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Kurden in Irak rücken vor

Maliki: Religiöse Konflikte von außen provoziert *

Kurdische Kämpfer haben die Kontrolle über Gebiete nahe der nordirakischen Stadt Kirkuk übernommen. Nach »Beratungen mit dem Gouverneur von Kirkuk« sei beschlossen worden, dass die Kampfeinheiten »das Vakuum auffüllen« sollten, das in der Region bestanden habe, sagte am Samstag der Chef des Regionalministeriums, Dschabbar Jawar. Im Norden gibt es ein kurdisches Autonomiegebiet, dessen Grenzen umstritten sind. Die Kurden haben eine lange Tradition eigenständiger Kampfeinheiten, die sie als Peschmerga bezeichnen.

»Sie wollen die Ölfelder erreichen«, sagte General Ali Gaidan Madschid, der die irakischen Bodentruppen befehligt. Er sprach von einer »gefährlichen Entwicklung«. Es gebe eine Vereinbarung, dass die irakischen Truppen und die Peschmerga in dieser Region gemeinsame Kontrollposten unterhalten sollten. In der Region Kirkuk leben Araber, Kurden und Turkmenen. Außerdem ist die Bevölkerung unterteilt in sunnitische und schiitische Muslime.

Die jüngsten interkonfessionellen Konflikte in Irak sind nach Ansicht von Regierungschef Nuri al-Maliki von außen provoziert worden. Das »Übel des Konfessionalismus« bedürfe keiner Genehmigung, um von einem Land auf das andere überzugreifen, sagte Maliki am Samstag unter Anspielung auf das Nachbarland Syrien im irakischen Fernsehen. Der Streit zwischen den Konfessionen könne »schnell zur Spaltung und Zerfleischung Iraks, der arabischen Länder und anderer muslimischer Staaten« führen.

Bei Anschlägen in Irak, die sich unter anderem gegen sunnitische Moscheen richteten, wurden allein seit letzten Dienstag mehr als 200 Menschen getötet.

* Aus: neues deutschland, Montag, 29. April 2013


Existenzielle Krise

Von Olaf Standke **

Nicht nur in Irak war das Aufatmen groß, als die jüngsten Regionalwahlen nach einem blutigen »Wahlkampf« mit vielen Opfern vergleichsweise glimpflich abliefen. Es kam zu früh. Denn seitdem erschüttern fast täglich neue Anschläge das Zweistromland. Nach über 200 Toten binnen vier Tagen sprachen die Vereinten Nationen jetzt von einem »Wendepunkt« und appellierten an das Gewissen der religiösen und politischen Führer Iraks, die Wut nicht über den Frieden triumphieren zu lassen. Vergeblich. Allein am Montagmorgen starben wieder elf Menschen durch politisch motivierte Gewalt.

Es gibt gleich mehrere gefährliche Konfliktlinien. So löste ein blutiger Militäreinsatz gegen Sunniten, die wochenlang in Hawija gegen die ihrer Meinung nach diskriminierende Politik der schiitisch dominierte Regierung demonstriert hatten, in der Region zahlreiche Vergeltungsschläge aus. Die Sahwa-Miliz drohte mit »Krieg wie 2006« gegen die Rebellen in der westlichen Provinz Al-Anbar. Kurdische Kämpfer wiederum haben die Kontrolle über Gebiete nahe Kirkuk übernommen - eine sehr gefährliche Entwicklung, wie der Chef der Bagdader Bodentruppen erklärt und dabei die Ölfelder der Region im Blick hat. Im Norden gibt es ein kurdisches Autonomiegebiet, dessen Grenzen umstritten sind. So wächst die Gefahr eines Bürgerkrieges und der Spaltung des Landes. Muaffak al-Rubai, einst Nationaler Sicherheitsberater in Bagdad, sieht Irak längst in der tiefste Krise seit 1921. Das war das Jahr der Staatsgründung.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 30. April 2013 (Kommentar)


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