Interessante Stimmen zum drohenden Irak-Krieg
Die Presse zwischen den Jahren - Und Günter Grass in der WamS
Zwischen Weihnachten und Neujahr ging einerseits der US-amerikanische Truppenaufmarsch rings um den Irak weiter, andererseits diskutierte die Öffentlichkeit darüber, ob der angekündigte Krieg überhaupt noch aufzuhalten sei. Die Kommentare und Leitartikel in der deutschen und internationalen Presse zeichneten sich in diesen Tagen durch eine zumeist kritische bis eindeutig ablehnende Haltung gegenüber der US-Politik aus. Wir dokumentieren im Folgenden auszugsweise eine Reihe von Pressestimmen.
Internationale Pressestimmen nach Deutschlandradio (Weihnachten 2002):
Die norwegische Zeitung AFTENPOSTEN (Oslo) notiert:
"Die
wichtigste internationale Neuigkeit zu Heiligabend war, dass die Vereinten Nationen
heimlich an Plänen arbeiten, der Zivilbevölkerung während eines
eventuellen
Irak-Krieges zu helfen. UNO-Generalsekretär Annan hatte die Pläne aus
Furcht
versteckt halten wollen, man werde sie im Irak so auffassen, als seien die
Waffeninspektionen sinnlos und ein amerikanischer Angriff unausweichlich.
Gleichzeitig berichten die Agenturen von amerikanischen, britischen und
israelischen Kriegsvorbereitungen. Das ist der düstere politische
Hintergrund
für dieses Weihnachtsfest. Immer weniger Menschen glauben, dass es möglich
ist, einen Krieg zu umgehen, selbst wenn noch Hoffnung besteht, dass die
USA
doch noch der UNO-Linie folgen".
Und das norwegische Konkurrenzblatt AFTENBLADET (Stavanger) bezweifelt die Sinnhaftigkeit eines Krieges gegen den Irak:
"Was ist mit den anderen Staaten in der
Region, die vielleicht auch über Massenvernichtungswaffen verfügen? Soll
gegen diese auch in den Krieg gezogen werden? Es besteht vielmehr Grund zu
befürchten, dass die Antwort noch mehr Extremismus und Terrorismus sein
wird.
Es kann keinen Alleingang zu einem Krieg geben, der nach strategischen
Schätzungen eine halbe Million Menschen im Irak das Leben kosten könnte".
Die italienische Zeitung LA REPUBBLICA (Rom) geht davon aus, dass sich "alle auf den Krieg vorbereiten".
"Einige offen, wie Saddam Hussein, der jetzt wissen ließ,
dass derzeit Freiwillige aus dem Ausland, sogar aus den USA, auf dem Wege
in
den Irak sind, um dort als menschliche Schutzschilde den Irak vor den
amerikanischen Bombardierungen zu bewahren. Andere tun es eher heimlich,
wie
etwa die Vereinten Nationen, die bereits dabei sind, ihre Notpläne
beschleunigt umzusetzen, um so das eigene Personal aus dem Irak
herauszuholen
sowie irakischen Flüchtlingen helfen zu können, von denen man Millionen
befürchtet. Aber alle erwarten dennoch, dass es die Vereinten Nationen
sind,
die das letzte Wort über einen möglichen Waffengang sprechen werden".
In der serbischen Zeitung DANAS (Belgrad) war zu lesen:
"Ein neuer Golfkrieg würde nach
Einschätzung der UNO-Experten relativ schnell etwa 900.000 Menschen zu
Flüchtlingen machen. Das allein ist ausreichend für die UNO, sich auf die
Suche nach Geldgebern zu machen. Auch die Erdölkompanien haben mit
fieberhaften Vorbereitungen begonnen. Sie wollen möglichst schnell
alternative Erdölquellen finden, um mögliche Engpässe besser meistern zu
können. Die französischen Firmen wollen Kontakte zur irakischen Opposition
knüpfen, um sich die Förderrechte nach einem möglichen Sturz von Saddam
Hussein zu sichern. Die Russen dagegen haben völlig andere Sorgen: Sie
befürchten, dass sie nach einem neuen Golfkrieg aus dem Irak vertrieben
werden könnten. Deswegen haben sie - dem Vernehmen nach - ihre
diplomatischen
Kontakte zu Washington verstärkt, um ihre Irak-Option auch im Falle eines
Regimewechsels zu sichern".
