Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Von Kabul nach Bagdad

Chronik eines angekündigten Krieges

Von Peter Strutynski

Die USA geben ein Schauspiel und die Welt schaut zu?

Seit US-Präsident Goerge W. Bush der Welt des Terror den Krieg erklärte und dabei insbesondere die "Achse des Bösen" als erstes Angriffsziel ins Visier nahm, ist der Beginn dieses Krieges für viele nur noch eine Frage der Zeit. Dabei darf nicht vergessen werden, dass es schon der zweite Krieg dieser Art wäre. Der erste begann am 7.Oktober 2001 mit anglo-amerikanischen Luftangriffen auf vermeintliche Terroristennester in Afghanistan. Ein wellenförmiger Krieg, der schon des öfteren "siegreich" beendet zu sein schien und doch immer weitergeht. Das erste Mal siegten die "Alliierten" mit der Eroberung der letzten großen Taliban-Bastion Kandahar am 7. Dezember, das zweite Mal mit der Inthronisation einer auf dem Petersberg bei Bonn Anfang Dezember zusammengebastelten Übergangsregierung unter Hamid Karsai am 22. Dezember, das dritte Mal mit der formelle Beendigung der Bodenoffensive "Anaconda" am 11. März 2002.

Von Erfolg zu Erfolg

Auch dazwischen und danach war der Krieg reich an Erfolgsmeldungen: die Einnahme von Masar-i-Sharif, durch Truppen der Nordallianz am 9./10. November 2001, die Erstürmung der Bergfestung Tora Bora, wohin sich die Al-Qaida- und Taliban-Führung geflüchtet haben sollte, am 16. Dezember sowie die Gefangennahme oder Tötung diverser prominenter Taliban- oder A-Qaida-Führer.

Ein weiterer Erfolg der überlegenen Kriegführung: Während sich die getöteten amerikanischen und britischen Soldaten an wenigen Händen abzählen lassen, geht die Zahl der getöteten Gegner in die Tausende. Wäre der Krieg allein mit dem alttestamentarischen und heute dem Islam in die Schuhe geschobenen Prinzip der (Blut-)Rache begründet, so sind jedenfalls die rund 2.900 Terroropfer des 11. September mehr als gerächt, "Gerechtigkeit" in diesem Verständnis also über Gebühr hergestellt. Doch die abendländisch-zivilisatorische Auffassung von Gerechtigkeit Bush`scher Lesart erweist sich mitunter als noch blutrünstiger. Der Krieg ist ja noch nicht zu Ende. Es darf weiter gestorben werden.

Dabei haben wir noch nicht einmal von den zivilen Opfern des Krieges gesprochen. Auch sie gehen in die Tausende, wie u.a. Marc Herold bereits Anfang Dezember 2001, also nach nur zwei Monaten Krieg, auf Basis einer akribischen Auswertung verschiedener Quellen errechnet hat (1). Seither sind weitere sieben Monate vergangen - Zeit genug, um nicht nur die ein oder andere Hochzeitsgesellschaft auszulöschen (auch dies "Erfolge", wenn man nur die militärische Effizienzrelation Getötete/Bombe betrachtet) oder aufgrund von Fehlinformationen der eigenen Aufklärung die eigenen Verbündeten zu bombardieren; auch Zeit genug, der afghanischen Bevölkerung außerhalb des ISAF-geschützten UNOtops Kabul zu demonstrieren, dass nach westlichem Verständnis doch der Krieg der Vater aller Dinge ist.

Von einem anderen Erfolg wäre noch zu berichten. Es war eine politische Spitzenleistung der US-Diplomatie, in den knapp vier Wochen zwischen dem 11. September und dem 7. Oktober eine fast weltweite Koalition zusammengebracht zu haben, die das Bemühen unterstützen wollte, die Drahtzieher der Terroranschläge von New York und Washington zur Rechenschaft zu ziehen. Daraus hätte man viel mehr und vor allem anderes machen können als einen Krieg gegen Afghanistan. Der Aufbau internationaler Kooperationsbeziehungen von Ermittlungsbehörden, Justiz, Polizeikräften und Geldinstituten über Kultur- und Rechtssystemgrenzen hinweg und in "schwache" Staaten hinein, wäre nicht nur eine Investition in die Zukunft gewesen, sondern hätte möglicherweise auch schon auf die Spur einiger hochrangiger Terroristen führen können. Zu solcher Arbeit taugt das Militär nicht. Mit der Option für den Krieg hat US-Präsident Bush all seine Trümpfe aus der Hand gegeben und sich der militärischen Logik anvertraut. Dass er sich zu diesem Schritt entschloss, nachdem er sogar von der Taliban-Regierung ein Angebot erhalten hatte, Osama bin Laden und sein Al-Qaida-Hauptquartier an ein drittes Land auszuliefern, zeigt, dass seine diplomatische Offensive nur ein Manöver war, das von seinen eigentlichen Absichten ablenken sollte. Diese knapp vier Wochen waren z.B. wichtig, um die Europäer vollständig ins Boot zu holen, indem ihnen demonstriert wurde, dass die USA eben nicht blindwütig und in "Cowboy"-Manier zurückschlagen würden, sondern vor der Option Krieg alle politischen Möglichkeiten auszuschöpfen gewillt seien. Obwohl heute allgemein davon ausgegangen wird, dass sich die Spitzenkräfte des Al-Qaida-Netzwerks überall in der Welt, nur nicht (mehr) in Afghanistan aufhalten, wird der Krieg in diesem Land fortgesetzt, bleibt das Land in der Gewalt der USA. Genau das dürfte denn auch das eigentliche Ziel des Krieges gewesen sein.

