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Wähler blieben aus Verärgerung zu Hause

Irak: Beteiligung an Provinzwahlen hinter Erwartungen / Spannungen nach Betrugsvorwürfen

Von Karin Leukefeld *

An Glückwünschen zu den ruhig verlaufenen Provinzwahlen am vergangenen Wochenende fehlt es den Irakern nicht. Nun warten alle gespannt auf die Wahlergebnisse, die nach Auskunft des UN-Sondergesandten in Irak, Staffan de Mistura, vermutlich erst Ende Februar vorliegen werden.

Die Wahlbeteiligung sei mit 51 Prozent hinter den Erwartungen geblieben, gab de Mistura zu. Nur 60 000 Inlandsvertriebene hätten abgestimmt. Bei den Parlamentswahlen 2005 waren 58 Prozent zur Wahl gegangen. Er sei aber optimistisch, dass auch die kommende Parlamentswahl und das Referendum in Kirkuk ruhig und geordnet verlaufen würden.

In den vorwiegend von Sunniten bewohnten Provinzen Niniveh, An Anbar und Salahaddin waren die Wahlen 2005 noch weitgehend boykottiert worden. Dieses Mal lag die Wahlbeteiligung nach Angaben der Unabhängigen Obersten Wahlkommission (IHEC) dort zwischen 40 und 65 Prozent. In Ramadi, der Provinzhauptstadt von An Anbar, waren schon am Wahltag Betrugsvorwürfe erhoben worden. Daraufhin schickte die IHEC die dort gezählten Stimmen nach Ramadi zurück mit dem Auftrag, unter Armeeaufsicht neu auszuzählen.

Sollte die Islamische Partei durch Wahlbetrug gewinnen, werde man zu den Waffen greifen, schimpfte Scheich Hamid al-Hais, dessen Stamm zur »Erwachungsbewegung« gehört, die gegen Bezahlung der US-Armee Al Qaida-Gruppen bekämpft hatte. US-Generalleutnant Lloyd Austin erklärte zu den Spannungen in Ramadi, die US-Truppen seien bereit, die irakische Armee und Polizei zu verstärken, falls es zu Unruhen kommen sollte. Die irakischen Truppen hätten zwar am Wahltag für Ruhe und Ordnung gesorgt, fügte Austin hinzu. Gewaltsamen Auseinandersetzungen aber seien die irakischen Sicherheitskräfte nicht gewachsen. Im nordostirakischen Chanaqin wurden am Donnerstag zwölf Menschen bei einem Anschlag getötet. In der irakisch-kurdisch-iranischen Grenzstadt war es nach den Wahlen zu Spannungen gekommen, weil hunderte Kurden sich beschwerten, dass ihre Namen nicht auf den Wählerlisten gestanden hätten.

In den südlichen, vorwiegend von Schiiten bewohnten Provinzen gingen deutlich weniger zur Wahl als noch 2005. Beobachter führen das auf die Verärgerung der Wähler über die religiösen Parteien und die hohe Korruption unter Politikern zurück. Nach ersten Analysen soll die Dawa Partei von Ministerpräsident Nuri al-Maliki in Bagdad und in den elf südlichen Provinzen mehr Stimmen erhalten haben als der religiös orientierte Hohe Islamische Rat für den Irak (SIIC). Im Provinzparlament von Bagdad wird die Dawa Partei vermutlich mehr als 50 Prozent der 57 Sitze einnehmen, der bisher führende Hohe Islamische Rat sei weit abgeschlagen, hieß es nach ersten Auszählungen. »Die Iraker wollen Sicherheit und nationale Einheit«, kommentierte Premiersprecher Ali al-Dabbagh, »genau dafür steht Nuri al-Maliki.« Dieser hatte sich im Wahlkampf deutlich vom religiösen SIIC abgegrenzt.

Die säkularen Parteien hätten sich offenbar durchgesetzt, sagt erleichtert die 70jährige Suha T., die selber nicht zur Wahl gegangen ist. Die Ereignisse der letzten Jahre hätten sie zynisch gemacht, meint die frühere Diplomatin im Telefongespräch. Doch dass in Mossul und sogar in Basra die säkulare Liste von Ijad Allawi gut abgeschnitten habe, sei ein Grund zur Hoffnung. Für die Liste von Ijad Allawi hat auch Rafid A. in Bagdad gestimmt. Für ihn sei das Wichtigste, dass die religiösen Parteien zurückgedrängt würden, dass es Arbeit gebe und die Strom- und Wasserversorgung wieder in Gang kämen, sagt er. Dann hätte Irak noch eine Chance.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Februar 2009


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