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Besatzungsende in Sicht?

Die irakische Regierung will das geplante Truppenabkommen mit den USA überarbeiten. Washington dringt auf schnelle Zustimmung und Legalisierung der Okkupation

Von Joachim Guilliard *

Nach monatelangen Verhandlungen haben sich die Regierungen in Washington und Bagdad nun weitgehend auf einen Entwurf für ein Sicherheitsabkommen zwischen den beiden Staaten geeinigt. Der Pakt soll das zum Jahresende auslaufende Mandat des UN-Sicherheitsrats ersetzen, das bisher das legale Mäntelchen für die Präsenz der Besatzungstruppen bildet. Der in dieser Woche bekanntgewordene Entwurf beinhaltet einen Zeitplan der den Rückzug amerikanischer Kampftruppen aus den Großstädten bis Juni nächsten Jahres und einen kompletten US-Abzug aus dem Irak bis Ende 2011. Weiterhin enthält das Abkommen einen Artikel, der die vielkritisierte Immunität für US-Soldaten, Zivilangestellte und Söldner im Irak einschränkt. Bei außerhalb des Dienstes vorsätzlich begangenen Schwerverbrechen sollen sie fortan von irakischen Gerichten belangt werden können.

Besatzung legitimiert

Im Vergleich zu den ersten US-Entwürfen stellt die jetzige Vereinbarung für Washington eine massive Niederlage dar. Urspünglich sollte das Abkommen die US-Armee berechtigen, eine unbeschränkte Zahl von Truppen auf unbeschränkte Zeit im Land stationieren zu können, die weiterhin jederzeit Angriffe auf jedes Ziel im Irak durchführen dürfen, ohne Erlaubnis oder auch nur Benachrichtigung der irakischen Behörden. Alle Truppenangehörigen sowie die Zivilangestellten und Söldner sollten weiter völlige Immunität vor irakischen Gerichten genießen. Die US-Truppen im Irak sollten auch das Recht haben, ohne Absprache mit Bagdad Angriffe auf Nachbarstaaten vorzubereiten und durchzuführen. Die USA wollten sich zudem weiterhin die Kontrolle über den Luftraum bis in 10000 Meter Höhe vorbehalten, was der Airforce Angriffe auf beliebige Ziele im Irak wie auch die Nutzung des irakischen Luftraums durch eigene und befreundete Flugzeuge für Angriffe auf andere Länder, beispielsweise Iran, ermöglicht hätte.

Offensichtlich hatte die Regierung von US-Präsident George W. Bush die Kooperationswilligkeit der von ihr eingesetzten Regierung Nuri Al-Malikis über- und den Widerstand gegen eine derart weitreichende Preisgabe staatlicher Souveränität unterschätzt. Der Eindruck jedoch, mit der jetzigen Vereinbarung würde ein freiwilliger, wenn auch sehr langsamer Rückzug der USA aus dem Irak eingeleitet, täuscht. Trotz aller formalen Zugeständnisse, wird in Washington ein Ende der Besatzung und damit die Aufgabe der ehrgeizigen Ziele nicht ernsthaft in Betracht gezogen. Während die irakische Seite die Rückzugstermine als fix erklärt, fabuliert die US-Regierung über »Zeithorizonte«, die selbstverständlich von den Sicherheitsbedingungen vor Ort abhingen. Der Entwurf läßt beide Lesarten zu. In der Tat hätte der Rückzug in Abhängigkeit von der Situation vor Ort und der Fähigkeit der irakischen Armee, sich allein zu behaupten, zu erfolgen. Der Besatzerabzug »soll« nicht später als 30. Juni 2009 bzw. 31.Dezember 2011 beendet sein. Es gibt jedoch keine Klausel, die die Präsenz der US-Truppen nach Ablauf der Frist für illegal erklärt. Die Termine können zudem, so der aktuelle Entwurf, jederzeit auf Wunsch der irakischen Regierung verlängert werden.

Die US-Truppen haben in der Zwischenzeit weiterhin das Recht, im Land zu operieren und ihren Kampf gegen Widerstandsgruppen fortzusetzen. Die Verpflichtung, sich mit irakischen Stellen abzustimmen, dürfte der US-Armee angesichts ihrer Macht und der Abhängigkeit der irakischen Sicherheitskräfte kein Kopfzerbrechen bereiten.