Die deutschsprachige belgische Zeitung GRENZ-ECHO (Eupen) schreibt:
"Dass Bush zum
Angriffskrieg entschlossen ist und sich wohl nicht mehr von den Vereinten
Nationen oder von gleich welchen Ergebnissen der Waffenuntersuchungen im
Irak
davon abbringen lässt, daran sollte nicht mehr gezweifelt werden. Die
Vorbereitungen für den Angriff sind vor langer Zeit schon gestartet
worden,
nichts deutet darauf hin, dass Präsident Bush noch bereit ist, zur Umkehr
zu
blasen. Irak und Nahost sind an diesen Festtagen, wenn von Frieden die
Rede
ist, Beispiele dafür, dass viele, die Verantwortung zu tragen haben, zu
wenig
tun, um Frieden herbeizuführen oder ihn zu sichern".
Die österreichische Zeitung KURIER beklagt gar das Fehlen einflussreicher
Gegenstimmen zur Irak-Politik der USA:
"Tagtäglich mit martialischen
Bildern
gefüttert hat man den Eindruck, als ob der Waffengang gegen Iraks Diktator
Saddam Hussein schon begonnen habe. Selbst die UNO fügt sich in das
scheinbar
Unvermeidliche und bereitet sich auf den Krieg vor. Alles folgt offenbar
einem exakten amerikanischen Drehbuch, das einen Showdown zum Finale
vorsieht. Gegenstimmen im Westen dazu: Einzig der Vatikan, sonst
Schweigen.
Selbst Deutschlands Kanzler Schröder, der überhaupt erst mit seinem
Anti-Kriegs-Kurs wieder im Kanzleramt landete, ist verstummt. Und die
Friedensbewegung? - kein Phänomen des beginnenden 21. Jahrhunderts. Man
muss
wirklich kein Freund Saddams sein, um diese Entwicklung zu kritisieren".
Ganz anders die rechtskonservative türkische Zeitung HÜRRIYET, die es am liebsten sähe, wenn Ankara sich am Krieg beteiligte:
"Bushs Politik abzulehnen, wird daran nichts
ändern.
Deshalb darf keine Zeit mit pazifistischen Schwätzereien verschwendet
werden.
Die Türkei muss die Realpolitik akzeptieren, um sich der Entwicklung
anzupassen. Die Regierung in Ankara hat auch keine andere Wahl, als sich
an
dem Feldzug zu beteiligen. Doch ist es noch zu früh zu sagen, in welcher
Art
und Weise dies aussehen soll. Die Türkei wird wahrscheinlich Einheiten in
den
Nord-Irak verlegen und sich an der Operation beteiligen. Aber auf jeden
Fall
werden die Flughäfen den US-Kampfjets zur Verfügung gestellt und den
Bodentruppen eine Genehmigung erteilt, über die Türkei in den Irak
einzumarschieren. Dazu gibt es keine Alternative, da sollte sich niemand
etwas vormachen. Das hat nicht nur mit der engen Zusammenarbeit mit
Amerika
zu tun, die Türkei ist auch verpflichtet, einer von der UNO beschlossenen
Operation behilflich zu sein".
***
Heribert Prantl schreibt im Leitartikel der Süddeutschen Zeitung am 24. Dezember zum Thema "Kein Friede auf Erden" u.a.:
(...)
Der US-Präsident geriert sich, als sei der Krieg gegen den Staatsverbrecher Saddam Hussein der
Einstieg in die Erlösung der Welt. Der Einrichtung des Weltstrafgerichtshofs wird von den USA deshalb
so heftig widersprochen, weil sie sich selber für das Vollzugsorgan des Jüngsten Gerichts halten. Und
so klingt die Regierungspolitik der USA gegenüber den europäischen Verbündeten und den Vereinten
Nationen wie eine ultimative Aufforderung zum Mitsingen eines auf die USA umgewandelten
Kirchenliedes: "Was Bush tut, das ist wohlgetan."
An Weihnachten 2002 steht die Welt am Rand eines angekündigten Krieges, betrieben von
US-Politikern, die ihr Gewissen durch Selbstgerechtigkeit ersetzt zu haben scheinen und die aus der
militärischen Überlegenheit der USA eine moralische Überlegenheit ableiten. Man kann sich nur
darüber wundern, wer da in Gottes Namen die Welt in Gut und Böse einteilt. Die Manichäer von
Washington wollen den Fundamentalismus bekämpfen und es scheint so, als praktizierten sie ihn
selbst. Oder ist auch die Kriegsankündigung nur ein Popanz?
