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Blutiger Ramadan in Irak

Serie von Sprengstoffanschlägen und Feuerangriffen auf Zivilisten

Von Karin Leukefeld *

Der Fastenmonat Ramadan war für die irakischen Gläubigen der opferreichste Monat seit fünf Jahren. Mehr als 1000 Menschen starben bei Anschlägen im Juli.

Was in Medien vereinfacht als »Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten« dargestellt wird, ist tatsächlich Teil eines regionalen Machtkampfes, der in seiner deutlichsten Form derzeit in Syrien zu sehen ist. Interne Probleme werden durch regionale Machtkämpfe (Türkei, Iran, Saudi-Arabien, Israel) verstärkt. Internationale Interessen in der Region, die sich hinter den jeweiligen regionalen Partnern formieren, fachen die Probleme weiter an.

Auf nationaler Ebene hat sich die politische Kritik an dem autokratischen Führungsstil des irakischen Präsidenten Nuri al-Maliki seit seinem Machtantritt 2010 ständig verschärft. Anstatt die politische Macht mit dem eigentlichen Gewinner der Wahlen, Iyad Allawi von der überkonfessionellen Irakischen Nationalbewegung Al Irakiya zu teilen, blockierte Maliki eine Koalitionsregierung. Schließlich kam es zu einer Regierung Maliki mit den Kurden und der Vereinigten Irakischen Allianz, einem Bündnis von mehrheitlich religiösen schiitischen Parteien. Maliki häufte weiter Macht an und grenzte politische Gegner aus. Viele sunnitische Muslime, die unter Saddam der Elite angehörten, fühlen sich von der Regierung Malikis benachteiligt. Seit dem Abzug der US-Truppen vor eineinhalb Jahren nahmen gewaltsame Handlungen wieder zu.

Wenn sich die politischen Parteien in Irak auf ein gemeinsames Vorgehen einigen könnten, wäre weiterer Gewalteskalation der Boden entzogen, erklärte vor wenigen Tagen der Abgeordnete Mahmud Othman im Gespräch mit der französischen Nachrichtenagentur AFP. Differenzen würden nicht in Gesprächen und Diskussionen ausgetragen, sondern man gehe sich aus dem Weg und beschuldige den anderen, so Othman, der der Sozialistischen Partei Kurdistans angehört und für die kurdische Allianz im Parlament in Bagdad sitzt. Der Konflikt sei primär politisch, werde durch die konfessionelle Ausprägung aber verstärkt. Das alles führe zu der instabilen Sicherheitslage. Werde die Sache nicht politisch gelöst, werde sich die Gewalt verschlimmern, glaubt Othman.

Die instabile Lage in Irak wird von Kampfverbänden der Al Qaida genutzt, die wiederum zumindest von Saudi-Arabien unterstützt werden. Der Irak ist Rückzugs- und Aufmarschgebiet von »Kämpfern des Islamischen Staates Irak und Syrien«, die in Syrien kämpfen. Mit Saudi-Arabien verbündete Stämme, die im irakisch-syrischen Grenzgebiet leben, bieten den Kämpfern freies Geleit.

Nachdem Ende Juli 500 Gefangene bei einem Al-Qaida-Angriff auf das Gefängnis Abu Ghraib bei Bagdad befreit wurden, haben sich Anschläge auf die irakische Armee und Sicherheitskräfte sowie auf die Zivilbevölkerung verschärft. Viele der befreiten Gefangenen gehörten dem Al-Qaida-Netzwerk oder anderen islamistischen Kampfverbänden an.

Das Markenzeichen dieser »Takfiris«, die sich als die einzig wahren Nachfolger des Propheten Mohammed betiteln, sind rücksichtslose Angriffe auf diejenigen, die sie als »Ungläubige« bezeichnen. Dazu gehören nicht nur Anhänger anderer Religionen, sondern auch Muslime. Schiitische Muslime bezeichnen sie als besonders verabscheuungswürdig, ebenso aber moderate Sunniten.

