Kein Ende der Anschläge in Irak
Waffenruhe mit Sadr-Milizen lässt hoffen / Fehlende Gelder für Flüchtlingshilfe
Von Karin Leukefeld *
Während Schiitenführer Moktada Sadr seine Milizionäre am Dienstag (13. Mai) aufgefordert hat, die Angriffe
auf staatliche Einrichtungen und die Sicherheitskräfte einzustellen, haben Extremisten gestern in
Mossul fünf irakische Soldaten getötet.
»Sichere Einkaufszentren, Schulen, Geschäfte – Frieden und Wohlstand boomen in Basra«, lautet
die Schlagzeile einer Erklärung der Presseabteilung der US-Streitkräfte in Irak. Bis vor kurzem sei
die Stadt noch eine Festung für schiitische Milizen gewesen, jetzt sehe man dort positive Zeichen für
den Wiederaufbau im Lande. Auch in Bagdad sei wirtschaftlicher Aufschwung zu verzeichnen, so die
Medienzentrale der US-Truppen weiter. Die Koalitionsstreitkräfte gewährten Kleinkredite, um
Fischfarmen zu unterstützen, damit die Iraker »eigene Ideen entwickeln und ihre eigene Wirtschaft«
wieder in Schwung bringen könnten.
Diese Positivmeldungen können allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass Kämpfe und
Anschläge im Zweistromland weiter an der Tagesordnung sind. Mossul, Bakuba, Bagdad und
Nasseriya standen für den 13. Mai auf einer von Reuters verbreiteten Liste der
Anschlagsmeldungen, Bagdad gleich mehrmals. Dort gingen auch im Armenviertel Sadr City trotz
eines Waffenstillstands die Kämpfe weiter. Nach Angaben der irakischen Polizei seien in der Nacht
zu Dienstag elf Personen getötet und 20 verletzt worden, nachdem US-Militär erneut Teile des
Viertels angriffen hatte. Ein Sprecher der US-Armee in Bagdad erklärte, die Soldaten hätten nur
reagiert, nachdem wiederum sie wiederholt von Milizen angegriffen worden seien.
Der Waffenstillstand zwischen der irakischen Regierung und Vertretern der Sadr-Bewegung war am
Montag offiziell unterzeichnet worden. Nach Angaben seines Sprechers Scheich Salah al-Obeidi in
Najaf hat Moktada Sadr persönlich der Vereinbarung zugestimmt. Das 10-Punkte-Abkommen
enthielt die Zusage der Mehdi-Armee, nicht mehr gegen die US-amerikanischen und irakischen
Truppen in Sadr City zu kämpfen und in der Öffentlichkeit keine Waffen mehr zu tragen. Im
Gegenzug erklärte sich die irakische Regierung bereit, keine willkürlichen Razzien mehr in Sadr City
durchzuführen und alle Zugangswege und Straßen wieder zu öffnen. Sadr City war mehr als einen
Monat von irakischen Truppen und deren US-amerikanischen Verbündeten belagert worden.
Einwohner und Hilfsorganisationen begrüßten die Einstellung der Kämpfe am 11. Mai ausdrücklich,
blieben aber skeptisch.
»Wir freuen uns über jede Vereinbarung, jeden Dialog, der dazu beträgt, das Blutvergießen unter
den Irakern zu beenden«, erklärte Basil al-Azawi, der Vorsitzende der Irakischen Kommission für
Unternehmen der Zivilgesellschaft (ICCSE), der nach Information des UN-Informationsnetzwerks
IRIN mehr als 1000 irakische Nichtregierungsorganisationen angehören sollen. Hilfsprogramme für
Sadr City lägen vor, doch man müsse die Lage noch beobachten, bevor man mit der Arbeit
beginnen könne. »Das Abflauen der Kämpfe könnte nur eine Momentaufnahme sein«, sagte Al-
Azawi.
Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) hat derweil zu mehr Spenden für die Versorgung der rund 4,5
Millionen irakischen Flüchtlinge und Inlandsvertriebenen aufgerufen. Derzeit fehlen von den für 2008
notwendigen 261 Millionen US-Dollar noch 127 Millionen. »Viele Flüchtlinge haben ihre Ersparnisse
aufgebraucht und sind kaum in der Lage zu überleben, bei den dramatischen Preisanstiegen für
Lebensmittel in der Region«, erklärte der Hohe Kommissar des UNHCR, António Guterres. Die
irakischen ICCSE-Gruppen unterstützen den Appell des UNHCR. Auch die Regierung in Bagdad
müsse den Irakern mehr helfen, fügte Basil al-Azawi hinzu. Außerdem sollte die Hilfe genauer
dokumentiert werden, forderte er: »Wir haben den Eindruck, dass riesige Summen für hohe Löhne
an die Mitarbeiter einiger Organisationen gezahlt werden.« Bei den Hilfsbedürftigen komme das
Geld oft nicht mehr an.
* Aus: Neues Deutschland, 14. Mai 2008
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