Nun war bzw. ist der Afghanistan-Feldzug nur die erste Phase des US-amerikanischen andauernden "Krieges gegen den Terror". Die zweite Phase sollte darin bestehen, in ausgewählten Ländern/Regionen, in denen Unterschlüpfe für Terroristen vermutet werden, diese mit Hilfe der regulären Sicherheitskräfte der betroffenen Staaten aufzuspüren und zu bekämpfen. Dabei treten US-Militärs angeblich nur als Berater oder als Ausbilder der jeweiligen einheimischen Streitkräfte auf. Bekannt geworden ist diese Art der Kooperation aus Georgien, den Philippinen, aus Jemen und Tadschikistan. Auch wenn über die wirkliche Tätigkeit der US-Spezialeinheiten so gut wie keine Informationen erhältlich sind, so wissen wir doch wenigstens, dass sie sich dort auf längere Zeit eingerichtet haben. Dies gilt selbst für die Philippinen, deren Präsidentin Gloria Macapagal Arroyo die GIs unter Umgehung der Verfassung ins Land geholt hat. Die philippinische Verfassung verbietet den Einsatz fremder Truppen auf eigenem Boden. Deshalb deklarierte Arroyo die US-Militärhilfe als Manöver. In einem CNN-Interview am 17. Januar 2002 sagte sie: "Die Leute haben vielleicht den Eindruck, diese Soldaten seien zum Kämpfen gekommen. Das ist aber nicht so, sie sind hier um gemeinsam mit unseren Männern zu trainieren." Die "Operation Balitakan" (Seite an Seite), wie das "Training" offiziell hieß, dauerte immerhin sieben Monate. Am 31. Juli 2002 gab das US-Verteidigungsministerium den Abzug der Truppen bekannt. Sie hätten die Ausbildung der philippinischen Anti-Terror-Einheiten erfolgreich abgeschlossen, hieß es gleichlautend aus Manila und Washington. Dass weder der philippinische "Oberschurke" Abu Sayyaf und dessen Gang niedergerungen wurden noch die sonstigen Entwicklungsprobleme des Landes, insbesondere Mindanaos auch nur ansatzweise einer Lösung zugeführt werden konnten, darüber las man in der Erklärung des Pentagon nichts.

Inzwischen haben die USA ihre politische Offensive in Südostasien auch auf die ASEAN ausgedehnt, auf jene seit Jahren mit unterschiedlichem Erfolg agierende "Vereinigung südostasiatischer Staaten", die sich aus mittlerweile zehn nichtpaktgebundenen Ländern der Region zusammensetzt. Bei einem zweitägigen Treffen in Brunei Ende Juli 2002 haben sich die Außenminister derASEAN-Staaten auf ein Anti-Terror-Abkommen mit den USA geeinigt. Dieses Abkommen sieht u.a. eine engere Zusammenarbeit der Geheimdienste und den gegenseitigen Austausch von Informationen vor. Den USA wird dabei eine führende Rolle zugestanden. Im Gegenzug dazu versprach Washington technische und finanzielle Hilfe. Bedenken, die im Vorfeld der Konferenz insbesondere von Vietnam geäußert worden waren, dass mit einem solchen Abkommen das in der ASEAN sehr hoch bewertete Prinzip der Nichteinmischung untergraben würde, konnten sich nicht durchsetzen. Zwar wurde von den 10 Außenministern eine größere Rolle der Vereinten Nationen im Kampf gegen den Terror angemahnt, doch die USA bestanden darauf, dass das Abkommen einem möglichen Einsatz ihrer Soldaten in der Region nicht entgegenstehen dürfe. Schon heute befinden sich die siebte Flotte und rund 100.000 US-Soldaten in der Region. (SZ, 31.07.2002)

Die dritte Phase im "Kampf gegen den Terror": Krieg gegen Irak

Im Drehbuch des Pentagon schließt sich an diese "Low-intensity-conflict"-Phase als dritte Phase wieder ein großer Krieg an. Diesmal geht es gegen einen der drei Oberschurkenstaaten, die Präsident Bush in seiner Rede zur Lage der Nation am 29. Januar 2002 erstmals als "Ache des Bösen" namentlich benannt hat: Nordkorea, Iran und - vor allem - Irak (2). Beweise für irgendwelche Komplizenschaften zwischen den Regierungen dieser Staaten mit Osama bin Laden gibt es nicht, darauf kommt es aber, wie der Fall Afghanistan zeigt, auch nicht an. Die offizielle Argumentation hebt inzwischen schon längst auf einen weiteren "Kriegsgrund" ab: Die "Achse des Bösen" verfüge über Massenvernichtungswaffen und entsprechende Trägersysteme oder plane ihren Bau und bedrohe damit tendenziell die USA. In einer Rede im Virginia Military Institute am 17. April 2002 wurde US-Präsident Bush ganz deutlich, als er sagte: "Schließlich sieht sich die zivilisierte Welt einer ernsten Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen ausgesetzt. Ein geringe Zahl geächteter Regime entwickelt und besitzt heute chemische, biologische und nukleare Waffen. Sie fertigen Raketen als Trägersysteme und kultivieren gleichzeitig ihre Kontakte zu Terrorgruppen. Durch die Bedrohung des Friedens, durch ihre verrückten Ambitionen, durch ihr destruktives Potenzial und die Unterdrückung ihres eigenen Volks stellen diese Regime eine Achse des Bösen dar, gegen die die Welt vorgehen muss." (3) Und jeder wusste, wer gemeint war, als Bush in seiner berühmt gewordenen West-Point-Rede vor Absolventen der Militärakademie am 1. Juni d.J. den augenblicklichen Hauptschurken dieser Welt beschrieb: "Eindämmung ist nicht möglich, wenn verrückte Diktatoren mit Massenvernichtungswaffen Raketen als Träger für diese Waffen haben oder sie insgeheim terroristischen Verbündeten zur Verfügung stellen." (4)