Fürchtet euch nicht! Die Weihnachtsbotschaft klingt in diesem Jahr wie ein Einstieg in eine
schicksalhafte Entwicklung, von der keiner weiß, wie man ihr entkommt. Gefühle der
Unausweichlichkeit haben sich eingestellt - und werden verstärkt von jeder Nachrichtensendung, weil
man den Eindruck gewinnt, die USA betrachten die Waffeninspekteure im Irak nur als die Akteure
eines lästigen und überflüssigen Vorspiels. "Das Fehlen eines Beweises bedeutet nicht den Beweis
dessen Fehlens", sagt der US-Verteidigungsminister Rumsfeld, um darzulegen, dass auch ohne
konkreten Hinweis der Verdacht der USA gegen den Irak begründet sei.
Fürchtet euch nicht? Der Krieg gegen den Terrorismus, so heißt es, sei in allem neu und in allem
anders als bisherige Kriege. Aber dieser angeblich neue Krieg trägt die Atavismen früherer Kriege in
sich. Er erprobt die modernste Technologie - und endet, wie zuletzt, im Höhlenkampf in Afghanistan
oder, wie vielleicht demnächst, mit toten Kindern in den zerstörten Krankenhäusern von Bagdad oder
Sulaimaniya. Nicht der Krieg ist neu, sondern die Ungeniertheit, mit der er gerechtfertigt wird. Die USA
benutzen den 11. September, um die Welt neu einzurichten. Trauer über das Verbrechen verwandelt
sich in Angriff.
Nun ist es gewiss nicht so, dass man sich einfach nur Bush & Co. hinwegdenken muss, um die
Weltlage zu verbessern. Aber die von Saddam Hussein ausgehende Gefahr ist womöglich erheblich
kleiner als das mit seiner Beseitigung verbundene Risiko. Das heißt: Die Bedrohung durch den Irak ist
weniger bedrohlich als die angeblich deswegen geplante amerikanische Reaktion. Es besteht unter
anderem die akute Gefahr, dass die amerikanische Politik denjenigen radikal- islamistischen Kräften in die Hände arbeitet, die den "Kampf der Kulturen" als neue weltpolitische
Konfliktformation inszenieren wollen. Die europäischen Staaten ebenso wie die Vereinten Nationen
haben wenig Einfluss auf den Gang der Dinge. Die Amerikaner erklären denn auch ohne Umschweife,
dass diese die Wahl hätten, den US-Krieg zu mandatieren und ihn mitzumachen - widrigenfalls er halt
ohne UN-Mandat und ohne Mitmacher stattfinde. Es gibt also sehr konkreten Anlass, sich zu fürchten.
(...)
"Friedenspflichten" hieß der Kommentar in der Frankfurter Rundschau zu Weihnachten. Der Autor Stephan Hebel geht mit der US-Politik gründlich ins Gericht. Auszüge:
(...) Naiv, wer hoffen wollte, dass die Protagonisten des Irak-Konflikts die
Feiertage nutzen könnten, um sich des rationalen Kerns ihrer
Auseinandersetzungen zu vergewissern. Dass das von Saddam Hussein nicht zu
erwarten ist, liegt auf der Hand. Er hat, da bedienen sich die Bush-Leute
ja
eines richtigen Arguments, nicht viel mehr zu bieten als dutzendweise
Anlässe, die Befreiung Iraks von diesem Regime zu wünschen und zu
betreiben.
Von der Regierung einer demokratischen Weltmacht aber wäre eigentlich
anderes
zu erwarten, als sich Schritt für Schritt in ein lebensgefährliches Spiel
mit
dem Feuer zu steigern. Genau das tut die Administration in Washington. Was
immer ihre Motive sein mögen - im Ergebnis missbraucht sie die berechtigte
Abscheu vor Saddam Hussein und die Angst vor dem Terror zu einer
irrationalen
Machtprobe. Das begann schon mit der Wahl des Gegners. Dafür, dass der
Terrorismus, der islamisch-fundamentalistisch verbrämte zumal, seinen
Ursprung oder seine Förderer ausgerechnet in Bagdad hätte, gibt es keinen
nachvollziehbaren Beleg. Dass Saddam, dem Washington einst übelste Gräuel
großzügig nachsah, nun zum Symbol alles weltweit Bösen stilisiert wird,
hat
mit US-amerikanischer Interessenpolitik zu tun, mit Öl und strategischem
Kalkül und mit der Person des Präsidenten Bush - aber so gut wie nichts
mit
einer nachvollziehbaren Strategie zur Bekämpfung des Terrorismus.