So verschärfen sich nationale politische Konflikte durch den Einsatz konfessioneller Differenzen. Die Botschaft der jüngsten Anschläge ist nicht, dass die irakische Regierung mehr politische Freiheiten und Rechte zulassen sowie gute Regierungsführung üben sollte, sondern ihre Unterstützung für die Führung in Damaskus und Teheran überdenken.

* Aus: neues deutschland, Montag, 12. August 2013


US-Scherbenhaufen

Blutige Anschlagserie im Irak

Von Werner Pirker **


Das irakische Inferno hat seine Ursache allein im illegalen Angriffskrieg der USA gegen das Zweistromland und der ihm folgenden Besatzungspolitik. Der militärisch erzwungene Regimewechsel von außen zerstörte nicht nur den baathistischen Machtapparat, sondern die Grundlagen der irakischen Staatlichkeit. Der vorgebliche »Krieg gegen den Terror« hat den Terror erst ins Land geholt. Iraks säkulares Gesellschaftsmodell erfuhr eine Rückentwicklung zum gewalttätigen Konfessionalismus, der vom Saddam-Regime mit eiserner Faust niedergehaltene Islamismus konnte sich fortan als nationale Befreiungsbewegung in Szene setzen.

Der irakische Regimewechsel beendete aber auch die von der Kolonialherrschaft ein- und vom Baath-Regime fortgeführte politische Vorherrschaft der sunnitischen Minderheit über die schiitische Mehrheit. Das hatte wiederum zur Folge, daß der anfängliche Widerstand gegen die Fremdherrschaft überwiegend von den Sunniten (Stichwort: sunnitisches Dreieck) ausging. Durch den noch in der Bush-Ära vollzogenen »Strategiewechsel« konnte der sunnitische Widerstand einigermaßen befriedet werden. Auf der anderen Seite bot die von den US-Besatzern erzwungene schiitische Hegemonie im Irak dem Iran Gelegenheit zur massiven Einflußnahme, was die Nahost-Strategie der USA – die mittlerweile voll auf die Ausschaltung Teherans als größten Widerstandsfaktor fokussiert ist – einigermaßen konterkariert.

Der von den imperialistischen Hauptmächten und der arabischen Reaktion befeuerte Krieg gegen Syrien hat die Situation neu aufgemischt. Um Teheran sturmreif zu machen, müsse Damaskus fallen, lautet der von der westlich-wahabitischen Wertegemeinschaft verfolgte Kriegsplan. Daß man sich dabei der Al-Qaida als militärischer Vorhut bedient, erscheint den Antiterrorkriegern als läßliche Sünde. Wenn nun US-Politiker anläßlich der jüngsten Attentatswelle über »feige Angriffe der Feinde Amerikas« herziehen, vergessen sie zu erwähnen, daß die Schiitenmörder von Bagdad Teil der gleichen Terrorbrigaden sind, die in Syrien gegen das »gottlose Assad-Regime« zu Felde ziehen.

Die westlichen Interventen laufen jedoch auch immer wieder Gefahr, Opfer ihrer eigenen perfiden Manöver zu werden. Im Irak haben sie ein Regime an die Macht gebracht, das sich, konfrontiert mit dem gleichen unbarmherzigen Gegner wie die Regierenden in Damaskus, tendenziell mit der schiitischen »Achse des Widerstandes« aus Hisbollah, Syrien und Iran verbunden fühlt. Und daß die salafistischen Geister, die der Westen rief, um ein mißliebiges Regime zu beseitigen, nach vollbrachter Söldnertätigkeit nicht versuchen werden, ihre eigene Agenda umzusetzen, darf bezweifelt werden. Washingtons »Greater Middle East«-Projekt, das auf die totale Beherrschung der Region zielte, kann bereits als gescheitert angesehen werden. Doch auch ein Ausstiegsszenario ist nicht in Sicht.

** Aus: junge welt, Montag, 12. August 2013 (Kommentar)


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