Dass ein Krieg gegen den Irak unvermeidlich ist, darüber scheint in der politischen Klasse der USA Konsens zu herrschen. Es geht nicht um das Ob, sondern nur noch um das Wie und Wann des Krieges. Über das letztere wird bis zum heutigen Tag eifrig spekuliert. Viele Beobachter halten einen Kriegsbeginn im Februar 2003 für wahrscheinlich. In der Zwischenzeit regte sich aber auch eine Reihe prominenter Stimmen aus dem konservativen Lager, die vor einem zu unbedachten Losschlagen warnten. Zu nennen sind etwa Brent Scowcroft, während des zweiten Golfkriegs (1991) Sicherheitsberater des US-Präsidenten George Bush sen., die ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger und Laurence Eagleburger oder sogar der populäre Befehlshaber der US-Truppen im Golfkrieg, General Norman Schwarzkopf. Mitte August hatte sich eine besonders wichtige Stimme zu Wort gemeldet: die des ehemaligen Sicherheitsberaters unter Präsident Carter, Zbigniew Brzezinski. In einem Beitrag für die "Washington Post" (17.08.2002) nannte er eine Reihe von Bedingungen, welche die USA herstellen müssten, bevor sie den Irak angreifen könnten. Notwendig sei erstens, dass der Präsident in einer Ansprache an die Bevölkerung seine Argumente sorgfältig darlegt und begründet, weshalb die Bedrohung durch Saddams Massenvernichtungswaffen so ernst sei, dass die USA zum Handeln gezwungen sei. Zweitens müsse die US-Administration verdeutlichen, warum Abschreckung als Mittel nicht mehr genüge. Drittens empfiehlt Brzezinski, dass Präsident Bush die internationale Initiative ergreifen solle. Insbesondere sollten die USA eigene Vorschläge für umfassende Waffeninspektionen im Irak ins Spiel bringen. Falls Saddam die Inspektionen erneut ablehne, könnte dies als legitimer Kriegsgrund hingestellt werden. Auf diese Weise fiele es leichter, die zögerlichen europäischen Regierungen für sich zu gewinnen. Viertens sollten sich die USA aktiver für die Beendigung des Nahostkonflikts engagieren. Fünftens sollten sich die USA möglichst bald mit den Verbündeten und den betroffenen arabischen Staaten zu Gesprächen über eine irakische Nachkriegsordnung zusammenfinden. All diese Schritte seien geeignet, dem militärischen Vorgehen der USA international eine größere Legitimation zu verschaffen. "Wenn es denn Krieg sein soll, so muss er in einer Weise geführt werden, die die globale Hegemonie der USA legitimiert und gleichzeitig zu einem zuverlässigeren System der internationalen Sicherheit führt." (Zit. n. Neue Zürcher Zeitung, 19.08.2002.)

Politische Beobachter diesseits und jenseits des Atlantiks vermuten, dass eine endgültige Festlegung des Kriegsbeginns hauptsächlich innenpolitisch beeinflusst sein wird. Die Teilwahlen zum US-Kongress im November spielen im Kalkül der Bush-Administration eine ebenso große Rolle wie die absehbare weitere Abschwächung der Binnenkonjunktur. US-Präsident Bush wird längst nicht mehr nur als Garant militärischer Stärke und Sicherheit angesehen, geschweige denn als fähiger Politiker, der die wirtschaftliche und sozialen Probleme des Landes anpacken könnte. Die Enron-Pleite 2001 ist nicht vergessen, da werden im Sommer 2002 die Bilanzmachenschaften großer Konzerne, unter ihnen einer der Marktführer der "New Economy", WorldCom, zum nationalen Skandalthema, in das neben dem Vizepräsidenten Cheney Präsident Bush persönlich verstrickt ist. Während die Außenpolitik im allgemeinen kein Thema ist, mit dem Wahlen zu gewinnen (oder zu verlieren) sind, kann sie in ihrer spezifischen "Fortsetzung" als Krieg durchaus wahlentscheidend werden. Ein Krieg gegen den Irak als der gegenwärtigen Hauptbedrohung der USA könnte in der Tat als Befreiungsschlag eingesetzt werden. Für Wochen oder Monate würde sich das patriotische Amerika (und Amerika war immer patriotisch) hinter ihrem Präsidenten scharen im festen Glauben, einen gerechten Krieg gegen das verabscheuungswürdigste Regime der Welt zu führen.

