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"Die Lösung ist: Mit dem Krieg aufhören und verhandeln"

Gespräch mit Jürgen Todenhöfer. Über US-Besatzung und Widerstand im Irak, den gescheiterten Antiterrorkrieg in Afghanistan und eine Verhandlungslösung für den Mittleren Osten

Jürgen Todenhöfer (geb. 1940) war von 1972 bis 1990 Abgeordneter im Deutschen Bundestag und Sprecher der CDU/CSU für Entwicklungspolitik und Rüstungskontrolle. Seit über zwanzig Jahren ist er Manager eines großen europäischen Medienunternehmens. Sein Buch »Warum tötest du, Zaid?« (C.Bertelsmann, 2008) gibt dem irakischen Widerstand eine Stimme und plädiert für eine fundamentale Änderung der Politik des Westens gegenüber den islamischen Staaten.
Das folgende Interview führte für die Tageszeitung "junge Welt" Thomas Wagner.*



Vor fünf Jahren, am 1.Mai 2003, erklärte US-Präsident George W. ­Bush den Krieg gegen den Irak mit der Formulierung »mission accomplished« für beendet. Sie haben das Land vor einigen Monaten besucht. Wie geht es den Menschen dort heute?

Wenn ich an den Irak denke, denke ich an unendlich viel Leid. Jahrzehntelanges Leid. Nach dem irakisch-iranischen Krieg 1980–1988 überfällt Saddam Hussein 1990 Kuwait und wird von einer multinationalen Streitmacht unter Führung der USA vernichtend geschlagen. Danach werden über den Irak Wirtschaftssanktionen verhängt, die so verheerend sind, daß selbst der Vatikan sie pervers nennt, weil sie nicht Saddam treffen, sondern die Bevölkerung. Nach UNICEF-Aussagen sterben eine Million Menschen, davon 500000 Kleinkinder. Nachdem dieses Land am Boden lag, behauptet der US-Präsident, das Land habe Massenvernichtungswaffen, die es nicht hatte, und Kontakte zu Al-Qaida, die es auch nicht hatte. Zur völligen Fassungslosigkeit der Menschen dort wird der Irak dennoch bombardiert. Die Schätzungen über die Zahl der Toten gehen von mehreren Hunderttausend Toten nach Auffassung des irakischen Innenministeriums, das kein Interesse an hohen Zahlen hat, bis zu 1,2 Millionen nach Schätzungen des unabhängigen Forschungsinstituts ORB aus England. Ich stelle daher die Hälfte meines Honorars für die medizinische Versorgung von schwerverletzten irakischen Flüchtlingskindern zur Verfügung. Jede Operation für ein Kind, das eine zerschossene Hüfte hat, kostet 3000 bis 5000 Dollar. Der wichtigste Beitrag zur Beseitigung des Flüchtlingsproblems aber ist die Beendigung des Krieges.

Worin sehen Sie die Gründe für Krieg und Besatzung?

Heute weiß man, daß es einen Masterplan gab, eine von Neokonservativen geplante Strategie, den gesamten Mittleren Osten neu zu ordnen. Darin spielt das Öl eine große Rolle. Es gibt einige westliche Länder, die nacheinander eine neokolonialistische Politik durchführen. Dazu gehören die jetzige Administration der USA und die vorherige Regierung Großbritanniens. Durch den Sturz von Saddam Hussein – meinte man – könne man einen der großen Gegner Israels aus dem Weg räumen und würde damit eine völlige Neuordnung des Mittleren Ostens schaffen, angeführt von Demokratien. Man hat statt dessen völliges Chaos geschaffen. Man hat die Ölversorgung aus dem Irak nicht erleichtert, sondern erschwert. Man hat den Irak an den Rand des Zerfalls gebracht. Man hat den Einfluß des nächstwichtigen »Gegners« der USA, des Iran, massiv erhöht. Man hat das Gegenteil von dem erreicht, was man erreichen wollte, man hat sogar die Sicherheit Israels gefährdet.

Sie haben einmal Peter Ustinov mit der Aussage zitiert »Angriffskriege seien der Terrorismus der Reichen«.

