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Pipelines und Gewinne explodieren

Irak hat mittlerweile die am stärksten privatisierte Ölindustrie im Nahen Osten

Von Fabian Köhler *

Zehn Jahre nach Beginn des Irakkrieges gehört das Land wieder zu den größten Ölexporteuren der Welt. Trotz Endes der Besatzung lässt die Regierung internationale Konzerne die Bedingungen bestimmen.

Irak ist nach eigenen Angaben zum zweitgrößten Ölproduzenten in der Organisation Erdöl exportierender Staaten (OPEC) aufgestiegen. Mit 3,2 Millionen Barrel täglich liege Irak vor Iran, erklärte der für Energie zuständige irakische Vize-Regierungschef Hussein al-Schahristani kürzlich mit Verweis auf die Durchschnittszahlen des Monats Juli. Diese Meldung schaffte es weltweit in die Ticker. Eine zweite Meldung über einen Anschlag kurdischer Rebellen auf eine Öl-Pipeline im Norden griff lediglich die kurdische Postille »Firat-News« auf.

Zwei Lesarten des Öl-Booms

Die beiden Nachrichten stehen für zwei unterschiedliche Lesarten des Öl-Booms. Die eine handelt von der höchsten Förderung seit 30 Jahren und von einem 80-Prozent-Anteil an den irakischen Exporten. Die andere Meldung erzählt davon, dass der Ölreichtum des Landes längst nicht bei der Bevölkerung angekommen ist. Fast wöchentlich zündet irgendwo im Land ein Sprengsatz. Im autonomen kurdischen Norden fühlt man sich mit den aufgezwungen Ölverträgen um die Selbstständigkeit betrogen. Im Süden des Landes demonstrieren Arbeiter an den Verladestationen der Ölmetropole Basra wöchentlich gegen niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen. Seit einem Gesetz aus der Zeit Saddam Husseins gelten Streiks im Land als illegal.

Der neuerliche Boom begann im Jahr 2009, als die staatliche Ölgesellschaft Förderverträge mit Konzernen wie BP, Royal Dutch Shell und Exxon Mobil schloss. Bis zu vier Millionen Barrel (à 159 Liter) Öl exportiert Irak an manchen Tagen, zwölf Millionen sollen es bis 2017 werden. Irak wäre dann der größte Ölförderer der Welt. Ca. 300 Milliarden Dollar spülte der Export in die Staatskasse, sagt Ölminister Abdel Karim Al-Luaybi. Die Förderkonzessionen seien die »teuersten und undemokratischsten« der Welt, kritisiert hingegen Greg Muttitt, dessen Londoner Nichtregierungsorganisation »Platform« weltweit Ölindustrien untersucht.

Bis heute gibt es in Irak keine gesetzliche Grundlage, welche die Bedingungen der Ölförderung festlegt. Ein Vorschlag scheiterte im Jahr 2007 und seitdem immer wieder am Widerstand von Parlamentariern. Der US-Kongress hatte als Ziel deklariert, die gesamte irakische Ölindustrie als kommerzielles Unternehmen zu organisieren. Das ist nicht geschehen, stattdessen gibt es dutzende Verträge zwischen den Behörden und privaten Ölgesellschaften. Der Vorteil aus Sicht der Befürworter: Weder können Parlamentarier diese verhindern, noch können Bürger gegen sie klagen. Ein »Schlag gegen die irakische Souveränität«, um den »Interessen ausländischer Konzerne zu dienen«, nennt der Dachverband irakischer Öl-Gewerkschaften dieses System. Und verweist auf einen als geheim deklarierten BP-Vertrag, laut dem der irakische Steuerzahler bei Förderabfällen sinkende Gewinne ausgleichen muss.

Mehr Menschen in Armut als je zuvor

Ein Viertel der Förderung bleibe doch stets in Händen der staatlichen Ölgesellschaft, rechtfertigt sich Minister Al-Luaybi. Er erwähnt freilich nicht, dass Irak die am stärksten privatisierte irakische Ölindustrie im Nahen Osten hat.

Zu dem Anschlag auf die Öl-Pipeline am Montag nahe Kirkuk bekannte sich unterdessen die PKK. Ein Sprecher forderte die »Überführung des Ölreichtums ins Volkseigentum«. Zuletzt geschah dies vor 40 Jahren in Irak. Die Ausbeutung durch ausländische Konzerne führte damals zur Verstaatlichung der Ölindustrie. Bis Ende der 80er verdreifachte sich die Förderung. Irak wurde zur führenden Wirtschaftsnation der arabischen Welt. Heute - so eine Veröffentlichung des US-Kongresses - leben mehr Menschen als je zuvor in Armut.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 17. August 2012


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