Bagdader Gesprächsfaden gerissen
Fünf Monate nach der Parlamentswahl ist eine Regierungsbildung in weiter Ferne
Von Karin Leukefeld *
Fünf Monate nach den irakischen Parlamentswahlen sind die Koalitionsverhandlungen zwischen Al
Irakia, der mit zwei Sitzen in Führung liegenden Partei des früheren Ministerpräsidenten Allawi und
der bei der Parlamentswahl auf Platz zwei eingekommenen Liste für Rechtsstaatlichkeit des
amtierenden Ministerpräsidenten Maliki abgebrochen worden. Das ist keine Überraschung, denn
beide Politiker bekämpfen sich nicht erst seit dem Wahlkampf.
Irakia-Chef Ijad Allawi, Ministerpräsident 2004/05, ist am Montagabend aus den Verhandlungen mit
dem augenblicklichen Regierungschef Nuri al-Maliki ausgestiegen. Als Grund für den Schritt nannte
Maysoon al-Damluji, Sprecherin des säkular orientierten Bündnisses Al Irakia, es sei nicht
hinnehmbar, dass Maliki in einem Fernsehinterview dem Bündnis unterstellt habe, nur die Interessen
der Sunniten zu vertreten. Al Irakia sei »kein sunnitischer Block, sondern ein nationales Projekt«,
sagte die Sprecherin und forderte eine Entschuldigung des Ministerpräsidenten. »Ohne
Entschuldigung werden wir nicht mehr verhandeln.«
Erst kürzlich war die Aufnahme von Koalitionsgesprächen zwischen den beiden stärksten Parteien
von den Vereinten Nationen und den USA, die eine schnelle Regierungsbildung fordern, fast schon
als Durchbruch begrüßt worden, doch die Iraker blieben skeptisch. Zentraler Streitpunkt ist die
Frage, wer künftig das Amt des Ministerpräsidenten übernimmt.
Obwohl Maliki von vielen Seiten kritisiert wird, beweist er eine bemerkenswerte Hartnäckigkeit.
Iraker, die dem Gerangel weitgehend machtlos zusehen müssen, reagieren spöttisch mit Karikaturen
und Witzen, wie ein Mann telefonisch aus Bagdad berichtet, der seinen Namen nicht nennen
möchte. »Haben Sie Klebstoff?«, fragt demnach ein Kunde im Laden, und als der Verkäufer ihm
verschiedene Sorten zeigt, fügt der Kunde hinzu: »Ich will einen Klebstoff, der so gut klebt wie der,
mit dem Maliki sich auf seinem Stuhl festgeklebt hat.«
Die Parlamentswahlen am 7. März hatten keiner politischen Gruppierung eine ausreichende
Mehrheit gegeben, um alleine die Regierung zu bilden. Mit 91 Sitzen wurde Allawis Wahlbündnis
stärkste Kraft im 325 Abgeordnete zählenden Parlament. Malikis Rechtsstaatsallianz errang 89 Sitze
und bildete nach der Wahl mit der schiitischen Irakischen Nationalen Allianz ein Bündnis, das auf
159 Abgeordnete kommt. Innerhalb des Bündnisses ist Maliki allerdings äußerst umstritten. Sowohl die Sadr-Bewegung des Predigers Muktada Sadr als auch Ammar al-Hakim vom Hohen Islamischen Rat in Irak lehnen Maliki mittlerweile als neuen Ministerpräsidenten ab.
Anfang August hatte der UN-Sicherheitsrat auf Fortschritte bei der Regierungsbildung gedrungen.
Die USA wollen bis Ende August ihre Kampftruppen aus Irak abziehen. Für die Ausbildung
irakischer Soldaten sollen 50 000 US-Soldaten im Land bleiben.
Zwölf (irakische) Hilfsorganisationen und Interessenverbände haben derweil in Bagdad Klage beim
Obersten Gerichtshof gegen Parlamentssprecher Fuad Massum eingereicht. Als ältester
Abgeordneter hatte Massum am 14. Juni die erste Sitzung des neuen Parlaments zwar eröffnet, sie
dann aber ohne neuen Termin vertagt. Die Verfassung sieht vor, dass bei der ersten
Parlamentssitzung sowohl der Parlamentssprecher, der Ministerpräsident als auch der Präsident
neu gewählt werden müssen. Vermutlich vertagte Massum das Parlament mit offenem Ende, weil
die drei Posten noch nicht besetzt werden konnten. Genau damit hat Massum aber nach Ansicht der
Beschwerdeführer gegen die Verfassung verstoßen. Er müsse die Sitzung formal schließen oder
den Obersten Gerichtshof anrufen, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen auszuschreiben, heißt
es in einer Erklärung.
* Aus: Neues Deutschland, 18. August 2010
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