Peter Ustinov liebte die scharfzüngigen Formulierungen, und er war nicht, wie ich, Manager in einem großen europäischen Medienunternehmen, der keine Lust hat, Schlagzeilen zu liefern. Ich möchte auf dramatische Sachverhalte, auf das Leid von Menschen hinweisen. Die Meinungen hierzu kann sich jeder selbst bilden. Es gibt in meinem Buch die Aussage des Leiters der Terrorismuskommission unter Ronald Reagan, Edward Peck hieß er, der sagte, er habe mehrere Entwürfe zur Terrorismusdefinition erarbeitet. Aber sie seien alle verworfen worden, weil ihr eigenes Land und seine Politik immer mit darunter gefallen seien. Für mich ist Terrorismus die Anwendung unrechtmäßiger Gewalt, mit dem Ziel, Schrecken zu erzeugen und dadurch politische Ziele zu erreichen. Ich finde es illegal und völkerrechtswidrig, was die Regierung der Vereinigten Staaten im Irak und gegenüber den Menschen dort getan hat. Kofi Annan sah das genauso.

Sie haben im August 2007 in der irakischen Stadt Ramadi mit führenden Vertretern des irakischen Widerstands gesprochen. Was haben Sie dort erfahren?

Ich war nicht nur in Ramadi. Ich war Pfingsten in Jordanien und Syrien und habe mit irakischen Exilanten, Exilpolitikern, Verfolgten des Saddam-Regimes und Widerstandsführern gesprochen. Das war eine breite Palette: Nationalisten, Baathisten, Muslime. Ein Christ hat mir stolz ein Bild gezeigt mit Johannes Paul II. Da habe ich die ersten Fragen gestellt über Widerstand, über Al-Qaida, über das Verhalten der Amerikaner. Ich war dann fünf Tage in Ramadi. Danach war ich noch einmal zehn Tage in Syrien und Jordanien und habe alle Aussagen meiner Gesprächspartner aus Ramadi überprüft: wiederum mit früheren Diplomaten des Irak, mit Journalisten, mit einem Intellektuellenzirkel, in dem Feministinnen waren, Kommunisten, Marxisten, Sozialisten, Baathisten, Nationalisten. Das war meine dritte Fact-Finding-Runde. Ich habe dann einen Freund hingeschickt, der dreißig Punkte, die noch ungeklärt waren, in einer vierten Runde überprüft hat. Als das Buch fertig war, bin ich in den Herbstferien noch einmal nach Jordanien und Syrien, um die letzten Fragen zu klären. Zum Beispiel: Wieviel Kämpfer hat der Widerstand? Er hat zwischen 100000 und 130000 Kämpfer. Wendet der Widerstand Gewalt gegen Zivilpersonen an? Nein. Er lehnt sie kategorisch ab. Aus wem besteht der Widerstand? Es gibt zwei große Allianzen. Die eine ist stärker säkular, die andere ist stärker islamistisch geprägt. Ich habe bei unseren insgesamt fünf Fact-Finding-Runden immer wieder dieselben Fragen gestellt: Wieviel Prozent der Bevölkerung stehen hinter dem Widerstand? Die durchschnittliche Zahl lag immer bei etwa 70 Prozent. Man kann das vergleichen mit der Resistance gegen die deutsche Besatzung in Frankreich. Ich habe gefragt, wie stark ist Al-Qaida? Al-Qaida ist eine marginale Gruppe und hat nicht einmal 1000 Kämpfer. Wie verhält sich Al-Qaida gegenüber Zivilisten? Al-Qaida nimmt keine Rücksicht auf Zivilisten. Wie steht die Bevölkerung zu Al-Qaida? Sie verachtet Al-Qaida. Man hat mir in allen Runden gesagt: Es gibt pro Tag etwa 100 militärische Aktionen der US-Armee gegen die irakische Bevölkerung. Bombardierungen, Razzien, Schießereien. Wir haben etwa die gleiche Zahl, 100 Aktionen des Widerstandes, die sich gegen die amerikanischen Streitkräfte richten. Von beidem hören und sehen Sie im Westen nie etwas, weil das Pentagon ein Informationsmonopol hat und die Journalisten keine Chance haben, sich dort frei zu bewegen. Man hat mir gesagt, zeigen Sie bloß nicht Ihren Journalistenausweis, sonst werden sie sofort zurückgeschickt. Journalisten sind darauf angewiesen, als »embedded journalists« dahin zu gehen, wo das Pentagon sie hinbringt. Es bringt sie nicht dahin, wo es die Bevölkerung bombardiert. Und es bringt sie auch nicht dahin, wo der Widerstand seine militärischen Aktionen durchführt, zum Beispiel Militärbasen mit Raketen angreift. Denn dann müßte das Pentagon zugeben, daß es einen starken Widerstand gibt, der von einem großen Teil der Bevölkerung unterstützt wird. Sie kriegen das im Westen nie zu sehen. Nie. Was Sie zu sehen bekommen gegenüber den 200, 300, auch mal 150 militärischen Aktionen pro Tag, sind die ein, zwei oder drei Anschläge der marginalen Al-Qaida, die eine schreckliche Terrorgruppe ist, aber militärisch nicht bestimmend für das, was sich im Irak abspielt. Daneben gibt es jeden Tag noch 30 bis 50 Aktionen verschiedener Politiker-Milizen, die sich untereinander bekriegen, weil sich in dem entstandenen Chaos fast jeder Politiker seine eigene Privatarmee zugelegt hat. Das bekommen Sie manchmal auch noch zu sehen, den wirklichen Krieg zwischen Widerstand und US-Armee jedoch nicht. Die Anschläge von Al-Qaida aber sehen Sie im Fernsehen, damit die US-Regierung ihrer Bevölkerung sagen kann: Wir führen im Irak einen Krieg gegen Al-Qaida. Aber das ist nicht der wahre Krieg.

