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"Letzte Chance" für Maliki

Irakische Abgeordnete fordern Umsetzung von Reformen. Landesweite Proteste angekündigt

Von Karin Leukefeld *

Der populäre irakische Prediger Muktada Sadr hat Ministerpräsident Nuri Al-Maliki »eine letzte Chance« eingeräumt, um lang versprochene Reformen für die Bevölkerung endlich umzusetzen. Sollte das nicht geschehen, werde seine Bewegung zu Massendemonstrationen aufrufen. Sadr erinnerte daran, daß Maliki bereits im Februar – als bei wöchentlichen Protestzügen jeden Freitag Tausende bessere Lebensbedingungen forderten – versprochen hatte, alle verfügbaren Ressourcen und Energien für die Umsetzung der Forderungen einzusetzen.

Maliki verzichtete öffentlichkeitswirksam sogar auf den Kauf von US-Kampfjets, weil die Menschen nun erst einmal Arbeit, Wohnung, Strom und Zugang zu sauberem Wasser bräuchten, wie er damals einräumte. Sadr hatte im Februar erheblich zur Beruhigung der Lage beigetragen, als er die Bevölkerung aufrief, Maliki sechs Monate zu geben, um seine Versprechen einzulösen. Daran erinnerte nun Sadr in einer Stellungnahme, die am Wochenende von dessen Büro in Najaf veröffentlicht worden war. Wie lange die neue Frist, die Maliki eingeräumt wird, dauern soll, wurde nicht gesagt.

Alle Iraker hätten das Recht, am Ölreichtum des Landes teilzuhaben, heißt es in der Stellungnahme von Sadr. Die Regierung müsse landesweit 50000 neue Jobs schaffen und die Bevölkerung mit Strom und Heizöl versorgen. Wenige Tage zuvor hatte Sadr bereits angedeutet, einen Mißtrauensantrag gegen die Regierung im Parlament einzubringen.

Die Sadr-Bewegung stellt 40 von 325 Abgeordneten im irakischen Parlament und sechs Minister in der Regierung Maliki. Sollte Sadr einen Mißtrauensantrag stellen, würde man diesen unterstützen, erklärte am Wochenende ein Abgeordneter der Al-Irakia-Liste gegenüber dem irakischen Nachrichtensender As Sumaria. Insgesamt gebe es parteiübergreifend 180 Abgeordnete, die einen entsprechenden Antrag unterstützen würden. Selbst wenn die Parteiführer anderer Meinung seien, wären diese Abgeordneten bereit, »die Ikonen an der Spitze der irakischen Politik vom Sockel zu stoßen, die das Land erstickten und verhinderten, daß auch in das Leben der Iraker Licht und Freiheit einkehre«.

Nichtregierungsorganisationen rufen bereits für den kommenden Freitag zu landesweiten Großdemonstrationen auf, um den Rücktritt der Regierung Maliki zu fordern. In allen größeren Städten Iraks sind Proteste geplant, in Bagdad sollen sich die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz versammeln.

In irakischen Medien wird die Unfähigkeit der Regierung immer offener angegriffen. In der englischen Ausgabe der Tageszeitung Azzaman hieß es kürzlich in einem Kommentar über die Unfähigkeit der Regierung, Anschläge während des Fastenmonats Ramadan zu verhindern: »Irak braucht keine ausländischen Feinde, die das Land in Stücke reißen. Es wird bereits aus dem Innern heraus in Stücke gerissen und zugrunde gerichtet. Innere Feinde erledigen den Job für ihre Auftraggeber im Ausland.«

Nach Angaben des Parlamentsausschusses für Sicherheit und Verteidigung wird derzeit eine Untersuchung über die Hinrichtung von zehn Personen einer Familie in der nördlich von Bagdad gelegenen Stadt Balad durch US-Soldaten im Jahr 2006 vorbereitet. Interne Botschaftskorrespondenzen, die jetzt über Wikileaks bekannt wurden, enthüllten, daß die vier Frauen, fünf Kinder sowie eine weitere Person von US-Soldaten gezielt getötet worden waren. Anschließend habe die US-Luftwaffe das Haus bombardiert, um das Massaker zu vertuschen. Die Information war einem UNO-Bericht zu entnehmen, der an die US-Regierung gerichtet war.

* Aus: junge Welt, 7. September 2011


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