Krieg ist kein Mittel, den bin Ladens dieser Welt die Waffen aus der Hand
zu
schlagen. Der real existierende Terrorismus, mit dem sich die Welt seit
dem
11. September herumschlägt, speist sich aus Quellen, die ein Krieg gegen
Irak
nicht austrocknen wird. Im Gegenteil. Das gilt auch für andere Fixpunkte
auf
Bushs Achse des Bösen. Etwa das Regime in Nordkorea. US-Bomben auf
Nordkorea,
weil es sein Volk aushungert und ein gefährliches Atomprogramm zum
Faustpfand
im Poker um internationale Unterstützung macht? Die USA wollen Krieg gegen
so
genannte "Schurkenstaaten" zu einer "ganz normalen" Präventiv- oder
Notwehr-Strategie erheben. Die Liste der Regime allerdings, die dann zum
Kriegsziel werden müssten, wäre lang, und sie würde so viele Freunde
Washingtons enthalten, dass ernsthaft niemand eine solche "Strategie" in
die
Realität umsetzen wollte und könnte. Es gibt zu viele gute Gründe, auf
Bomben
zu verzichten und politischer Prävention den Vorzug zu geben:
konfrontative
Politik erzeugt Eskalation, die Gegner werden Faktoren geostrategischer
Instabilität, der Schaden für die Zivilbevölkerung wiegt viel schwerer als
der unsichere politische Gewinn.
(...)
Krieg gegen Irak ist nicht zu rechtfertigen, wenn Öl eine zentrale Rolle
spielt. Und auch nicht, wenn innenpolitische Gründe Bush dazu treiben
sollten, dem Bösen, jenseits seiner realen Gestalt, einen Namen zu geben.
Am
liebsten den jenes Mannes, der "meinen Dad umbringen wollte". Das hat
seine
innere Logik, aber es ist keine, die die Weltgemeinschaft in Washingtons
Gefolgschaft treiben sollte.
Gerhard Schröders Nein, so wahlkampfbedingt es auch war, hatte deshalb
gute
Gründe. Wenig gute Gründe dagegen gibt es dafür, im Dienste einer abstrakt
und schematisch verstandenen Bündnistreue jetzt in die Kriegsbeteiligung
zu
marschieren. Sollte es unrealistisch sein, der Weltmacht Nein zu sagen,
dann
stimmt etwas nicht an den Machtverhältnissen unter "Verbündeten" - und ein
Irak-Krieg wäre dafür ein hoher, zu hoher Preis.
(...)
Hans-Christian Rößler macht sich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 24. Dezember Gedanken über den Krieg hinaus. Selbst für Kriegsbefürworter sind die Aussichten nach einem gewonnenen Krieg nicht gerade gut, stellt er betrübt fest ("Regimewechsel ohne neues Regime. Erwägungen für den 'Tag danach'").
Mit der irakischen Opposition
ist noch kein Staat zu machen. Das zeigte die Konferenz der
Gegner Saddam Husseins vor einer Woche in London. Obwohl
sie um zwei Tage verlängert wurde, kam wenig Konkretes
dabei heraus: Uneinigkeit kennzeichnete das Treffen, das ohne
amerikanische Organisationshilfe nicht zustande gekommen
wäre. Statt einer Exilregierung setzten die Teilnehmer einen
Ausschuß ein, sie stellten klar, daß es Sache der Iraker sei,
einen Regimewechsel herbeizuführen.
(...) Für den "Tag danach" gibt es
zwar hochgesteckte demokratische Ziele. Aber es fehlt die
politische und institutionelle Kraft, die sie verwirklichen soll.
