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Ringen um eine neue Regierung

Der von den USA gesuchte Muqtada Al-Sadr spielt im Irak die Schlüsselrolle

Von Rainer Rupp *

Der frühere irakische Regierungschef Ayad Allawi hat in Bagdad dem Iran vorgeworfen, den Irak destabilisieren und den politischen Prozeß im Land manipulieren zu wollen. Damit reagierte der Vorgänger des gegenwärtigen Ministerpräsidenten Nuri Al-Maliki auf dessen Besuch im Nachbarland, zu dem dieser am Montag vvom religiösen Oberhaupt Ajatollah Ali Khamenei herzlich empfangen wurde. Nach einem längeren Gespräch mit dem iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad bezeichnete Maliki das freundschaftliche Verhältnis zwischen beiden Ländern als von »strategischer Bedeutung« und rief zu noch engeren Beziehungen auf. Danach besuchte er die Stadt Ghom, in der der von den USA gesuchte Muktadar Sadr, möglicherweise sein künftiger Partner in der irakischen Regierungskoalition, im iranischen Exil studiert und sich so in der den Schiiten heiligen Stadt auf die Ajatollah-Würde vorbereitet.

Seit den Parlamentswahlen am 7. März ist der Irak ohne Regierung. Weil der amtierende Ministerpräsident in Washington wegen seines Strebens nach irakischer Eigenständigkeit in Ungnade gefallen war, hatten die US-Besatzer auf Allawi gesetzt. Dank starker sunnitischer Unterstützung bekam dieser mit seiner Iraqiya-Partei zwar die meisten Stimmen, aber für eine Regierungsbildung reichte es nicht. Der große Wahlgewinner Muqtada Al-Sadr wollte hingegen weder mit Maliki noch mit Allawi koalieren, weil er in beiden Marionetten der Besatzer sah. Sadr selbst wird von Washington als religiöser Bösewicht gebrandmarkt, weil die Sadristen in der Vergangenheit den US-Truppen wiederholt schwere Kämpfe geliefert haben und auch dafür bekannt sind, Teile des sunnitischen Widerstandes unterstützt zu haben.

Obwohl Washington nach der Wahl im März hatte verkünden lassen, daß es sich diesmal nicht in die Regierungsbildung in Bagdad einmischen würde, versuchte die US-Administration schon bald, den amtierenden Ministerpräsidenten Maliki in eine große Koalition mit Allawi zu pressen. Maliki stellte sich jedoch quer und versuchte statt dessen, mit Hilfe der iranischen Regierung Kontakt zu Sadr zu knüpfen, um eine schiitische Koalition zu bilden. Während es führenden Persönlichkeiten aus dem Iran, Syrien und der libanesischen Hisbollah mit großem diplomatischen Aufwand gelang, Sadr von der Notwendigkeit einer Koalition mit Maliki zu überzeugen, zeigte sich die US-Administration wieder in seiner gewohnt imperialen Rolle und diktierte Maliki, die Sadristen auf keinen Fall in die Regierung zu nehmen. Das wütende Washington fühlt sich ausmanövriert und versucht deshalb neuesten Berichten zufolge, die kleine SCCI-Partei aus dessen schiitischer Koalition herauszubrechen, um eine Maliki-Regierung doch noch zu verhindern.

Vor diesem Hintergrund malen US-Medien mit erneuter Intensität die Gefahr einer »schiitischen Sichel«, nämlich ein von Iran dominierter Irak, an die Wand. Dennoch hat Washington trotz seiner gigantischen Militär- und Besatzungsmacht seine politischen Ziele im Irak bisher gänzlich verfehlt. Der Iran ist bislang nicht geschwächt, sondern gestärkt worden. Vor allem aber dürfte es Washington ärgern, daß nicht US-amerikanische, sondern vor allem chinesische, russische und asiatische Ölkonzerne im Irak Fuß gefaßt haben.

* Aus: junge Welt, 21. Oktober 2010


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