Jahres hatte das »Komitee für Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht« mehr als 500 Kandidatinnen und Kandidaten von der Abstimmung ausgeschlossen, woraufhin 177 der Betroffenen Widerspruch eingelegt hatten. Ein Appellationsgericht hatte dem Widerspruch Anfang Februar stattgegeben und entschieden, daß die Betroffenen am 6. März antreten könnten, sich aber im Falle der Wahl einer Überprüfung im Sinne des Baath-Partei-Verbots unterziehen müßten. Während die betroffenen Kandidaten, die meisten von ihnen von der Liste der »Nationalen Irakischen Bewegung« (Allawi/Mutlak), die Entscheidung begrüßt hatten, hatte Regierungssprecher Ali Al-Dabbagh sie umgehend als »illegal und nicht verfassungsgemäß« zurückgewiesen. Der Präsidialrat traf sich zu einer Krisensitzung und Ministerpräsident Nuri Al-Maliki erklärte, niemand in der Welt könnte die Baath-Partei im Irak wieder an die Macht bringen. Der Druck auf die Richter des Appellationsgerichtes war schließlich so groß geworden, daß sie ihre Entscheidung zurücknahmen und den Ausschluß der Kandidaten bestätigten. Dem Gericht sei ein Fehler unterlaufen, erklärte ein Sprecher den Sinneswandel. Die Kandidaten sollen nun doch vor den Wahlen auf ihre Nähe zur Baath-Partei durchleuchtet werden.

Diese Entscheidung stelle die Kandidaten unter Generalverdacht und könne zu einem neuen »Bürgerkrieg« führen, warnte der frühere Ministerpräsident Ijad Allawi in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters. Allawi, selbst Mitglied der Baath-Partei, bis er bei Saddam Hussein in Ungnade fiel und das Land verlassen mußte, sprach sich für eine Bestrafung von Baathisten aus, die schwere Verbrechen am irakischen Volk begangen hätten. Der Rundumschlag gegen Kandidaten vor der Wahl habe aber nichts mit Vergangenheitsbewältigung zu tun, sondern solle politische Rivalen ausschalten und von Fehlern der amtierenden Regierung ablenken.

Die Auseinandersetzung um die Kandidaten werden vielfach als Streit zwischen Sunniten und Schiiten dargestellt, wobei erstere angeblich für die US-amerikanischen und letztere für die iranischen Interessen stehen. Gern werden die Sunniten jedoch auch holzschnittartig als Parteigänger des gestürzten und hingerichteten Präsidenten Saddam Hussein und seiner inzwischen verbotenen Baath-Partei charakterisiert. Viele Iraker und politische Beobachter sehen das Ganze jedoch eher als einen Streit zwischen säkularen und religiös orientierten Interessen im Land. Dafür spricht, daß der prominente sunnitische Politiker und Abgeordnete Saleh Al-Mutlak, der von der Kandidatur ausgeschlossen werden soll, gemeinsam mit dem schiitischen Politiker Ijad Allawi mit der »Irakischen Nationalen Bewegung« eine eindeutig säkular orientierte Liste führt, die gegen die religiösen Parteien des Regierungslagers antritt. Die Mitglieder dieser Liste sind zudem mehrheitlich Schiiten, die offensichtlich eine auf Religion basierende Politik und die enge politische Anlehnung der Regierung Maliki und des Hohen Islamischen Rates an den Iran ablehnen.

Kleine Parteien und unabhängige Kandidatinnen und Kandidaten werden im Wahlkampf kaum eine Chance haben. Der Kontakt zu den Medien spielt eine wichtige Rolle, die einflußreichsten im Irak sind allerdings in der Hand der regierenden Parteien oder ausländischer Geldgeber.

* Aus: junge Welt, 11. Februar 2010


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