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Irak streitet um Kandidaturen

Von Karin Leukefeld *

Im Irak hätte am Sonntag (7. Feb.) eigentlich der Wahlkampf für die Parlamentswahlen am 7. März beginnen sollen. Wegen andauernden Streits um die Kandidatur von Politikern, die angeblich dem Regime Saddam Hussein nahegestanden haben sollen, hat die Wahlkommission den Beginn des Wahlkampfes jedoch auf kommenden Freitag verschoben.

Das Tauziehen um die Zulassung von rund 500 zumeist sunnitischen Kandidaten zu den Parlamentswahlen am 7. März dauert an. Der Bundesgerichtshof müsse noch eine diesbezügliche Anfrage der Wahlkommission prüfen, sagte deren Sprecherin Hamdiya al-Husseini. Das sei erforderlich geworden, nachdem ein Schiedsgericht dem Einspruch der ausgeschlossenen Kandidaten stattgegeben und ihre Bewerbung wieder zugelassen hatte. Sie könnten antreten, lautete die Entscheidung, müssten sich aber im Falle ihrer Wahl einer Befragung unterziehen. Regierungssprecher Ali al-Dabbagh wies die Entscheidung umgehend als »illegal und nicht verfassungsgemäß« zurück, Ministerpräsident Nuri al-Maliki forderte das Parlament auf, sich auf einer Sondersitzung mit dem Urteil des Schiedsgerichts zu befassen. In Bagdads Regierungsviertel demonstrierten am Sonntag Tausende von Anhängern Malikis gegen den Richterspruch.

Ausgelöst worden war der Streit vom »Komitee für Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht«, das Mitte Januar reihenweise Kandidaten für nicht wahlfähig erklärt hatte, weil sie angeblich früher der Baath-Partei angehört oder sich von der Partei Saddam Husseins nicht distanziert hätten. Die Baath-Partei war nach der US-amerikanischen Invasion 2003 in Irak verboten worden. Eine radikale Säuberungsaktion sorgte dafür, dass Hunderttausende Iraker Arbeit und Eigentum verloren. Das Mandat der zuständigen Entbaathifizierungskommission, die sich nach eigenen Aussagen an der Entnazifizierungskampagne im Nachkriegsdeutschland der 40er und 50er Jahre orientierte, war jedoch vom Parlament nicht erneuert worden. Daraufhin hatte sich das »Komitee für Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht« selbst eingesetzt.

Der Ausschluss von mehr als 500 Kandidaten hatte landesweit zu Protesten geführt. Präsident Dschalal Talabani versuchte, die Wogen zu glätten, indem er die juristische Überprüfung der Rechtmäßigkeit des bewussten Komitees anordnete, eine Entscheidung steht aber noch aus.

Während die Auseinandersetzung um die Kandidaten vielfach als Streit zwischen Sunniten und Schiiten dargestellt wird, wobei die Sunniten fast holzschnittartig als Parteigänger Saddam Hus- seins charakterisiert werden, sehen viele Iraker das Ganze vielmehr als Auseinandersetzung zwischen säkularen und religiös orientierten Interessenvertretern in Irak

Dafür spricht, dass der prominente sunnitische Politiker und Abgeordnete Saleh al-Mutlak, der von der Kandidatur ausgeschlossen werden sollte, gemeinsam mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Iyad Allawi, früher Mitglied der Baath-Partei, eine Liste anführt, die eindeutig gegen die religiösen Parteien antritt. Die meisten Kandidaten auf dieser Liste sind zudem Schiiten, die offensichtlich die enge politische Anlehnung der Regierung Maliki und mehr noch des Hohen Islamischen Rates an Iran ablehnen. »Die Baath-Partei ist mit Saddam Hussein gestorben«, zitiert die Nachrichtenagentur Reuters den schiitischen Pilger und Beamten Ali Adel in Kerbela, der den Ausschluss der Kandidaten kritisiert. »Wir können nicht die Politik Saddams fortsetzen und andere politische Meinungen ausgrenzen.« Politiker, die Irak »korrekt« gestalten wollten, sollten diese Lektion aus der Zeit Saddams gelernt haben.

* Aus: Neues Deutschland, 8. Februar 2010


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