Wird die US-Propaganda von den hiesigen Medien genügend hinterfragt?

Alle Kriegsministerien der Welt haben versucht, ihr Informationsmonopol in den von ihnen besetzten Ländern zu nutzen und der Bevölkerung den Krieg so zu zeigen, wie sie ihn zeigen wollen. Und Journalisten haben einfach keine andere Chance, als embedded in das Land zu gehen. Wenn Sie sehen, daß inzwischen mehr als 200 Journalisten im Irak gestorben sind, kann man eigentlich nur den Hut vor den Kollegen ziehen. Trotz der selektiven Faktenauswahl haben sich weltweit viele Journalisten eine zutreffende Meinung gebildet. Bei der Lektüre mehrerer hundert Artikel über das Gebiet, in dem ich war, fiel mir natürlich schon auf, daß der Wortlaut der Berichterstattung selbst großer amerikanischer und englischer Zeitungen häufig identisch war, weil das der Wortlaut des begleitenden Presseoffiziers war und die Kollegen gar keine andere Chance hatten, als das als Faktum weiterzugeben. Sie wurden immer zu demselben Händler gebracht, der immer denselben Satz sagte. Was er nicht sagte, war, daß er vielleicht gerade einen großen Auftrag von den Amerikanern bekommen hatte. So wie man während der deutschen Besatzung in Frankreich natürlich auch Leute gefunden hat, die gesagt haben: »Großartig, daß die Deutschen hier sind.«

Der Journalist Peter Scholl-Latour meint, daß sich infolge der US-Besatzung Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten zu einem Bürgerkrieg zuspitzen könnten. Können Sie das bestätigen?

Ich halte Scholl-Latour für ein großes Vorbild und für den am besten informierten und am besten informierenden Journalisten. In diesem Punkt bin ich jedoch anderer Meinung als er. Vor dem Krieg haben sich Sunniten und Schiiten so gut verstanden wie in Deutschland Katholiken und Protestanten. Das wird häufig übersehen, weil es im schiitischen Süden Aufstände gegen die Zentralregierung gab. Aber es gab im Norden auch Aufstände der sunnitischen Kurden. Ausschlaggebend war in diesen Fällen nicht, ob jemand sunnitisch oder schiitisch war, sondern daß Saddam bestimmte Regionen und Stämme benachteiligt hatte. Wenn ich meine Gesprächspartner gefragt habe, wer ist von Ihnen Sunnit oder Schiit, haben die gesagt: »Entschuldigung, wir fragen Sie auch nicht, sind Sie Katholik oder Protestant.« Jetzt ist durch die Politik der USA, die die Macht entlang von Ethnien verteilt haben, allerdings etwas entstanden, was auch in Deutschland entstehen würde, wenn plötzlich nur die Protestanten Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landratsposten bekämen, die Katholiken dagegen enteignet und ihre Geschäfte konfisziert würden. Da entsteht Haß, und es gibt auch offene Rechnungen. Die früher überschaubaren Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten sind größer geworden. Aber alle meine Gesprächspartner haben mir gesagt, wir brauchen ein paar Wochen, dann haben wir alle diese Problem gelöst. Auch aus diesem Grund: Die Amerikaner haben die Elite, die oberen und mittleren Kader der Verwaltung, der Polizei und des Militärs entlassen. Die sind zu Zehntausenden ins Ausland geflohen. Meine Gesprächspartner gehen davon aus, daß die meisten – Schiiten, Christen, Sunniten – im Falle eines Abzugs zurückkämen und daß man dann relativ schnell wieder eine stabile Verwaltung, Polizei und Armee aufbauen könnte. Vielleicht müssen in einer Übergangszeit auch arabische, muslimische Staaten mithelfen. Das kann alles sein. Aber das Argument, man brauche die Amerikaner, damit kein Bürgerkrieg ausbricht, haben meine Gesprächspartner immer als persönliche Beleidigung empfunden. Das ist ja die totale Verhöhnung. Die USA haben das Chaos gebracht, und jetzt sollen sie dableiben, um das Chaos umzuwenden?