Zu viele Zugeständnisse

In der Praxis würde auch die Einschränkung der Immunität kaum Auswirkungen haben, müßte die US-Armee doch nur jedem Soldaten, dem ein Schwerverbrechen vorgeworfen wird, bescheinigen, während der fraglichen Zeit im Dienst gewesen zu sein. Dennoch regt sich schon bei der bloßen Möglichkeit, ein US-Bürger könnte sich einmal vor irakischen Gerichten verantworten müssen, im Kongreß heftiger Protest.

Für die meisten Iraker gehen die Zugeständnisse an die USA immer noch viel zu weit. Sie möchten eine sofortige Einstellung der Angriffe durch US-Truppen und einen viel schnelleren Abzug. Und sie wollen das sofortige Ende der Straflosigkeit, mit der die Besatzer im Lande wüten.

Nutznießer eines solchen Abkommens wäre vor allem der irakische Premier Al-Maliki. Indem der Pakt im wesentlichen darauf abzielt, das aktuelle Regime in den nächsten drei Jahren in die Lage zu versetzen, sich alleine zu behaupten, würde es bei einem Erfolg dessen Stellung als neuer starker Mann ausbauen. Sollte er – im wahrscheinlicheren Fall – auch nach drei Jahren noch nicht fest im Sattel sitzen, so kann er die Termine einfach um ein paar Jahre verlängern.

Doch auch Al-Maliki ist gezwungen, auf die Stimmung im Land Rücksicht zu nehmen, und so hat er angekündigt, das Abkommen nur bei einer Zweidrittelmehrheit im Parlament zu unterzeichnen. Schon eine einfache Mehrheit ist jedoch sehr unwahrscheinlich.

Die Bush-Regierung zeigt allerdings wenig Bereitschaft, ein weiteres Mal nachzuverhandeln, und droht statt dessen mit ernsten Konsequenzen, sollte das Abkommen nicht bis Ende des Jahres unterzeichnet sein. Da die irakische Regierung ohne die US-Truppen nicht lange überleben würde, wird Al-Maliki schließlich nichts anderes übrigbleiben, als den Sicherheitsrat um eine Verlängerung des UN-Mandats zu ersuchen.

* Aus: junge Welt, 25. Oktober 2008

Kommandogewalt

Flaggenwechsel als PR und US-Drohungen **

Flaggenwechsel in der »Unruheprovinz«: Von der US-Armee gestützte irakische Truppen haben in der Region Babylon formal die Kontrolle übernommen. Die Übergabe fand am Donnerstag bei einer PR-Zeremonie in der Provinzhauptstadt Hilla etwa 120 Kilometer südlich von Bagdad im Beisein von irakischen Regierungsvertretern und ranghohen Angehörigen der US-Armee statt. »Wir sind stolz, den Stab von den US-Truppen zu übernehmen«, sagte der nationale Sicherheitsberater der von Washington gestützten irakischen Regierung, Muaffak Al-Rubaie. Babylon ist die zwölfte der 18 Provinzen, in der nun maßgeblich irakische Einheiten für Sicherheit sorgen sollen. In den kommenden Tagen werde der Irak auch die Kontrolle über die Provinz Wassit übernehmen, sagte Rubaie. Bei der Provinz handelt es sich um eine vergleichsweise ruhige Region.

Mit Babylon übernehmen die Iraker die Kontrolle über eine äußerst geschichtsträchtige Provinz, die wegen der vor 6000 Jahren dort beheimateten Hochkultur der Sumerer als eine der Wiegen der Menschheit gilt. Nach dem US-Einmarsch im Jahr 2003 wurde die Region mit rund 1,3 Millionen Einwohnern in den Me­dien »Dreieck des Todes« genannt. In der sunnitisch dominierten Gegend war der Widerstand gegen die Besatzer mit am größten, doch auch Terrorgruppen Al Qaidas sorgten mit blutigen Anschlägen auf Zivilisten für Schlagzeilen.

Die Nummer zwei der US-Besatzungstruppen im Irak, General Lloyd Austin, verwies bei der Übergabe auf den »bemerkenswerten« Rückgang der Gewalt in der Provinz. Noch vor einem Jahr hätten 20 Anschläge in der Woche die Gegend erschüttert. Seitdem seien die Angriffe um 80 Prozent zurückgegangen, so Austin. Dennoch werde die US-Armee die irakischen Sicherheitskräfte auch in Zukunft weiter »unterstützen« – ein klarer Hinweis darauf, wer letztlich das Sagen hat. Tags zuvor hatte US-Generalstabschef Michael Mullen vor »bedeutenden Sicherheitseinbußen« gewarnt, sollte die Regierung in Bagdad nicht wie gefordert den Stationierungspakt mit Washington unterzeichnen.

** junge Welt, 25. Oktober 2008




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