Der "neue Irak" könnte deshalb wieder stark dem alten unter
Saddam Hussein gleichen: Armee und Sicherheitskräfte werden
weiter eine wichtige Rolle spielen - unklar sei nur, ob es
irakische oder ausländische Einheiten sein würden. Diese
Einschätzung äußerten Irak-Kenner bei mehreren Anhörungen
in Washington. Sie beunruhigt eine dann drohende politische
Instabilität, weniger die Gefahr, daß Kurden, Sunniten und
Schiiten politisch getrennte Wege gehen könnten. Die
Oppositionskonferenz in London hat nach Ansicht von
Teilnehmern deutlich gemacht, daß über die staatliche Einheit
längst Einigkeit herrsche. Dazu werde auch der Ölreichtum des
Landes beitragen, an dem alle Bevölkerungsgruppen teilhaben
wollten, hieß es.
(...) Im Irak gibt es nicht einmal eine
Nordallianz wie in Afghanistan, die den Vormarsch auf Bagdad
anführen könnte. Nach Einschätzung von Militärstrategen wäre
eine "Befreiung" des Iraks die kostengünstigere Option, mit
weniger Verlusten als bei einer längeren Besatzung. Einige sind
allerdings im Zweifel darüber, ob diese Art von Regimewechsel
den Irak auch auf Dauer zu einem demokratischen Staat ohne
Massenvernichtungswaffen machen könne. Die Zweifel daran
sind offenbar so groß, daß die Möglichkeit einer längeren
Besetzung des Iraks mit einer Militärregierung ernsthaft
erwogen wird. Auch wenn praktisch die gesamte
Exilopposition das ablehnt, taucht ein solches Szenario, das an
die Erfahrungen Deutschlands und Japans nach dem Zweiten
Weltkrieg erinnert, immer wieder in amerikanischen Berichten
auf. Sogar genauere Kalkulationen gibt es dafür. Bei
Anhörungen vor dem amerikanischen Senat sagten Fachleute,
daß dafür mindestens 75.000 Soldaten für längere Zeit nötig
wären - etwa 118.000 amerikanische Soldaten waren bisher in
Europa stationiert. Auch für die Besatzungskosten liegen
Schätzungen von bis zu vier Milliarden Dollar im Monat vor.
(...)
(...) Glaubt man amerikanischen Medienberichten, dann dürfte eher
ein amerikanischer General der nächste "Herrscher" in Bagdad
sein als ein neuer Mann "mit schwarzem Schnauzbart". Aber
schon bevor eine neue Führung die irakische Hauptstadt
erreicht, könnten die Schwierigkeiten beginnen, über die auch
in Washington diskutiert wird: Saddam Hussein könnte wie
Usama Bin Ladin verschwinden, aber aus dem Verborgenen
heraus weiter versuchen, Einfluß zu nehmen. (...)
Nach Weihnachten war die Süddeutsche Zeitung voll des Lobs über den Papst. Hier habe eine mächtige moralische Stimme das Wort ergriffen. Im Kommentar ("Vatikan contra Weißes Haus") vom 27. Dezember 2002 hieß es u.a.:
(...) Johannes Paul II. mahnt eindringlich zum Frieden, er warnt vor dem Irak-Krieg. Während die Welt vor
dem Hegemon in Washington kuscht und dessen Kriegsankündigungen als Fortentwicklung des
Völkerrechts akzeptiert, bleibt der Vatikan ungebeugt: Vorbeugung, so haben es die Kirchenführer in
den vergangenen Tagen immer wieder gesagt, sei kein Kriegsgrund. Keine andere Autorität
widerspricht Bush so klar wie der Vatikan.
Nun kann Bush wie einst Stalin die Frage stellen: "Wie viele Divisionen hat der Papst?" Aber damit
unterschätzt er dessen moralische Macht. Und Bush unterschätzt auch, worauf sich der überragende
internationale Einfluss der Vereinigten Staaten stützt: nicht nur auf ihre unerreichte Fähigkeit, Kriege
zu führen, sondern auf die Tatsache, dass die Mehrheit der Staaten und die Weltgemeinschaft an die
guten Absichten der USA glaubt. Dieser Glaube gerät ins Wanken. In Deutschland und anderen
europäischen Staaten waren die Predigten der Bischöfe unmissverständlich. Es klang bisweilen, als
sei der Humanist Erasmus von Rotterdam wieder auferstanden, um den Bellizisten sein "dulce bellum
inexpertis" entgegenzuschleudern: Süß ist der Krieg nur den Unerfahrenen.