Dafür müssen allerdings noch ein paar Bedingungen hergestellt werden. Beim Afghanistan-Krieg war der Kriegsgrund für die USA im In- und Ausland noch relativ leicht einzusehen: Die Verbindung zwischen den Attentaten vom 11. September und dem in Kabul regierenden Taliban-Regime war nicht von der Hand zu weisen und das Versprechen, Ossama bin Laden und sein Terrornetzwerk Al Qaida zerschlagen zu wollen, klang für einen Großteil der "Staatengemeinschaft" zumindest plausibel. Auch der Sicherheitsrat begab sich mit seinen Resolutionen vom 12. und 28. September in eine zwielichtige Position, von der aus etliche Völkerrechtsexperten den Krieg sogar als UN-mandatiert ansahen (5). Und schließlich sorgte der Krieg selbst, der zwar vorwiegend als destruktiver Luftkrieg geführt wurde, aber mit der verbündeten "Nordallianz" rechtzeitig Bodentruppen zur Geländegewinnung zur Verfügung hatte, dafür, dass die kritischen Stimmen leiser wurden. Mit den sich eher zufällig einstellenden Erfolgen (Beendigung des Taliban-Regimes, Bildung einer Koalitionsregierung auf dem Petersberg bei Bonn, Entsendung von internationalen UN-Truppen [Isaf] zur Sicherung Kabuls, Aufbau diverser Infrastruktur- und Bildungseinrichtungen in Kabul), konnten die augenscheinlichen militärischen Misserfolge übertüncht werden. Das Kriegsziel Nr. 1, Ossama bin Laden zur Strecke zu bringen, ist bis zum heutigen Tag nicht erreicht worden.

Araber und Europäer zieren sich

Zur Vorbereitung eines Krieges gegen den Irak bedarf es größerer militärischer Anstrengungen und besserer politischer Begründungen. Die bisherige Argumentation der US-Administration, Irak sei im Besitz von Massenvernichtungswaffen und könnte diese an Terroristen weitergeben, womit die freie Welt insgesamt in hohem Maße gefährdet sei, schlägt insbesondere bei den europäischen Verbündeten nicht so recht an. Schon während des Europa-Trips des US-Präsidenten im Mai 2002 wurde das Werben des Präsidenten mit auffälliger Zurückhaltung aufgenommen. Die diplomatische Sprachregelung lautete: Es gibt keine konkrete Planung der USA für einen Angriff gegen Irak, es bestehe also auch kein Erklärungs-, geschweige denn ein Handlungsbedarf. Als die Spekulationen um einen bevorstehenden US-Angriff aber stärker ins Kraut schossen - das war im Juli/August der Fall -, waren Politiker aus den wichtigen europäischen Ländern gezwungen, Stellung zu beziehen. Am 5. Juli hatte die New York Times über den Inhalt eines Dokuments des Pentagon berichtet, wonach ein US-amerikanischer Angriff mit rund 250.000 Soldaten erfolgen sollte (6). Der Plan sah einen Angriff von drei Seiten vor (Kuwait im Süden, Jordanien im Weste und Türkei im Norden), wobei die US-Kampfflugzeuge von ihren Stützpunkten in acht Ländern einen "gewaltigen Luftkrieg entfesseln und Tausende von Zielen, einschließlich Flugplätze, Straßen und Telekommunikationsknotenpunkte, zerstören" sollten. US-Spezialeinheiten würden darüber hinaus im Hinterland irakische Depots und Waffenlager angreifen. So realistisch die Kriegsplanung war, so vage war der zeitliche Horizont der Aktion. Das Dokument enthielt keinerlei Angabe über einen möglichen Zeitpunkt für den Beginn des Kriegs. Die US-Administration hielt sich bedeckt. Zwar bekräftigte US-Präsident Bush drei Tage später, am 8. Juli, noch einmal seine - bekannten - Essentials zur Irakfrage (ein Regierungswechsel sei "festes Ziel" der Regierung. "Und wir werden alle Mittel nutzen, die uns zur Verfügung stehen, um dies zu erreichen."). Den Aufsehen erregenden Artikel der New York Times ließ er hingegen unkommentiert (diese und die folgenden Angaben finden sich, soweit nicht anders vermerkt, in der "Chronik eines angekündigten Krieges" (7). Gleichzeitig verstärkten die USA ihre diplomatischen Bemühungen, Regierungen des arabischen Raums für ihre Anti-Saddam-Politik einzunehmen. Dabei dürften sanfter Druck ebenso im Spiel gewesen sein wie finanzielle und militärische Zugeständnisse. Washington bemühte sich besonders um Jordanien, die Türkei, Saudi-Arabien, Kuwait und die Vereinigten Emirate. Letztere erhielten z.B. am 17. Juli von Washington eine Zusage von Rüstungslieferungen im Wert von 1,5 Mrd. Euro. Jordanien ließ wiederholt erklären, dass es gegen eine US-Intervention im Irak sei. Ähnlich äußerte sich auch der Außenminister von Saudi-Arabien, Prinz Saud el Faisal, nach einem Treffen mit seinem iranischen Amtskollegen in Teheran Anfang August. Die Türkei soll in Verhandlungen mit dem stellvertretenden US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz Mitte Juli als Gegenleistung für eine Zustimmung zum US-Angriff Militärhilfe und politische Unterstützung in der Zypern-Frage sowie im Annäherungsprozess an die EU gefordert haben. Wenige Tage später beschloss der US-Kongress, der Türkei 228 Mio. Dollar zur Verfügung zu stellen - offiziell für ihren Einsatz in Afghanistan (die Türkei leitet derzeit die UN-Sicherungstruppe Isaf), inoffiziell gilt aber der größte Teil des Geldes als "generelle Unterstützung" für die Türkei.

