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"Siegchance" in Irak?

US-Kommandeur Petraeus erstattet vor Senat "Fortschrittsbericht"

Von Karin Leukefeld *

Im USA-Senat begann am Dienstag die Anhörung über die Fortführung des Einsatzes in Irak. Der Kommandeur der Streitkräfte in Irak, General David Petraeus, sollte vor dem Verteidigungsausschuss der Kongresskammer seinen mit Spannung erwarteten neuen Bericht zur Lage vorlegen.

»Es gibt keinen Zweifel mehr an dieser Wahrheit: Wir blicken in Irak nicht mehr in den Abgrund der Niederlage, sondern wir können nach vorne blicken und eine echte Chance auf Sieg erkennen.« Diesen »wahrhaftigen Blick« auf die Geschehnisse im Zweistromland vermittelte dieser Tage der republikanische Präsidentschaftskandidat Senator John McCain auf einer Wahlkampfveranstaltung im Bundesstaat Kansas.

Hintergrund solch rosiger Aussichten ist die Tatsache, dass Irak wieder einmal zum Wahlkampfthema in den USA geworden ist. Dieser Tage wird in Washington der »Fortschrittsbericht Irak« vorgestellt, ein idealer Anlass für die Präsidentschaftskandidaten, sich ihren Wählern zu präsentieren. Doch noch bevor die Berichterstatter, General Petraeus oder der USA-Botschafter in Irak, Ryan Crocker, auch nur die Begrüßungsformel gesprochen haben, strafen aktuelle Berichte von Einwohnern Bagdads jede Darstellung einer ruhigen und stabilen Lage in Irak Lügen. Im Armenviertel Sadr City brachen am Wochenende neue Kämpfe aus, arabische Medien zeigten fliehende Zivilisten. In den letzten 48 Stunden starben allein neun US-Soldaten, ein chaldäischer Priester wurde mitten in der Stadt ermordet. Aber Einzelschicksale scheinen kaum noch eine Rolle zu spielen.

So verschwand eines Morgens der 48jährige A., ein ehemaliger Fahrer eines französischen Nachrichtensenders, nach einer Razzia in seinem Haus, berichtet sein Bruder Kerim am Telefon. »Jemand hat ihn bei den Amerikanern angezeigt, er sollte angeblich Kommandant der Mehdi-Milizen sein.« Die Amerikaner hätten A. zunächst am Flughafen von Bagdad inhaftiert und dann nach Basra, in ein anderes Militärlager verschleppt. Niemand wisse, wie es ihm gehe, sagt Kerim, und man könne ihn auch nicht besuchen. »Wir haben keine Arbeit, wie sollten wir die Fahrt bezahlen?!«

Irakische Ärzte haben derweil kaum Mittel, um Verwundete und »normale Kranke« in den Hospitälern zu versorgen, mehr als 4 Millionen Iraker sind auf der Flucht, psychosoziale Auffälligkeiten belasten vor allem die Kinder unter den Flüchtlingen, wie kürzlich ein Bericht von Hilfsorganisationen in Amman feststellte. Die irakische humanitäre Krise verschlimmere sich ständig, erklärte dieser Tage auch John Holmes, stellvertretender UN-Generalsekretär für Humanitäre Angelegenheiten. Jahrzehnte eines Lebens in Kriegen und Konflikten hätten nicht nur die Grundversorgung der irakischen Gesellschaft zerstört, sondern auch die Fähigkeiten der Menschen, mit dem Leid umzugehen, erklärte Holmes gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Vielleicht sei die Sicherheitslage in einigen Gegenden besser geworden, räumte Holmes ein, doch die Bevölkerung spüre davon nichts.

Ein offensichtliches Zeichen der sich verschlechternden Lebenssituation sei die »akute Unterernährung« von Kindern unter fünf Jahren, die in Irak bei vier bis neun Prozent liege. »Solche Anzeichen sind Alarmglocken, die man berücksichtigen muss«, sagte Holmes. Vier Millionen Iraker hätten nicht genug zu essen, nur 40 Prozent der Iraker hätten Zugang zu sauberem Wasser, und ein Drittel der irakischen Bevölkerung hätte keinen Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Bleibt abzuwarten, ob diese Fragen im »Fortschrittsbericht Irak« von Petraeus und Crocker der Erwähnung für wert befunden werden.

