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Mogelpackung für Washington

"Sicherheitspakt" sieht Abzug der US-Truppen in drei Jahren vor - tatsächlich besiegelt er zunächst einmal deren Präsenz

Von Joachim Guilliard

Inmitten Hunderter US-Panzer und Tausender US-Soldaten in der festungsartig ausgebauten »Grünen Zone« hat das irakische Parlament am 27. November ein Truppenstationierungsabkommen mit den USA gebilligt - allerdings mit der Auflage, es bis Juli 2009 in einem nationalen Referendum bestätigen zu lassen. Ein kurioser Deal, tritt der Pakt doch zunächst in Kraft und ersetzt das zum Jahresende auslaufende Mandat des UN-Sicherheitsrats, das bisher das legale Mäntelchen für die Präsenz der Besatzungstruppen bildet.

Dem Abkommen waren monatelange zähe Verhandlungen vorausgegangen, in deren Verlauf die Regierung von US-Präsident George W. Bush erhebliche Zugeständnisse machen mußte. Sie wollte die Vereinbarung unbedingt noch vor dem Regierungswechsel im Weißen Haus unter Dach und Fach haben, um den Kurs von Nachfolger Barack Obama festzulegen. Auf den ersten Blick scheinen Bushs Krieger mit dem Abkommen jedoch nun selbst ihre wesentlichen Ziele aufgegeben zu haben. In dem Mitte Oktober vorgestellten und anschließend noch einmal nachgebesserten Pakt ist jedenfalls nicht mehr viel von ihren ursprünglichen Forderungen, die auf eine zeitlich unbegrenzte Präsenz und völlige Handlungsfreiheit im Land hinausliefen, zu finden. Die USA verpflichten sich nun vielmehr, bis Juni nächsten Jahres alle Kampftruppen aus den Städten und bis Ende 2011 alle Truppen aus dem Irak abzuziehen.

Schaut man allein auf den Wortlaut des Vertrages, so scheint er tatsächlich das Ende der Besatzung einzuleiten. Zunächst bedeutet er jedoch eine definitive Verlängerung um weitere drei Jahre - und dies mit expliziter Autorisierung durch irakische Regierung und Parlament. Wer diese Institutionen als ausreichend legitimiert und souverän anerkennt, kann von Besatzung nicht mehr sprechen.

Im Vorwort wird betont, daß das Abkommen auf »gegenseitigen Garantien gleicher und unabhängiger Partner« beruht. Doch genau diese Voraussetzungen sind nicht gegeben. So ist es mehr als fraglich, daß ein solches Abkommen zwischen Besatzer und Besetzten nach internationalem Recht überhaupt gültig ist. Die irakische Opposition bestreitet dies. Und selbst der Ex-CIA-Mann und frühere Premier Ijad Allawi sowie enge Berater von Ajatollah Sistani äußerten massive Bedenken, bilaterale Abkommen vor dem Abzug der US-Truppen abzuschließen.

Solange rund 150000 Soldaten der mächtigsten Armee der Welt das Zweistromland besetzt halten, fehlt nicht nur die Grundlage zur freien Entscheidung. Die irakische Seite hat auch keine Möglichkeiten, die Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen Washingtons im Streitfall durchzusetzen. So haben sich die USA zwar verpflichtet, keine Waffen ins Land zu bringen, die für Angriffe auf Nachbarstaaten bestimmt sind, die irakische Seite hat jedoch keine Möglichkeit, dies zu kontrollieren: Laut Artikel 9 darf kein amerikanisches Schiff, Flugzeug oder Fahrzeug ohne Erlaubnis des US-Militärs betreten oder durchsucht werden.

Das Abkommen erweckt den Eindruck, das Agieren der US-Truppen im Land würde nun unter vollständiger irakischer Kontrolle stehen und das Ende ihrer Präsenz wäre besiegelt. Tatsächlich wird dies jedoch an mehreren Stellen wieder aufgeweicht. So gilt z.B. das Verbot eigenmächtiger Razzien und Festnahmen nicht bei Kampfsituationen. Die Verpflichtungen, Militäroperationen nur mit irakischer Zustimmung durchzuführen, werden durch Artikel 4 eingeschränkt, in dem sich beide Parteien explizit das »Recht auf Selbstverteidigung« vorbehalten. Bei entsprechender Auslegung kann die US-Führung damit ohne weiteres selbst Angriffe auf Ziele in Nachbarländern rechtfertigen.

Und schließlich räumen sich die USA grundsätzlich das Recht ein, dem Irak jederzeit, d.h. über die Abzugsfristen hinaus, mit »diplomatischen, ökonomischen oder militärischen Aktionen« zu »Hilfe« kommen zu dürfen. Nicht nur bei einem militärischen Angriff von außen, sondern auch bei einer inneren Bedrohung, wie der Gefährdung »seiner demokratischen Institutionen«.

Ungerührt hält die scheidende Bush-Regierung offensichtlich auch an ihrer bisherigen Haltung fest, Truppen nur in Abhängigkeit von den herrschenden Bedingungen abzuziehen. So versicherte die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Dana Perino, nach Unterzeichnung des Paktes, daß dieser nur »angestrebte Termine« enthalte. US-Generalstabschef Admiral Michael Mullen deutete an, drei Jahre seien eine lange Zeit und man stünde mit der irakischen Seite bereits im Gespräch über eine Verlängerung der »Deadlines«.

Bei den Irakern herrscht denn auch Mißtrauen vor. »Die Amerikaner werden nicht gehen«, so der Tenor bei einer Befragung von Passanten im Bagdader Stadteil Mansour. »Sie sind die Herren im Irak, sie entscheiden.« Tatsächlich sprechen viele Zeichen eindeutig für die US-Absicht, langfristig im Land zu bleiben, insbesondere die für über 600 Millionen Dollar erbaute riesige Botschaftsfestung oder die offensichtlich als permanent angelegten Megamilitärbasen, die in den vergangenen Besatzungsjahren zu Städten mit allem Komfort ausgebaut wurden.

* Aus: junge Welt, 5. Dezember 2008


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