Ob das Werben um Unterstützung von Erfolg gekrönt sein wird, ist nur schwer auszumachen. So erreichten uns etwa aus der Türkei (die ohnehin in einer schwierigen innenpolitischen Lage ohne klare Regierungsmehrheit ist) widersprüchliche Signale. Offiziell wird ein Angriff gegen Irak abgelehnt. Auf keinen Fall kann die Türkei einen Krieg vor den Wahlen im November brauchen, stehen doch islamistische Kräfte vor dem Sprung an die Macht. Zudem stellt sich das Problem der im Nordirak lebenden Kurden, die einen Krieg mit Sicherheit nutzen würden, um die staatliche Unabhängigkeit vom Irak zu erhalten. Dies hätte aus türkischer Sicht höchst gefährliche Konsequenzen für die Unabhängigkeitsbestrebungen der in Ostanatolien lebenden Kurden. Entsprechend warnte der amtierende Ministerpräsident im türkischen Staatsfernsehen am 21. Juli vor einem US-Angriff. Washington riskiere einen "sehr langen Krieg". Die USA sollte daher nach Alternativen suchen. Dagegen hieß es am 26. Juli in der türkischen Zeitung "Cumhuriyet", dass Ankara die USA bei einem Angriff doch unterstützen wolle. Allerdings solle die Operation "so begrenzt wie möglich" sein. "Cumhuriyet" stützt sich dabei auf Informationen aus dem türkischen Nationalen Sicherheitsrat, dem wichtigsten Entscheidungsorgan der Türkei. Der aber gab offiziell nur bekannt, dass er getagt und sich mit der Irakfrage beschäftigt habe. Die Zeitung teilte weiter mit, dass der Sicherheitsrat den Krieg nach wie vor nicht wolle, aber davon ausgehe, dass die USA zu einem Angriff entschlossen seien. In diesem Fall könne man dem NATO-Verbündeten die Nutzung des US-Stützpunkts Incirlik nicht verweigern. Eine andere türkische Zeitung, die über sehr gute Verbindungen zur Regierung verfügt, "Aksam", berichtete ebenfalls am 26. Juli, dass im Fall eines US-Krieges türkische Truppen als eine Art "Ordnungsmacht" in den Norden des Irak eindringen würden, angeblich "um die Flüchtlingsströme zu stoppen". Die Türkei hat Erfahrung mit gelegentlichen Übergriffen auf nordirakisches Territorium.

Das Zeichen für mehr Aufmüpfigkeit unter den europäischen Regierungen gab letztlich das deutsch-französische Gipfeltreffen Chirac-Schröder am 30. Juli. Übereinstimmend erklärten sie, jedes militärische Vorgehen gegen Irak bedürfe einer Legitimierung durch die Vereinten Nationen, d.h. einer eindeutigen Resolution des UN-Sicherheitsrats. Eine solche Ermächtigung ist im Augenblick schwer vorstellbar. Außerdem erklärte der deutsche Bundeskanzler, US-Präsident Bush habe zugesichert, vor Militäraktionen die NATO-Verbündeten zu "konsultieren". Seither haben Spitzenpolitiker der rot-grünen Koalition in Berlin wiederholt ihre ablehnende Haltung zum Ausdruck gebracht und zum Wahlkampfthema gemacht. Selbst die CDU/CSU musste angesichts der Stimmungslage in der Bevölkerung von einer ersten den Krieg befürwortenden Stellungnahme des außenpolitischen Experten des Stoiber-"Kompetenzteams" (Bild am Sonntag, 04.08.2002) abrücken und auf vorsichtige Distanz zu den Kriegsplänen gehen. Das Signal zum Schwenk gab bezeichnenderweise der CSU-Landesgruppensprecher im Bundestag, Michael Glos. Am 16. August bezeichnete er gegenüber ARD einen US-Militärschlag gegen Irak als "Abenteuer". Wörtlich fügte er hinzu: "Es besteht bei uns keinerlei Absicht, das kann ich auch für den Kanzlerkandidaten sagen, sich an einem militärischen Abenteuer irgendwo in der Welt zu beteiligen - schon gerade nicht in Irak." Der CDU/CSU half das indessen nichts mehr. Rot-Grün konnte nicht zuletzt wegen ihrer klareren Positionierung in der Irak-Frage einen knappen Wahlsieg einfahren. Dass die PDS gleichzeitig den Wiedereinzug in den Bundestag verfehlte, ist keine "Abstrafung" wegen ihrer konsequenten parlamentarischen Haltung in der Außen- und Sicherheitspolitik, sondern wohl eher dem weit verbreiteten taktischen Wahlverhalten links-alternativer Wähler zuzuschreiben.