Al-Qaida ist in einigen sunnitischen Gebieten nicht von den Amerikanern vertrieben worden, wie diese stolz berichtet haben, sondern ihnen ist in dem Gebiet, in dem ich war, einfach die Unterstützung der Bevölkerung entzogen worden. Solche Guerillas, für mich sind sie Mörder, können, wie Mao Tse-tung richtig erkannt hat, nur wie Fische im Wasser leben, wenn es Wasser gibt. Als die Bevölkerung sagte, wir wollen mit euch nichts zu tun haben, waren sie erledigt. 90 Prozent der ehemals 3000 und jetzt noch knapp 1000 Al-Qaida-Kämpfer sind übrigens Ausländer. Wenn die Amerikaner abziehen, geht ihnen der Feind verloren. Für den irakischen Widerstand ist Al-Qaida kein diskussionswürdiges Problem, denn die Bevölkerung wird sie vertreiben. Ein größeres Problem sind die Politiker-Milizen.

Welche Politik sollten die europäischen Regierungen angesichts dieser Situation einschlagen?

Ich halte die Antiterrorpolitik gegenüber Afghanistan, Irak und anderen muslimischen Staaten für eine Sackgassenpolitik, weil sie unintelligent, uninformiert und unmoralisch ist. Man wird am Schluß fragen: Wer hat denn diesen absurden und dummen Satz gesagt »Unsere Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt«? Und wer hat deutsche Soldaten zum Kämpfen mit einem robusten Mandat dort hingeschickt? Die Taliban beherrschen nach Erkenntnissen der CIA zehn Prozent des afghanischen Gebietes. Ihren überschaubaren Zulauf bekommen sie vor allem wegen der Präsenz der amerikanischen Truppen. Es ist Aufgabe der afghanischen Regierung, mit diesem Problem fertig zu werden. Soweit ich das überblicke – ich habe Karsai getroffen und kenne einige sehr wichtige Akteure Afghanistans –, haben die Taliban in ihrer Regierungszeit abgewirtschaftet und das Vertrauen der Bevölkerung völlig verloren. Die hatten einen grauenvollen Religionspolizeistaat eingeführt, den dort kein Mensch mehr haben will. Wir müssen aus Afghanistan raus. Vielleicht könnten wir in einer der Provinzen, geschützt durch Friedenstruppen, einmal zeigen, was wir an Entwicklung leisten könnten. Mit jedem Kind aber, das am Hindukusch oder in Bagdad durch westliche Bomben stirbt, bekommt Al-Qaida weltweit, auch in Europa, Zulauf und wächst die Terrorgefahr. Mit jedem Kriegstag wächst auch in Deutschland die Gefahr von Anschlägen von Al-Qaida, weil junge Muslime überall auf der Welt sagen: »Da mache ich nicht mehr mit.«