Bagdad und Washington planen derweil einem Bericht der Zeitung »The Guardian« zufolge einen zeitlich unbegrenzten US-Einsatz in Irak. Das gehe aus dem Entwurf für einen Vertrag hervor, der das zum Jahresende auslaufende UN-Mandat für Irak ersetzen solle, berichtete das Blatt am Dienstag unter Berufung auf einen Arbeitsbericht. Demnach sollen die USA auch künftig dazu ermächtigt werden, Militäreinsätze in Irak zu führen und bei »dringenden Sicherheitsbedrohungen« Menschen festzunehmen. Der Vertrag sehe weder eine zeitliche Begrenzung des Einsatzes noch eine Begrenzung der Truppenstärke vor.

* Aus: Neues Deutschland, 9. April 2008


Bushs General stürmt vor

Von Rainer Rupp **

Die USA planen zusammen mit der von ihnen etablierten Marionettenregierung in Bagdad eine dauerhafte Besetzung des Irak. Die britische Zeitung The Guardian zitierte am Dienstag aus einem entsprechenden Vertragsentwurf, der das zum Jahresende auslaufende UN-Mandat für den Irak ersetzen soll. Demnach sollen die Besatzungstruppen dazu ermächtigt werden, weiterhin Militäreinsätze im Irak zu führen und bei »dringenden Sicherheitsbedrohungen« Menschen festzunehmen. Der Vertrag sehe weder eine zeitliche Begrenzung der US-Präsenz noch eine Begrenzung der Truppengröße vor.

In Washington pries unterdessen der für den Besatzungsterror im Irak verantwortliche US-Oberkommandeur, General David Petraeus, am Dienstag gemeinsam mit Bagdad-Botschafter Ryan Crocker in einer Anhörung vor dem Senat seine großartigen Erfolge -- ungeachtet der heftigen Kämpfe, die seit zwei Wochen im Zweistromland wüten. Allein am Sonntag und Montag sind elf US-Soldaten getötet und Dutzende weitere verletzt worden. Petraeus empfahl in seinem Lagebericht wie erwartet, nach dem bislang geplanten Abzug von fünf Kampfbrigaden bis Juli die Truppenzahl bei 140000 US-Soldaten konstant zu halten. Er liegt damit ganz auf Linie mit US-Präsident ­George W. Bush.

Ein am Montag veröffentlichter US-Expertenbericht liefert dagegen den Befürwortern eines schnellen Teilabzugs Argumentationshilfen -- allen voran den beiden demokratischen Präsidentschaftskandidaten Hillary Clinton und Barack Obama in ihrer Auseinandersetzung mit dem Republikaner John McCain. Das Fazit der Untersuchung des »US Institute of Peace« (USIP) lautet nämlich, daß es im Irak in den letzten 15 Monaten so gut wie keine greifbaren Verbesserungen gegeben hat. Von den politischen Zielen, die der US-Kongreß der irakischen Regierung vorgegeben hat, sei so gut wie keines erreicht worden. Das USIP ist das Expertengremium hinter der parteiübergreifenden »Iraq Study Group« (ISG) unter dem Vorsitz des ehemaligen US-Außenministers James Baker. Der hatte erstmals im Herbst 2006 unter politischer Einbindung des Irans und Syriens einen Teilabzug der US-Truppen empfohlen. Bush dagegen hatte seine Politik der militärischen Eskalation durchgesetzt. Der US-Präsident hatte seinerzeit den skeptisch gewordenen Irak-Verantwortlichen General George Casey durch den politisch »flexibleren« General Petraeus ersetzen lassen. Mit dessen Hilfe konnte Bush die Forderungen nach einem rascheren Truppenabzug aus Irak erfolgreich abschmettern. Weil sich Petraeus ganz offensichtlich vom Weißen Haus für dessen Politik manipulieren ließ, hatten Kriegsgegner ihn in landesweiten Anzeigen in einem Wortspiel zum gleich klingenden »General Betray Us« umgetauft, also: »General verrat uns«. Admiral William Fallon, der Bush-kritische, inzwischen zurückgetretene US-Oberkommandeur für den gesamten Mittleren Osten soll Berichten zufolge seinen Untergebenen General Petraus wegen dessen Art, sich bei Bush einzuschmeicheln, bei einer Dienstbesprechung im März vergangenen Jahres sogar als »Arschkriecher« abgekanzelt haben.

Mittlerweile sieht sich der militärische Besatzungschef mit einer neuen Eskalation konfrontiert. Presseberichten zufolge lieferten sich in Bagdad US-Truppen und irakische Kollaborateure auch am Dienstag heftige Kämpfe mit der Mahdi-Miliz des schiitischen Geistlichen Muqtada Al-Sadr. Der erklärte Besatzungsgegner kündigte ein Ende der seit August 2007 andauernden einseitigen Waffenruhe an, um »Sicherheit, Stabilität und die Befreiung« des Irak zu erreichen.

** junge Welt, 9. April 2008


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