Dass die Kirche von dieser Materie nichts verstünde, kann man nicht behaupten. Die katholische
Kirche zumal hat in ihrer Geschichte fast alle Fehler gemacht, die Machtpolitik nur machen kann. Sie
redet also mit der Weisheit einer Institution, die weiß, worauf kein Segen ruht.
***
Zuguterletzt noch die Stimme des deutschen Literaturnobelpreisträgers Günter Grass. Er wurde von der Welt am Sonnstag interviewt (29. Dezember 2002) und parierte die Fragen gekonnt. Auszüge:
Günter Grass über George W. Bush:
Ich betrachte diesen Mann als eine Gefahr, eine Bedrohung des
Weltfriedens. Er erinnert mich an eine jener Gestalten in Shakespeares
Historiendramen, deren einziger Ehrgeiz es ist, vor den Vater, den alten,
sterbenden König, zu treten und zu sagen: "Siehe, ich habe deine Aufgabe
vollbracht." Er ist dazu bestimmt, den ersten Golfkrieg einem neuen Höhepunkt
zuzuführen, indem er einen zweiten anzettelt. Bush jr. wird dabei von
privaten, familiären Motiven geleitet; ihn treibt das Erbe seines Vaters.
Auch die wirtschaftlichen Interessen der Bushs spielen eine Rolle. Die
Familie steckt tief im Ölgeschäft drin. Hinter der Forderung nach einem
Irakkrieg stecken vor allem politische und ökonomische Interessen.
Der dritte Grund ist natürlich der Status der USA als einzige allmächtige
Supermacht der Welt. Sie will den Rest der Welt kontrollieren und dirigieren,
aber sie weiß viel zu wenig vom Rest der Welt. Sie weiß fast nichts.
Günter Grass zum Zusammenhang von Neoliberalismus und Terrorismus:
Unmittelbar nach dem schrecklichen Anschlag vom 11. September
habe ich darauf hingewiesen, dass die Gründe dieses Angriffs im Zorn und Hass
der so genannten Dritten Welt auf den Überfluss der Ersten Welt liegen.
Solange wir nicht die Ursachen dieses tief verwurzelten, gerechten Zorns
ausrotten, wird der Terror weitergehen. In den siebziger Jahren lenkte Willy
Brandt unsere Aufmerksamkeit auf die schreckliche Ungleichheit, die die Welt
plagt, diese tiefe Trennungslinie zwischen den Reichen und den Armen. Er
prophezeite, wenn es uns nicht gelänge, eine gerechte, neue Weltordnung zu
errichten, werde es zu Gewaltausbrüchen kommen. Diese Gewalt trifft uns nun
in der Form des Terrorismus. Es gibt darüber hinaus natürlich kulturelle,
regionale, historische Gründe, aber die Hauptursache, die schockierende
Ungleichheit, sollte nicht unterschätzt werden.
Günter Grass über die Verantwortung der reichen Länder des Nordens und des Westens:
Wir in der Welt des Überflusses haben
versagt, weil wir unsere eigenen Interessen auf Kosten anderer geschützt
haben. Diese egoistische Haltung, dieses Geschäft der eigenen Bereicherung,
ist natürlich ein Ergebnis der neoliberalen Theorie und Praxis, die sich
weigert, über den Tellerrand hinauszuschauen. Daraus folgt: Wenn Bush sein
afghanisches Experiment in einem anderen Teil der Welt wiederholt, fördert er
damit eine neue Welle des Terrorismus.
Günter Grass über den Kapitalismus:
Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus blieb der
Kapitalismus ohne Rivalen übrig. In dieser außergewöhnlichen Situation hat er
sich als eine habgierige und vor allem selbstmörderische Kraft erwiesen. Er
glaubt, dass er sich alles und jedes erlauben kann. Was an der Börse jetzt
geschieht, ist nicht mehr und nicht weniger als die Zerstörung von Kapital -
und damit einhergehend die Zerstörung von Beschäftigung, von Arbeitsplätzen
und von menschlichen Ressourcen. Wenn eine Firma ankündigt, sie werde 200
Jobs streichen, steigt ihr Aktienkurs. Das ist Wahnsinn. Die gegenwärtige
Form des marktblinden Kapitalismus hat ihren eigenen Feind, ihren eigenen
Frankenstein hervorgebracht. Dieses System könnte eines Tages kollabieren.
Auszüge des Grass-Interviews aus Welt am Sonntag, 29. Dezember 2002
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