Kampfansage an die UNO

Die Rede des US-Präsidenten vor der UN-Generalversammlung am 12. September stellte eine wichtige Zäsur in den Kriegsvorbereitungen dar. Sie war der geschickteste diplomatische Schachzug in Bushs bisheriger Amtszeit, gelang ihm doch zweierlei: Einmal wurde die inneramerikanische Kritik, soweit sie sich gegen einen möglichen Alleingang der USA wandte, entwaffnet. Bush bat ja ausdrücklich um ein Engagement der Vereinten Nationen und plädierte für ein internationales Vorgehen gegen den Irak. Zum anderen besänftigte er die europäischen Regierungen, denen der Unilateralismus der USA schon lange ein Dorn im Auge gewesen war. Mit der Einbindung des UN-Sicherheitsrats, so schien es, würde den internationalen Organisationen und dem Völkerrecht wieder mehr Gewicht verliehen. Und als Draufgabe kündigte Bush an, die USA wollten der UNESCO (UN-Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur) wieder beitreten, die sie Mitte der 80er Jahre wegen angeblicher Linkslastigkeit verlassen hatten.

Sieht man indessen genauer hin und berücksichtigt die Begleitumstände, unter denen Bushs Auftritt stattfand, erscheint die Rede in einem völlig anderen Licht. Vorausgegangen war die Eröffnungsrede des UN-Generalsekretärs Kofi Annan, der sich im ersten Teil seiner Rede mit den Grundlagen der Vereinten Nationen auseinander setzte (8). Er erinnerte eindringlich an die Konstruktion der Staatengemeinschaft als einer "multilateralen" Weltordnung, die - entsprechend der UN-Charta - auf dem Prinzip der Unabhängigkeit, Souveränität und Gleichheit aller Staaten beruht. Insofern könne auch nur "multilaterales Handeln" den Herausforderungen der Gegenwart gerecht werden: "Nur durch multilaterales Handeln können wir den Menschen in den Entwicklungsländern die Chance geben, dem Elend der Armut, Ignoranz und Krankheit zu entkommen. Nur durch multilaterales Handeln können wir uns vor saurem Regen oder der globalen Erwärmung schützen, vor der Verbreitung von HIV/Aids, dem illegalen Drogenhandel, oder dem abscheulichen Menschenhandel. Dies gilt umso mehr für den Schutz vor Terrorismus." Und es war vor allem den USA ins Stammbuch geschrieben, was Kofi Annan zur Einhaltung des Völkerrechts und zur Respektierung der Beschlüsse der internationalen Institutionen sagte. Außer dem Recht auf Selbstverteidigung nach Art. 51 der UN-Charta "gibt es keinen Ersatz für die einzigartige Legitimation durch die Vereinten Nationen, wenn Staaten entscheiden Gewalt anzuwenden, um mit umfassenderen Bedrohungen des internationalen Friedens und der Sicherheit fertig zu werden. Die Mitgliedsstaaten legen großen Wert auf diese Rechtmäßigkeit und die internationalen Rechtsgrundsätze." Auch im zweiten Teil seiner Rede zielte der UN-Generalsekretär dezent auf die Zuspitzung des USA-Irak-Konflikts und versuchte diesen dadurch zu relativieren, dass er auf drei weitere Konflikte aufmerksam machte: Den israelisch-palästinensischen Konflikt, die explosive Lage in und um Kaschmir, wo sich mit Indien und Pakistan immerhin zwei Atomwaffenstaaten unmittelbar gegenüber stehen, und die nach wie vor instabile politische und prekäre humanitäre Lage in Afghanistan.

Die großen Prinzipien der Vereinten Nationen schrumpften in der anschließenden Rede des US-Präsidenten auf einen Multilateralismus von US-Gnaden (9). Einen großen Teil seiner Rede widmete Bush der Auflistung der Verstöße des Irak gegen Resolutionen des UN-Sicherheitsrats. Dies betrifft die Nichteinhaltung von Abrüstungsvereinbarungen, die heimlichen Bemühungen Bagdads, biologische und chemische Massenvernichtungswaffen herzustellen oder an nuklearwaffenfähiges Material heranzukommen, sowie die ständigen schweren Verletzungen von Menschenrechten, ja die Unterdrückung des ganzen Volkes. Von den Vereinten Nationen verlangt Bush nun nicht mehr und nicht weniger, als die eingeschlagene Irak-Politik der USA zu ihrer eigenen zu machen. Eine andere Wahl haben die UN nicht: "Wir werden mit dem UN-Sicherheitsrat an den notwendigen Resolutionen arbeiten. Aber über die Absichten der Vereinigten Staaten sollten keine Zweifel bestehen. Die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates werden umgesetzt, den gerechtfertigten Forderungen nach Frieden und Sicherheit muss Folge geleistet werden - oder ein Vorgehen gegen den Irak wird unvermeidlich." Eine solche Kampfansage an die höchste Instanz der Staatengemeinschaft ist einzigartig in der Geschichte der UN. Die einzige Supermacht dieser Erde diktiert dem Rest der Welt, in diesem Fall dem UN-Sicherheitsrat, was er zu tun und zu lassen hat. Beugt sich die Staatengemeinschaft diesem Diktat, dann kann auch nach den Spielregeln des "Multilateralismus" verfahren werden. Beugt sie sich nicht, dann ist es damit ein für allemal vorbei: "Die ganze Welt steht nun vor einer Prüfung und die Vereinten Nationen vor einem schwierigen und entscheidenden Augenblick. Müssen Resolutionen des Sicherheitsrats befolgt und umgesetzt oder dürfen sie folgenlos beiseite geschoben werden? Werden die Vereinten Nationen ihrem Gründungszweck gerecht oder werden sie bedeutungslos?" Heribert Prantl hat in einem großen Essay in der Süddeutschen Zeitung diese Art der Politik mit dem Grundmuster klassischer imperialer Machtausübung verglichen, wonach "Macht vor Recht" ging, und an den Melierdialog des Thukydides erinnert: Das mächtige Athen (nach innen demokratisch verfasst, nach außen die kriegerischste Macht der Antike) landete im 16. Jahr des Peloponnesischen Kriegs mit einer großen Kriegsflotte vor der Insel Melos, das in diesem Krieg neutral geblieben war. Die Athener forderten die Bewohner auf, an ihrer Seite in den Kampf gegen Sparta einzutreten. Sie verwiesen auf ihre militärische Macht, notfalls Melos zu zerstören. Die Melier erwiderten, dass es sowohl unwürdig für die Athener sei, eine friedliche Stadt zu zerstören, als auch unwürdig für die Bewohner von Melos, ihre Unabhängigkeit zu opfern. Sie hatten das Recht auf ihrer Seite und vertrauten darauf, dass die Götter das Recht schon schützen würden. Die Athener konterten, dass unter Ungleichen das Recht des Stärkeren herrsche - und vernichteten Melos. (10)

