"Entwaffnet George W. Bush" - Und ein Interview mit Daniel Ellsberg
Die Mitgliedszeitschrift der IG Metall geht mit der US-Außenpolitik ins Gericht
Im Folgenden dokumentieren wir einen Artikel und ein Interview aus dem Heft 1-2/2003 der Zeitschrift "metall"
Der Truppenaufmarsch ist in vollem Gang. Mehr als 100 000 US-Soldaten sind
bereits in der Golfregion stationiert. Nichts, so scheint es, kann die Bush-Regierung
stoppen. Doch der Widerstand gegen den Irak-Krieg wächst. Auch in den USA.
Lange Zeit sah es so aus, als unterstütze
die US-Bevölkerung nahezu un-eingeschränkt
die Irak-Politik von
George W. Bush. Je schärfer die Töne gegen
das "Schurkenregime" von Saddam Hussein,
desto steiler zeigte die Popularitätskurve
des US-Präsidenten nach oben. Doch ist
die Popularität des Präsidenten von 90 auf
60 Punkte gefallen. Der Widerstand gegen
den drohenden Krieg am Golf wächst. In
den USA und weltweit.
Seit Jahren hat sich die Friedensbewegung
nicht mehr so eindrucksvoll zu Wort gemeldet
wie am 18. Januar. In allen Teilen der Welt
gab es Aktionen gegen die Irak-Politik der
USA. In Russland, Japan und Ägypten, in
Frankreich, Belgien, England, Schweden, Irland,
Italien und Deutschland - überall demonstrierten
die Menschen gegen einen Krieg im Mittleren Osten.
Das deutlichste Signal kam aus den USA:
In San Francisco und Portland (Oregon) protestierten
Hunderttausende gegen die US-Administration.
In Washington zogen mehr
als eine halbe Million Menschen zu einem
Marinestützpunkt südlich des Kapitols. Sie
forderten: "Entwaffnet Bush", "Kein Blut für
Öl" und "Make Peace not War".
Die vom lokalen Fernsehkanal C-Span live
übertragene fünfstündige Veranstaltung
machte die Breite der heutigen Anti-Kriegsbewegung
in den USA deutlich: Mehr als
140 Organisationen sind dem Aufruf von
"ANSWER" gefolgt. Dabei war das Aktionsnetzwerk,
das nach dem 11. September
2001 gegründet wurde, zunächst von den
meisten moderaten linken Organisationen
abgelehnt worden. Inzwischen sind die
Querelen beigelegt. Das gemeinsame Ziel
"Frieden zu schaffen ohne Waffen" ließ politische
Meinungsverschiedenheiten in den Hintergrund treten.
Über 200 Busse aus Minnesota, Tennessee,
Kentucky, Illinois,Vermont und Florida
nahmen Kurs auf Washington - besetzt mit
Schülern und Studenten, Senioren, Müttern
mit Babys, Gewerkschaftern, Nonnen, Rabbis,
Bischöfen, amerikanischen Muslimen,
Lehrern und Kriegsveteranen.
Überrascht registrierten die US-Medien
auch jede Menge "Newcomer",Amerikanerinnen
und Amerikaner, die noch nie in
ihrem Leben an einer Demonstration teilgenommen
hatten. Barbara Beaman, Kindergärtnerin
aus Boston, etwa. Sie sei politisch
nie sonderlich engagiert gewesen, sagt sie.
"Aber dies hier ist etwas anderes. Ein Krieg
im Mittleren Osten - das wird verheerende
Folgen auf den Rest der Welt haben." Sie
kam trotz der scharfen Geschütze, die viele
Medien noch vor wenigen Monaten gegen die neue Friedensbewegung aufgefahren
hatten. "Alte Anti-Vietnam-Chaoten seien
sie, Landesverräter und Extremisten", verkündeten sie.
Auch die 90-jährige Mary Jenkins aus
Falls Church in Virginia ließ sich von dieser
Polemik nicht beeindrucken. Zwar konnte
sie wegen ihres Alters nicht an der Demonstration
teilnehmen.Aber als in ihrem Altenheim
ein Flugblatt von "ANSWER" verteilt
wurde, startete sie sofort eine Unterschriftensammlung.
"Unschuldige Menschen zu
bombardieren - das kann nicht richtig
sein", sagt sie. "Das Geld, das für Bomben
ausgegeben wird, fehlt uns überall, ganz besonders
in den Schulen." Auch Mary Jenkins
zählt zu den Neulingen in der Friedensbewegung.
Sie sei zwar gegen den Vietnamkrieg
gewesen, aber engagieren mochte sie
sich damals nicht. Heute sei das anders.
Präsident Bush weilte an dem Friedenswochenende
in Camp David.Vielleicht weil
sich dort politischer Widerstand leichter ignorieren
lässt. Als aber Saddam Hussein den
Friedensdemonstranten unerbetenen Beifall
spendete, da fühlte sich George W. Bush zum
ersten Mal berufen, die Aktivitäten der Friedensbewegung
zu kommentieren. Der Präsident,
der nur dank einer umstrittenen Auszählung
der Wahlzettel in Florida ins Weiße
Haus einzog, bescheinigte seinen Landsleuten
mangelndes "Demokratieverständnis"
und "Freiheitsbewusstsein".
