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Krieg den Hütten

Die Aggression der US-Amerikaner im Irak richtet sich in erster Linie gegen die einfache Bevölkerung

Von Karin Leukefeld *

Ahmed, ein junger Iraker (Name geändert), ist schockiert. Sein Leben lang lebte er mit seinem Bruder und den Eltern in ihrem Haus in Südbagdad. Als er Ende der 1990er Jahre heiratete, zog seine Frau mit ein, ihr Sohn wurde dort geboren. Auch die Frau des Bruders und ihr Neugeborenes lebten dort, die Beziehungen zu den Nachbarn waren gut. »Unser Haus ist sehr schön, nicht nur wegen der Art, wie es gebaut ist, sondern es ist das Heim unserer Hoffnungen, Wünsche, Emotionen. Es ist der Platz für unsere Familie, den meine Eltern bauten, in dem wir Kinder einen sicheren Hafen haben sollten, in dem wir alles miteinander teilten.«

Mit dem »neuen Irak«, der »demokratisch und frei« sein sollte, kam das Unglück über die Familie. Nachdem der Bruder des Vaters und dessen Sohn bei einem Anschlag ums Leben kamen und andere nahe Verwandte diesem Schicksal nur knapp entrinnen konnten, beschloß die Familie, ihr Haus in Südbagdad zu verlassen. Sie machten sich auf den Weg in ein Mietshaus im Norden der Stadt. Nichts konnten sie mitnehmen, in ihrem alten Viertel trieben Milizen ihr Unwesen, beobachtet von den Koalitionsstreitkräften, berichtet Ahmed. »Genauer gesagt, unterstützen sie die Milizen, indem sie nichts gegen sie unternehmen.« Obwohl ihr Leben unsicher blieb und täglich teurer wurde, träumte die Familie davon, eines Tages nach Südbagdad zurückzukehren. Doch es kam anders.

Ende Oktober erhielt der Vater einen Anruf von seinem Nachbarn in Südbagdad und erfuhr, daß »jemand« an seinem Haus Sprengsätze angebracht habe. Der Vater und Ahmeds Bruder machten sich umgehend auf den gefährlichen Weg in den Südosten. Als sie ankamen, hatten US-Truppen das Haus umstellt. Sie mußten mitansehen, wie ein Humvee, ein US-Militärfahrzeug, die Eingangstür zerstörte und in das Gebäude eindrang. Kurz nachdem das Fahrzeug das Haus wieder verlassen hatte, explodierten die Sprengsätze.

Ahmeds Bericht beschreibt keinen Einzelfall. Immer öfter erfährt man von Irakern, die noch in Bagdad leben, daß leerstehende Häuser ihrer Nachbarn, die nach Jordanien, Syrien oder in den kurdischen Norden des Landes geflohen sind, von US-Soldaten durchsucht und beschädigt, nicht selten gesprengt werden. Die Begründung der Besatzungstruppen: Es bestehe Gefahr, daß Widerstandsgruppen sich dort einnisten könnten. Ahmed hat eine andere Erklärung. »Wenn sie in einem Viertel das Haus einer Familie zerstören – oder vor der Zerstörung nicht bewahren – hat das nur ein Ziel: Die Iraker sollen wissen, daß ihr Leben nie wieder stabil und sicher sein wird und sie deswegen die amerikanischen Truppen auch in Zukunft bräuchten.«

* Aus: junge Welt, 15. November 2007


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