Nur wenige Tage nach der Bush-Rede vor der UN-Generalversammlung legte der US-Präsident nach. Er veröffentlichte am 20. September eine neue "Nationale Sicherheitsstrategie" (11), in der mit der Betonung des Rechts auf einen Präventivkrieg ("preemptive strike")eine Rückbildung des Völkerrechts auf den Stand vormoderner Epochen vorgenommen wird. Die alten Präventionsrezepte aus der Zeit des Kalten Kriegs, die auf Abschreckung und Eindämmung des Gegners abzielten und damit Krieg vermeidende Strategien waren, verlören heute ihre Wirksamkeit. Die neuartige Verbindung von Terrorismus und Technologie, so lautet die Lageeinschätzung, verlange von der freien Welt effektivere präventive Maßnahmen - nicht nur, aber eben auch militärischer Art. Denn Abwarten könnte tödlich sein. Völkerrechtlich bedeutet dies einen Sprung zurück nicht nur in die Zeit vor den Kellogg-Pakt zur Ächtung des Krieges (1928), sondern im Grunde genommen vor den Westfälischen Frieden von 1648. In dem Papier heißt es dazu: "For centuries, international law recognized that nations need not suffer an attack before they can lawfully take action to defend themselves against forces that present an imminent danger of attack. Legal scholars and international jurists often conditioned the legitimacy of preemption on the existence of an imminent threat …" Dies genüge heute nicht mehr, also muss das Konzept der "unmittelbaren Bedrohung" an die neue Lage angepasst werden: "We must adapt the concept of imminent threat to the capabilities and objectives of today's adversaries. Rogue states and terrorists do not seek to attack us using conventional means."

Zum letzten Stand der Dinge

In der oben erwähnten Rede vor der UN-Generalversammlung hatte Kofi Annan den Irak aufgefordert, die UN-Resolutionen einzuhalten und die Waffeninspekteure wieder ins Land zu lassen. Für diesen Fall stellte er sogar die Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak in Aussicht. Zur Überraschung vieler Beobachter ging die irakische Führung nur wenige Tage später auf diese Forderung ein und erklärte, sie würde den UN-Waffeninspekteuren die Rückkehr "ohne Bedingungen" erlauben. In dem Brief an Kofi Annan begründete Außenminister Nadschi Sabri diese Entscheidung damit, dass seine Regierung "auf Ihren Appell und ebenso auf die Appelle des Generalsekretärs der Arabischen Liga sowie arabischer, islamischer und anderer befreundeter Länder reagiert" hätte (12). Es ist klar, dass Bagdad die Drohgebärden der USA in dem Zusammenhang nicht erwähnte, obwohl sie natürlich auch eine Rolle spielten. Mit diesem Coup setzte der Irak nun ihrerseits die USA in Zugzwang. Wer indessen geglaubt hätte, Washington würde sich auf dieses Angebot einlassen - so wie es zunächst fast alle Regierungen taten - hat die Ernsthaftigkeit unterschätzt, mit der die Bush-Administration das "Projekt Irak" verfolgt. Es geht nicht um die Entwaffnung des Irak, es geht nicht um die Abwendung einer vermeintlichen Bedrohung durch irakische Massenvernichtungswaffen, und es geht auch nicht um den Schutz von Menschenrechten oder um die Herstellung demokratischer Verhältnisse im Land, sondern es geht letztlich um die Kontrolle einer Region, die für die Versorgung der Menschheit mit Primärenergie von zentraler Bedeutung ist. Während ein Großteil der europäischen Staaten einschließlich Deutschland dasselbe Ziel besser mit politischen und wirtschaftlichen Mitteln meint verfolgen zu können, setzen die USA auf die Karte der Konfrontation bis hin zum "Präventiv"-Krieg.

