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Endphase im irakischen Postengerangel

Bekanntgabe der Minister kurzfristig verschoben / Premier Maliki will Kernministerien kontrollieren

Von Karin Leukefeld *

Die irakischen Parteichefs halten schon jetzt den Weltrekord für den langwierigsten Prozess zur Regierungsbildung – trotzdem haben sie vom Streit um Macht und Posten offenbar noch nicht genug. Der designierte Ministerpräsident Maliki verschob die für den Montag angekündigte Ernennung der Mitglieder seines neuen Kabinetts.

Anders als ursprünglich angekündigt, hat der alte und neue irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki die Namensliste seiner zukünftigen Regierung nicht am Montag bekannt gegeben. Bei Redaktionsschluss herrschte Unklarheit darüber, ob Maliki wenigstens die Hälfte der 38 Minister nennen würde, oder ob die Liste erst am Mittwoch dem Parlament vorgelegt wird. Das hatte ein Sprecher des Parlaments am Montag in Bagdad mitgeteilt. Die Meinungsverschiedenheiten über die Postenverteilung seien noch nicht überwunden, räumte Maliki-Sprecher Ali Dabbagh ein. Gemäß der Verfassung braucht die neue irakische Regierung spätestens bis Sonnabend die Zustimmung des Parlaments. Maliki war am 25. November von Präsident Dschalal Talabani mit der Regierungsbildung beauftragt worden, acht Monate nach den Wahlen am 7. März.

Khalid al-Assadi von Malikis Liste für Rechtsstaatlichkeit hatte bereits am Sonntag Journalisten in Bagdad Einzelheiten über die neue Regierungsliste mitgeteilt. Danach soll die Irakische Nationale Allianz, ein von Maliki geführtes Bündnis schiitischer Parteien, 17 Minister stellen. Die Irakiya-Liste, die die Wahlen knapp gewonnen hatte, soll neun Minister, der Kurdische Block sieben erhalten. Die restlichen fünf Ressorts werden auf kleinere Parteien verteilt.

Maliki erhält drei Stellvertreter, womit die Regierung 42 Personen umfasst und größer ist als die alte Regierung. Die wichtigen Ministerien für Verteidigung, Inneres und Nationale Sicherheit will Maliki vorerst selbst kontrollieren. Der Ministerpräsident, so Assadi, wolle aus einer »breiten Palette von Kandidaten« auswählen und sie dann vorstellen. Es müsse sichergestellt sein, dass diese Minister »keine Parteipolitiker« seien. Kritiker werfen Maliki vor, Züge eines »neuen Diktators« zu haben. Ihm käme es entgegen, Militär, Polizei und Geheimdienst unter einem Dach zu behalten.

Ex-Ministerpräsident Iyad Allawi erklärte derweil am Sonntag (19. Dez.), die Irakiya-Liste werde in der neuen Regierung mitarbeiten. Man stimme auch der Einrichtung des neu zu schaffenden Nationalen Rates für Strategische Politik zu, über den das Parlament am heutigen Dienstag debattieren will. Das Amt ist auf einen Vorschlag der USA zurückzuführen, die Allawi damit für den entgangenen Posten des Ministerpräsidenten entschädigen wollen. Die Befugnisse des neuen Amtes sind noch unklar. Allgemein heißt es, der Nationale Rat soll die irakische Sicherheitspolitik überwachen. Ob Allawi selber Chef dieses Gremiums werden will, sagte er bisher nicht. Eine zentrale Forderung von Irakiya wurde am Wochenende im Parlament erfüllt. Die Abgeordneten hoben das politische Betätigungsverbot für drei prominente Irakiya-Politiker auf. Ihnen war vom Komitee zur Entbaathifizierung die Beteiligung an den Wahlen wegen angeblicher Nähe zur Baath-Partei von Saddam Hussein untersagt worden. Das umstrittene Komitee wird von Politikern geführt, die selber bei den Wahlen im gegnerischen Lager antraten.

* Aus: Neues Deutschland, 21. Dezember 2010


Irak: Kabinettsbildung in Raten

Premier Maliki präsentiert zunächst 25 seiner 42 Minister **

In einer stürmischen Parlamentssitzung hat der irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki sein neues Kabinett vorgestellt. Doch die neue Regierung, die nach neunmonatigem Gezerre und Geschacher zwischen den Parteien am Dienstag endlich präsentiert wurde, hat einige Schönheitsfehler.

Erstens wurden bislang nur 25 von insgesamt 42 Kabinettsposten besetzt. Die restlichen 17 will Maliki nach eigenem Bekunden in den nächsten Tagen vergeben. So lange sollen die Aufgaben von anderen Ministern in Vertretung übernommen werden. Noch unbesetzt sind unter anderem die wichtigen Ressorts Inneres und Verteidigung.

Zweitens sitzt bisher noch keine einzige Frau im Kabinett. »Das ist nicht meine Schuld, sondern die Schuld der Koalitionsfraktionen«, erklärte Maliki. »Ich hatte sie mehrfach inständig gebeten, aus ihren Reihen weibliche Kandidaten für Ministerposten zu nominieren, aber mir wurde nur der Name einer einzigen Frau genannt.« Die Parlamentarierin Ala al-Talabani sagte während der Sitzung im Namen aller weiblichen Abgeordneten, dies sei eine Schande. Maliki versprach daraufhin, die Frauen bei der Vergabe der noch nicht besetzten Ämter zu berücksichtigen.

Drittens verkündete die kurdische Goran-Partei, sie wolle sich nicht an der Regierung beteiligen, weil sie von den großen Parteien im politischen Prozess an den Rand gedrängt worden sei. Goran (Wandel), die gegen Korruption und Vetternwirtschaft kämpft, errang bei der Parlamentswahl am 7. März acht Mandate. Die Kurdische Demokratische Partei und die Patriotische Union Kurdistans sicherten sich zusammen 43 Sitze.

Doch nicht nur die Goran-Abgeordneten und die Frauen protestierten. Einen Zwischenrufer von den hinteren Rängen ließ Parlamentspräsident Osama al-Nudschaifi aus dem Saal entfernen. Ein weiterer Parlamentarier stand ungefragt auf und forderte, diejenigen unter den neuen Ministern, die noch eine zweite Staatsbürgerschaft haben, sollten diese abgeben. Dies betrifft etliche Minister, da viele von ihnen zu Zeiten des Saddam-Hussein-Regimes als Oppositionelle im Exil gelebt haben.

Zwar ist der Prozess der Regierungsbildung auch jetzt noch nicht abgeschlossen, doch steht schon fest, dass die neue Regierung die Iraker teuer zu stehen kommen wird. Denn abgesehen von den Gehältern der 42 Amtsträger fallen auch noch hohe Kosten für ihren Schutz an. Wegen der Gefahr vor Terroranschlägen bekommt jeder Minister eine große Truppe von Leibwächtern und mehrere gepanzerte Fahrzeuge finanziert. Doch Maliki sah wohl keine andere Möglichkeit, um alle Koalitionspartner zufriedenzustellen. In der vergangenen Legislaturperiode hatten in Bagdad 37 Politiker im Kabinett gesessen. Und schon das war im Vergleich beispielsweise zur Bundesrepublik ein Riesenapparat. Das Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel hat 16 Mitglieder.

Ein Schlaglicht auf das Chaos, das während des Prozesses der Regierungsbildung herrschte, warf am Dienstag ein Kommentar von Maliki. Er berichtete, dass ihm noch am Vortag Kandidaten präsentiert worden seien, »deren Namen ich nicht einmal kannte«.

** Aus: Neues Deutschland, 22. Dezember 2010


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