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"Beeilt Euch, solange die Vorräte an tödlichem Anthrax noch reichen"

Eine Glosse von Mark Steel

Nicht jeder wird eine Pause während der Weihnachtsfeier zu würdigen gewusst haben. Nach ein paar Tagen, an denen man zu Ehren des Babys Jesus gesungen hat, muss es für Christen wie Bush und Blair eine Erleichterung gewesen sein, an den Arbeitsplatz zurückzukehren und ihre Planungen fortzusetzen, die Gegend, in der das arme Schwein gelebt hat, auszulöschen. Deshalb konnte diese Zeitung gestern berichten, dass "die Sorge in London und Washington wachse, da die Arbeit der UN-Inspekteure fehlgeschlagen sei, weil noch keine verbotenen Waffen gefunden worden seien."

Diesen Satz muss man mehrere Male lesen, um seine wahre Größe zu würdigen. Er bedeutet, dass die Herrscher in London und Washington weniger Hoffnung als sonst jemand haben, dass Saddam tödliche Waffen besitzt. Sie müssen auf die Ergebnisse der Waffeninspekteure warten wie Fußballfans auf das Ergebnis ihres Teams auf Ceefax (brit. Videotext) und murmeln: "Komm schon, du Lager voll mit mit tödlichem Anthrax." Falls sie nichts finden können, werden sie versuchen, Saddam eine Ladung chemischer Waffen im Ausverkauf zum halben Preis anzudrehen.

GEC (General Electric Company) wird eine Filiale in Bagdad eröffnen und mit Spots im Fernsehen werben, wie: "Wo rennt Ihr alle hin?" - "Wir sind unterwegs zum großen Ausverkauf der Massenvernichtungswaffen - Streubomben, Gas, die Superbombe ,Daisy Cutter', aber beeilt Euch, beeilt Euch, beeilt Euch." Dann hoffen sie darauf, dass Saddam darauf hereinfällt und sich die ganze Nacht für die Hauptattraktion, den nuklearen Sprengkopf mit 80% Rabatt, anstellt.

Ansonsten muss der Krieg ausbrechen, weil Saddam sich weigerte, seinen Bürobedarf herauszurücken und Bush wird in einer Ansprache mitteilen: "Wenn er nicht aufgehalten wird, könnten einige seiner Büroklammern jemanden ins Auge gehen."

Noch werden sowohl Großbritannien als auch die USA seit Jahren von den unverhohlensten christlichen Führern regiert. Ich weiß, dass es unzählige Interpretationen über die Bedeutung von Christus gibt, aber wenn Bush und Blair meinen, sie benähmen sich christlich, müssen sie den Eindruck haben, Jesus sei ein Römer gewesen. Sie müssen jedes Jahr Ostern glauben: "Wie herrlich ist es doch die Zeit zu feiern, in der Jesus seine Position mit einer gut geplanten Kreuzigungskampagne in seinem Krieg gegen Wunder sicherte.

Von der Art und Weise wie die britischen und amerikanischen Führer darauf bestanden, dass sie ihre Akktionen im Namen des Christentums ausführten, fragt man sich, ob es eine bewusste Verhöhnung ist, genauso wie man sich immer sicher sein konnte, dass man Leute reizte, wenn man den aus dem Nahen Osten stammenden Jesus im Westen jahrhundertelang als leicht schmuddeligen, weißen Typ aus Dorset darstellte. Es hat wahrscheinlich Versuche gegeben, die Bibel völlig zu anglisieren, so etwa, als kurz nachdem Jesus Wasser in Wein verwandelt hatte, ein großer Typ mit einem Hund ihm diesen entriss und schrie: "Mann, mach schon, es ist fast fünf nach elf." * Und die Frage die Jesus gestellt wurde, als er aus der Wüste zurückkehrte war: "Wie war das Wetter denn da draußen?"

Vor kurzem stieß ich auf eine weitere Erklärung für diesen Vorgangs, die der französische Philosoph Montesquieu im 18. Jahrhndert schrieb. Er notierte, dass das Bild von Gott als Mensch beweise, dass er eine Schöpfung sei, die sich Menschen ausgedacht hätten. Er fügte hinzu, falls eine Kuh an Gott glaube, würde sie annehmen Gott sei eine Kuh, und - welch votrefflicher Sinn für Surrealismus - falls Dreiecke an Gott glaubten, würde Gott drei Seiten haben.

Schade nur, dass er nicht weiter in die Materie eindrang und herausarbeitete, ob religiöse Dreiecke theologische Debatten über Themen wie "Besitzen Sechsecke Seelen?" führten. Und vielleicht würden die gleichschenkeligen Dreiecke darauf bestehen, sie seien die einzigen, die in den Himmel kämen, da sie die Auserwählten seien.

Und doch war Montesquieu kein Atheist; er versuchte die Rätsel zu lösen, welche die Religion aufwarf. In ähnlicher Weise wurden die stärksten Argumente gegen die Religion von religiösen Menschen vorgebracht. Der tiefgläubige Katholik Galileo trieb den Vatikan zum Wahnsinn als sein neues Teleskop einige Monde um den Jupiter entdeckte, weil das bedeutete, es gab mehr als sieben Himmelskörper und sieben war die himmliche Zahl. So wurde ihm befohlen, seine eigenen Entdeckungen zu widerrufen. Es ist so, als ob zwei große Typen in Anzügen mit ernstem Ost-Londoner Dialekt ihn in die Ecke gedrückt und gesagt hätten: "Du hast heute nacht keine Monde gesehen, ist das klar?"

Thomas Paines Buch "Age of Reason" (Das Zeitalter der Vernunft) schockierte die Geistlichkeit, als er die berechtigte Farge stellte, ob Gott nicht ein skandalöses Beispiel gegeben habe, dass er seinen eigenen Sohn habe sterben lassen. Aber sogar Paine bezeichnete sich als Deist, nicht als Atheist.

Jahrhundertelang wurde keine Gruppe mehr von ihren Führern, welche die Religion für ihre eigenen Zwecke benutzten, mit Füßen getreten, als diejenige, die religiöse Werte ernst nahm. Manchmal wünschte ich mir, ein gläubiger Christ zu sein, da ich mir gern vorstellen würde, dass eines Tages Bush und Blair diese Fragen vor dem himmlischen Gericht zu beantworten hätten und Jesus würde ihnen sagen: "Hmm. Sie scheinen 'Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein' als 'Was sind schon Steine - Überschüttet die Bastarde mit abgereichertem Uran' interpretiert zu haben."

Da nun Joe Strummer** tot ist, während Cliff Richard lebt, kann ich persönlich nicht umhin zu empfinden, dass es keinen echten Beweis für die Existenz Gottes gibt.

* ironischer Verweis auf die sog. Schließzeit (closing time) englischer Kneipen, wo unter der Woche das Bedienungspersonal den Kunden spätestens um 23.05 Uhr die Gläser wegnimmt ("Have your glasses, please!")

** Sänger der brit. Punkband 'The Clash' s.a. den Nachruf von Laurie King- Irani unter: http://www.zmag.de/article/article.php?id=387

Übersetzt von: Tony Kofoet

Orginalartikel: "Hurry Now While Stocks Of Deadly Anthrax Last" Aus: The Independent / ZNet 04.01.2003
(http://www.zmag.de/article/article.php?id=400)



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