Dennoch sind die Bush-Kritiker überzeugt:
Wirkungslos seien die Aktionen nicht.
"Das Weiße Haus achte sehr genau auf die
Stimmung in der Bevölkerung", sagt der
Kultur- und Sozialkritiker Todd Gitlin. Deshalb
werde dort sicher registriert, dass der
Protest gegen den Krieg alle Bevölkerungsschichten
und damit auch die Basis der Republikaner
erreicht habe. Zwar befürworte
die Mehrheit noch immer die Irak-Politik der
USA. "Doch die Besorgnis über den Krieg
spiegelt sich nicht unbedingt in Meinungsumfragen
wider", sagt Gitlin.
Auch die Washington
Post, eine große US-Tageszeitung,
setzt sich inzwischen differenzierter
mit der Stimmung
in der Bevölkerung
auseinander. Sie schreibt: "Eine große
Mehrheit befürwortet
laut Meinungsumfragen
einen Angriff auf
den Irak, um Saddam
Hussein zu stürzen.
Aber hinter dieser soliden
Unterstützung sitzt
ein tiefes Gefühl der
Angst. Die Amerikaner fürchten, der Ruf der
USA im Mittleren Osten könne sich weiter
verschlechtern. Sie fürchten neue Vergeltungsschläge."
Bislang zeigt sich die US-Regierung unbeeindruckt.
Der Truppenaufmarsch am
Golf geht weiter. Ob der Bericht der UN-
Waffeninspektoren den Countdown noch
verzögern oder gar stoppen kann, ist fraglich.
Schließlich geht es der Bush-Regierung
nicht nur darum, den Irak zu entwaffnen,
wie es der Sicherheitsrat beschlossen hat. Sie
will vordergründig das Hussein-Regime
stürzen. Tatsächlich geht es ihr um die
Durchsetzung ihrer strategischen Interessen
in der Golfregion. Bedingungslose Unterstützung
für die Kriegspläne bekommt
George W. Bush nur aus England.Tony Blair,
der britische Premierminister, lässt keine Gelegenheit
aus, sich für einen Krieg am Golf
stark zu machen. Doch auch in Großbritannien
wächst die Zahl der Kriegsgegner -
nicht nur in Tony Blairs Labour-Partei.
Barbara Jentzsch
George W. Bush: Popularität in der US-Bevölkerung sinkt
Nachgefragt …
Bei Daniel Ellsberg,
seit dem Vietnamkrieg
in der US-Friedensbewegung
aktiv und prominenter
Kritiker der Politik der
Bush-Regierung
metall: Wie gefährlich ist der Irak unter Saddam
Hussein für die US-Interessen im Mittleren
Osten oder weltweit?
Ellsberg: Bisher ist er keine Gefahr. Das würde
sich ändern, wenn Saddam Hussein von
Umsturz oder Tod durch einen Angriff oder
eine Invasion bedroht ist. Die seit über zehn
Jahren andauernden UN-Sanktionen, begleitet
von der ständigen US-Bereitschaft, ihn
bei Verstößen anzugreifen, haben Saddam
Hussein geschwächt. Ihn als Gefahr Nummer
Eins für die US-Sicherheit zu bezeichnen ist
nicht nur fragwürdig, es ist absurd.
metall: Welche Interessen bestimmen dann
die aktuelle US-Politik gegenüber dem Irak?
Ellsberg: Öl, Öl, Öl. Die US-Ölindustrie hat
gegenwärtig den entscheidenden Einfluss
auf die Politik der Regierung Bush. Es geht
um den Zugang und die Kontrolle der Ölreserven
im Mittleren Osten, im Iran, in Saudi-Arabien
und am Kaspischen Meer. Dabei geht
es nicht nur um billiges Öl für den amerikanischen
Markt und um hohe Profite aus
dem Öl- und Gasgeschäft. Es geht auch um
die Kontrolle des Ölbedarfs von Ländern wie
Deutschland, Japan oder China. Mit der
Kontrolle der Ölreserven hätte die US-Regierung ein Druckmittel, das sie wirtschaftlich
oder diplomatisch gegen diese Länder einsetzen könnte.
metall: Können Sie etwas über die US-Militärstrategie
für den Irak-Krieg sagen?
Ellsberg: Darüber ist wenig bekannt. Es
könnte sein, dass Saddam Hussein von US-Truppen
oder seinen Offizieren umgebracht
wird und seine Republikanische Garde sowie
die regulären Truppen aufgeben. Ein langer
Krieg und ein blutiger Häuserkampf in Bagdad
mit vielen Opfern würde so vermieden,
unsere Invasionstruppen blieben von Anschlägen
verschont. Es scheint so, als würden
die Falken der US-Regierung, die keine
unmittelbare Kriegserfahrung haben, mit
solch einem schnellen Erfolg rechnen. Den
halte ich aber für wenig wahrscheinlich. <
Aus: metall, 1-2/2003
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