Doppelte Mobilmachung in den USA
Präsident Bush setzt neue Truppen in Marsch - die Friedensbewegung formiert sich
Im Folgenden dokumentieren wir einen Artikel des ND-Korrespondenten in New York.
Von Von Max Böhnel, New York
Nicht in ziviler Kleidung, sondern in militärisch-strammer Kluft gab
USA-Präsident George Bush am Freitag auf dem texanischen Militärstützpunkt Fort Hood zu verstehen, dass Krieg für ihn im neuen Jahr das
zentrale Element der Politik sein und dass der Feind Nummer eins Irak
bleiben wird. »Wenn es notwendig sein sollte, den irakischen Besitz
von Massenvernichtungswaffen mit Gewalt abzurüsten, wird Amerika
siegen, weil wir die beste Armee der Welt haben«, sagte Bush unter
dem zustimmenden Gejohle von 4000 Soldaten. Es werde in Irak keinen
Eroberungsfeldzug geben, sondern die USA würden kämpfen, »um Menschen
zu befreien«. Saddam Hussein habe kein »glaubwürdiges Waffendossier
vorgelegt«. Damit habe der irakische Herrscher gezeigt, dass er die
UNO und ihre Resolution 1441, in der Irak unter Androhung »schwerwiegender Konsequenzen« zur Abrüstung aufgefordert wird, gering schätze.
Der UNO-Chefinspektor für Irak, Hans Blix, soll nun am Donnerstag bei
einem Zwischenbericht an den UNO-Sicherheitsrat Laborergebnisse von
Bodenproben über mögliche Bestände von atomaren, biologischen und
chemischen Waffen bekannt geben. Aus New Yorker UNO-Kreisen hieß es
unterdessen, die Wahrscheinlichkeit, dass Irak tatsächlich keine Massenvernichtungswaffen besitze, steige von Tag zu Tag.
Dessen ungeachtet rüsten die USA weiter für eine Irakinvasion
auf. Mehrere Einheiten der 45.000 Soldaten umfassenden 1. Marine
Expeditionary Force (MEF) aus Kalifornien würden an den Golf
verlegt, hieß es am Wochenende in Washington. Außerdem solle
militärisches Fluggerät und Ausrüstung der MEF-Truppen bald in
die Region verlegt werden. Zusätzlich sollen in den kommenden
Wochen weitere Marineinfanteristen aus Camp Lejeune im USA-Bundesstaat North Carolina an den Golf transportiert werden. Zur Zeit
bereiten sich bereits 11000 im Wüstenkampf trainierte Soldaten auf
ihre baldige Verlegung vor. Anvisiert wird die Zahl von rund 120.000
USA-Soldaten am Golf, was weit unter der 250.000 Mann umfassenden
US-amerikanischen Truppenstärke im Golfkrieg 1991 läge und einen
Irakkrieg innerhalb weniger Wochen wahrscheinlich macht. Denn Weißes
Haus und Pentagon wollen so früh wie möglich zuschlagen, um heiße
Wüstenmonate zu vermeiden und die mögliche Bremskraft der ausländischen Diplomatie zu minimieren.
Dass die Zeit drängt, um die massiven Kriegsvorbereitungen wenigstens
nicht reibungslos über die Bühne gehen zu lassen, ist auch den
verschiedenen Strömungen der neuen amerikanischen Friedensbewegung
klar. Auf das Maß der tatsächlichen Zustimmung der amerikanischen
Bevölkerung zu einem Irakkrieg und die Möglichkeiten einer signifikanten Oppositionsbewegung angesprochen, antwortete der Linguistik-
professor am Bostoner MIT, Noam Chomsky, gegenüber ND so: »Um die
wirkliche Zustimmungsrate in den USA ermitteln und dann mit anderen
Nationen vergleichen zu können, müsste man den Angstfaktor herausnehmen, der in den USA seit den 80er Jahren einmalig groß ist. Dann
würde man vermutlich auf wenig Unterschied zu den Bevölkerungen
anderer Länder stoßen«. Damit spielte Chomsky auf die öffentlichen
Angstkampagnen der USA-Regierungen seit der Reagan-Zeit an, mit
der der Bevölkerung erfolgreich Furcht eingejagt und damit Politik
gemacht wurde. In den 80er Jahren hätten dafür Libyer, Russen und
Sandinisten herhalten müssen. Jetzt sei es Saddam Hussein, den man
der im Fernsehen produzierten Mehrheitsmeinung zufolge »erledigen«
müsse, bevor er die Amerikaner erledigt.
Neben den großen nationalen Antikriegs-Gruppierungen ANSWER und Not
in our name, die im Herbst mit mehreren hunderttausend Demonstranten
auf sich aufmerksam gemacht hatten, haben inzwischen die seit Jahrzehnten existierenden Friedensgruppen Pax Christi, die Quäker und
die War Resisters League ihre Aktivitäten schwerpunktmäßig auf den
drohenden Irakkrieg konzentriert. Außerdem mobilisiert Peace Action
mit seinen über 100 Ortsgruppen im gesamten Land ebenso wie eine
neu gegründete Initiative namens Racial Justice 9-11, die vor allem
ethnische Minderheiten für Antikriegsbemühungen ansprechen will,
gegen den Krieg. In einer Umfrage hatte sich vor kurzem herausgestellt, dass nur 20 Prozent der afroamerikanischen Bevölkerung den
Irakkrieg unterstützen würden. Die organisierte Friedensbewegung
ist dagegen großenteils weiß und europäischstämmig.
Auch im amerikanischen Gewerkschaftsspektrum, das seit Ende des
Zweiten Weltkriegs traditionell die Kriege Washingtons offen unter-
stützte bzw. »andere Prioritäten« vorschob, um nicht dagegen auftreten zu müssen, tut sich einiges. Hatten die Gewerkschaften den
Afghanistankrieg noch voll unterstützt, so haben sich führende
Gewerkschafter in Sachen Irakkrieg offen ablehnend geäußert. Auch
im studentischen Milieu und bei den Kirchen steigt die Bereitschaft,
auf die Straßen zu gehen. Nach Hunderten von kleineren Mahnwachen
und Demonstrationen im ganzen Land will sich die USA-Friedensbewegung
am 15. Februar der Welt in voller Größe präsentieren - auch wenn es
bis dahin zur Verhinderung der Irakaggression wahrscheinlich zu spät
ist.
Neues Deutschland / ND, vom 06.01.03
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