Unsere Politik ist uninformiert, weil wir zu viele Sofa-Politiker im Westen haben, die die Länder, über die sie entscheiden und gegen die sie Kriege führen, überhaupt nicht kennen. Kein amerikanischer, kein englischer und kein deutscher Politiker hat jemals eine Woche in einer afghanischen oder irakischen Familie verbracht, weiß, welches Leid diese Menschen ertragen, welche Hoffnungen und Sorgen sie haben und worauf man sich gemeinsam verständigen könnte. Ich finde, daß wir im Westen einige großartige Erfolge vorzuweisen haben in Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur, aber in Sachen Menschlichkeit sind wir nicht Spitzenreiter. Man konnte vor dem Irak-Krieg sehr wohl in den Irak gehen. Ich war zweimal mit meinen Kindern vor Beginn des Krieges dort. Mein Sohn, mit dem ich in Bagdad war, wollte, als »9/11« passierte, wie die Amerikaner, Afghanistan und den Irak »plattmachen«. Als »Belohnung« für sein Abitur habe ich ihn mit nach Bagdad genommen. Und schon nach dem ersten Tag sagte er mir: »Die Leute sind ja so unglaublich freundlich.« Er ging durch diese Stadt, und die Menschen halfen ihm. Die Polizisten fauchten ihn nicht, wie in westlichen Ländern, an. Diese Liebenswürdigkeit ist überwältigend. Wenn Sie in ein muslimisches Land gehen, und zwar egal in welches, erfahren Sie große Hilfsbereitschaft. Die Leute reden nicht über Nächstenliebe, sie praktizieren sie. Wir können auch viel von ihrem Familiensinn lernen. Der alte, kranke Mensch wird geliebt, umsorgt und respektvoll behandelt. Man kann heute auch in den Iran reisen. Das ist ein großartiges, wunderschönes Land. Keiner hindert die Politiker Amerikas daran, in dieses Land zu reisen und sich umzuschauen. Das ist ein Land mit einer grauenvollen Regierung, aber einer großartigen Bevölkerung.

Die westliche Politik ist unmoralisch, weil unsere Politiker zwar zu recht Al-Qaida geißeln, die in den letzten 20 Jahren 5000 westliche Zivilisten brutal ermordet hat. Aber dieselben Politiker verneigen sich vor dem amerikanischen Präsidenten, der im Irak mehrere hunderttausend tote Zivilisten zu verantworten hat. Und sie sind stolz auf jede Minute, die sie mit ihm verbringen können. Wenn diese Invasion in den Irak nicht von den amerikanischen und englischen Regierungschefs durchgeführt worden wäre, sondern zum Beispiel vom Staatschef Venezuelas, Hugo Chávez, wenn dieser mehrere hunderttausend irakische Menschenleben zu verantworten hätte, mehrere tausend Vergewaltigungen, mehrere tausend Folteropfer, dann würde der gesamte Westen fordern, daß Chávez vor den Internationalen Strafgerichtshof gestellt wird. Wenn das aber ein Engländer oder Amerikaner macht, fordert das keiner. An dieser Doppelmoral wird die westliche Wertegemeinschaft scheitern, wenn sie sie nicht beendet.

Was ist die Alternative zu dieser Sackgassenpolitik?

Die Lösung ist: Aufhören mit Krieg, anfangen mit Verhandeln! Das Motto muß lauten: Wir müssen die muslimische Welt genauso behandeln, wie wir selbst behandelt werden wollen. Wenn wir die arabische Welt, die muslimische Welt, genauso großzügig behandeln, wie wir zu recht Israel behandeln, gibt es morgen keinen Terrorismus mehr, weil es keinen Nährboden mehr gibt. Diesen Vorschlag muß Europa auf den Tisch bringen. Das Modell dafür heißt KSZE. Im Ost-West-Konflikt hat man sich hingesetzt und verhandelt. Dieser KSZE-Prozeß hat gedauert von 1972 bis zum Fall der Mauer. Das waren nicht irgendwelche Weicheier, die in den 1980er Jahren verhandelt haben, sondern Männer wie Ronald Reagan. In einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit für den Mittleren Osten müßten der iranische Staatschef genauso sitzen wie der israelische und der syrische. Dazu kämen Vertreter des irakischen Widerstands und natürlich die gewählten Vertreter Palästinas, alle führenden Vertreter des Mittleren Ostens.

Jürgen Todenhöfer: Warum tötest Du, Zaid? C. Bertelsmann, München 2008, 336 Seiten, 19,95 Euro.

Weitere Informationen und Debatte dazu im Internet: warum-toetest-du-zaid.de

* Aus: junge Welt, 26. April 2008


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