Beiden gemeinsam ist das fehlende Verständnis für die grundlegenden ökonomischen, sozialen und ökologischen Probleme in einer sich globalisierenden Gesellschaft. Zu deren "Lösung" behilft man sich zunehmend mit militärischen Antworten. Was in diesem Prozess der Militarisierung - sollte er nicht umgekehrt werden - in jedem Fall auf der Strecke bleibt, sind die Prinzipien des Völkerrechts und ihre institutionellen Strukturen. Geht in der internationalen Politik das Faustrecht des Stärkeren wieder vor die Stärke des Rechts, dann hat die militärisch überlegene Macht zweifellos die meisten strategischen Vorteile in der Hand. Ein schwacher Trost ist da die Verheißung von Immanuel Wallerstein, wonach die USA nur noch zehn Jahre für den unabwendbaren Abstieg als einer entscheidenden Macht in der Weltpolitik zu erwarten haben. Schon heute sei es so, dass die USA lediglich auf militärischem Gebiet eine Weltmacht darstellen, ökonomisch seien sie es längst nicht mehr. Für Wallerstein stellt sich deshalb nicht mehr die Frage, "ob die US-Hegemonie schwindet, sondern ob die Vereinigten Staaten einen Weg finden in Würde abzudanken, mit einem Minimum an Schaden für die Welt und für sie selbst." (13)

Nun hat es solche Schwanengesänge auf die Weltmacht USA schon des öfteren gegeben. Mit dem Krieg gegen den Irak demonstrieren die USA zunächst einmal ihre imperiale Ausnahmestellung in der Welt - mit all den verheerenden Folgen für die betroffenen Menschen, die Nahost-Region, das Völkerrecht und die künftigen internationalen Beziehungen. Da vor dieser Perspektive viele Staaten graut, besteht noch ein Funken Hoffnung, die US-Administration auf den Pfad der Tugend zurück zu bringen. Der kontinentaleuropäische Widerstand gegen den Krieg hat auch schon seine Spuren in der US-Gesellschaft und -Politik hinterlassen. Zwar hat der US-Kongress am 10. Oktober 2002 eine gemeinsame Resolution verabschiedet, die den US.Präsidenten fast bedingungslos zum Krieg gegen Irak ermächtigt. (14) Verglichen mit der einsamen Gegenstimme der Abgeordneten Barbara Lee vor einem Jahr, als es um die Krieg gegen Afghanistan ging, können sich aber dieses Mal die 133 Gegenstimmen im Repräsentantenhaus und die 23 Gegenstimmen im Senat durchaus sehen lassen. Sie spiegeln auch den zunehmenden Protest in der Gesellschaft wider, der sich wie schon lange nicht mehr in großen Demonstrationen und in viel beachteten Meinungsäußerungen prominenter Wissenschaftler, Schriftsteller und Künstler ausdrückt. Dieser Protest dürfte auch hier zu Lande notwendig sein, um die neuaufgelegte Bundesregierung in ihrem Nein zu diesem Krieg zu bestärken.

International haben sich die USA in eine beispiellose Isolation hineinmanövriert. Die Debatte in der öffentlichen Sitzung des UN-Sicherheitsrats vom 16. und 17. Oktober 2002 hat gezeigt, dass die Staatengemeinschaft erstens keinen Krieg um Irak will und zweitens ein Interesse an der Stärkung der Autorität der Vereinten Nationen hat. Ob die weltweite Kritik am Unilateralismus der USA indessen ausreicht, um die USA von ihren Angriffsplänen doch noch abzubringen, muss bezweifelt werden. Denn die republikanischen Präsidenten haben selten auf die Befindlichkeiten des "Rests der Welt" Rücksicht genommen, wenn sie von der Richtigkeit ihrer eigenen Politik überzeugt waren. Daher kommt dem innenpolitischen Widerstand gegen den Kriegskurs eine viel größere Bedeutung zu. Es hat den Anschein, als wollten sich viele Amerikaner mit der Kriegsermächtigung des Kongresses nicht einverstanden erklären und nun erst recht den Protest gegen Bush und Rumsfeld organisieren. Aus einer historischen Perspektive kann diese Protestwelle gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Antikriegsbewegung in den 60er Jahren gegen den Vietnam-Krieg z. B. kam erst langsam in Fahrt, nachdem der Krieg schon lange in Gang war. Jetzt haben wir eine Bewegung, die zwar längst noch nicht die Ausmaße der Vietnam-Bewegung Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre erreicht hat, die aber schon auf einem beachtlichen Niveau angekommen ist, obwohl der Irak-Krieg noch gar nicht begonnen hat. Das gibt Hoffnung.

Quellen
  1. Vgl. /fb5/frieden/regionen/Afghanistan/opfer.html
  2. Siehe /fb5/frieden/regionen/USA/bush-rede.html
  3. /fb5/frieden/regionen/USA/bush-rede2.html
  4. /fb5/frieden/regionen/USA/west-point-rede.html
  5. Zur Widerlegung dieser Auffassung vgl. Friedens-Memorandum 2002, S. 54 ff
  6. /fb5/frieden/regionen/Irak/plan.html
  7. /fb5/frieden/regionen/Irak/Chronik/Welcome.html
  8. Siehe /fb5/frieden/themen/UNO/annan3.html
  9. /fb5/frieden/regionen/Irak/bush-uno.html
  10. Heribert Prantl: Herrscher hier auf Erden. Wer hat die Amerikaner zu Richtern über die Völker bestellt? In: SZ, 05.10.2002
  11. /fb5/frieden/regionen/USA/strategy.html
  12. /fb5/frieden/regionen/Irak/brief.html
  13. Immanuel Wallerstein: The Eagle Has Crash Landed. In: Foreign Policy, Juli/August 2002 (eig. Übers.)
  14. /fb5/frieden/regionen/Irak/resolution114.html



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