Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Die Notwendigkeit einer nationalen Debatte über den Irak

Senator Joseph Biden und Senator Richard Lugar stellen wichtige Fragen

Die Botschaft der Vereinigten Staaten in Berlin verschickt dieser Tage die deutsche Übersetzung eines namentlich gezeichneten Artikels der US-Senatoren Joseph Biden und Richard Lugar, der am 31. Juli in der New York Times erschien. Damit reagiert die Botschaft auf eine in Gang kommende Debatte über die Vor- und Nachteile eines Militärangriffs auf den Irak. Wohlgemerkt: Es geht in dieser Debatte in den USA nicht um die Frage, ob ein solcher Angriff rechtens ist - das interessiert die amerikanische Politik herzlich wenig. Es geht allein um Nützlichkeitserwägungen. Dennoch kann auch diese Debatte "nützlich" im Sinne der Kriegsvermeidung sein, da die meisten Argumente wohl gegen einen Angriffskrieg sprechen dürften. Joseph Biden und Richard Lugar umschreiben in ihrem Beitrag für die New York Times in etwa auch das Diskussions-Feld, das bei den gerade begonnenen Anhörungen im US-Kongress bestellt wird. Auch deshalb dürfte der Artikel für die europäische Diskussion von Interesse sein. Wir dokumentieren im Folgenden den Beitrag.

Im vergangenen Jahr haben die Amerikaner auf tragische und schmerzhafte Art und Weise erfahren, welche Bedeutung der Außenpolitik zukommt. In den vergangenen Monaten hat Präsident Bush seine Entschlossenheit zur Absetzung des irakischen Diktators Saddam Hussein deutlich gemacht - ein Ziel, das viele Kongressabgeordnete ebenfalls verfolgen. Aber bis jetzt kennen wir nur durchgesickerte Berichte über verschiedene militärische Pläne, die widerspiegeln, wie tief die Regierung darüber gespalten ist, ob und wie man vorgehen soll. Es ist Zeit, ernsthaft über die amerikanische Irak-Politik zu diskutieren.

Heute beginnen im Auswärtigen Ausschuss des Senats eingehende Anhörungen. Das Weiße Haus unterstützt zwar die Anhörungen - die in enger Zusammenarbeit von demokratischen und republikanischen Ausschussmitgliedern koordiniert wurden. Zum jetzigen Zeitpunkt werden aber keine Regierungsvertreter daran teilnehmen, damit der Präsident nicht in die Situation kommt, zu früh wichtige Entscheidungen treffen zu müssen.

Ohne eine bestimmte Vorgehensweise - eine nichtmilitärischen Option eingeschlossen - vorab zu beurteilen, hoffen wir, eine nationale Debatte über einige entscheidende Fragen in Gang zu setzen.

Erstens: Welche Bedrohung stellt der Irak für unsere Sicherheit dar? Wie akut ist die Gefahr? Saddam Husseins unermüdliches Streben nach Massenvernichtungswaffen bereitet Präsident Bush zu Recht Sorgen. Es entspricht den Tatsachen, dass andere den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten feindlich gesinnte Regime versuchen, chemische, biologische und atomare Waffen zu beschaffen. Was Saddam Hussein unterscheidet, ist, dass er diese bereits eingesetzt hat, nämlich gegen sein eigenes Volk und seine iranischen Nachbarn. Und seit beinahe vier Jahren verhindert der Irak die Rückkehr von UN-Waffeninspektoren. Wir müssen herausfinden, inwieweit Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen beschafft, herstellt und einsetzt und wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass er diese auch Terroristen zur Verfügung stellt. Ebenso brauchen wir eine klare Einschätzung seiner gegenwärtigen Fähigkeiten, konventionelle Truppen und Waffen eingeschlossen.

Zweitens: Wie lauten die möglichen Antworten auf die irakische Bedrohung? Die von den Vereinigten Staaten seit dem Ende des Golfkriegs verfolgte Eindämmungsstrategie hat Saddam Hussein in Schach gehalten. Eine Option ist die Fortsetzung der Eindämmungsstrategie zusammen mit einem strengen Waffeninspektionsregime. Aber sie erhöht das Risiko, dass Saddam Hussein mit den Inspektoren Katz und Maus spielt, während er mehr Waffen baut und sie an diejenigen verkauft, die sie gegen uns einsetzen könnten. Wenn wir warten, bis die Gefahr greifbar und gegenwärtig ist, könnte es zu spät sein. Aus diesem Grund sind einige der Auffassung, die Absetzung Saddam Husseins sei der bessere Kurs.

Eine militärische Antwort wirft andere Probleme auf. Einige argumentieren, mit einem Angriff auf Saddam Hussein könnten wir genau das herbeiführen, was wir zu verhindern versuchen: Seinen Einsatz von Massenvernichtungswaffen. Es besteht auch Sorge, dass er einen regionalen Krieg auslösen könnte. Wir müssen entscheiden, ob wir die Ressourcen für ein größeres militärisches Unternehmen in den Irak verlagern können, ohne den Krieg gegen den Terror an anderen Orten zu gefährden. Wir müssen uns fragen, was eine militärische Intervention kosten würde und ihre möglichen Auswirkungen auf unsere Wirtschaft in Betracht ziehen. Und wir müssen herausfinden, wie viel Unterstützung wir von unseren Bündnispartnern im Nahen Osten und in Europa erhalten würden.

Drittens: Welche Aufgaben hätten wir nach einer Absetzung Saddam Husseins? Dieser Frage wurde noch nicht nachgegangen, sie könnte sich jedoch als die entscheidende erweisen. In Afghanistan wurde der Krieg zwar erfolgreich geführt, aber viele von uns sind der Meinung, unsere Verpflichtung, die Sicherheit wiederherzustellen und den Wiederaufbau voranzubringen, sei dort nicht erfüllt worden. Angesichts der strategischen Lage des Irak, seiner großen Ölreserven und des Leids des irakischen Volks können wir es uns nicht leisten, einen Despoten durch Chaos zu ersetzen.

Wir müssen herausfinden, was der wirtschaftliche und politische Wiederaufbau des Irak erfordern würde. Wenn wir diese Fragen jetzt ansprechen, wäre dies ein Beweis für das irakische Volk, dass wir uns langfristig engagieren. Die Nachbarländer des Irak wären erleichtert, wenn sie wüssten, dass die Zukunft in allen Einzelheiten durchdacht worden ist. Das amerikanische Volk, dessen Söhne und Töchter einer Gefahr ausgesetzt werden könnten, muss dasselbe Gefühl der Gewissheit haben. Mit anderen Worten: Wir müssen alles über die Risiken des Handelns sowie der Untätigkeit wissen. Das Ignorieren dieser Faktoren könnte uns in eine Situation bringen, auf die die amerikanische Öffentlichkeit völlig unvorbereitet ist.

Originaltext: Byliner: Senators Joseph Biden, Richard Lugar Say National Debate on Iraq Needed


Zurück zur Irak-Seite

Zurück zur Homepage