Iraks Nachbarn in Angst
Druck der USA auf arabische Welt nimmt zu
Den folgenden Bericht über die Kriegsvorbereitungen der USA im Nahen Osten schrieb die Bonner Journalistin Karin Leukefeld während eines Irak-Aufenthalts Ende Dezember 2002. Er erschien in zwei Teilen in der Tageszeitung "junge Welt" und wird von uns geringfügig gekürzt dokumentiert.
Von Karin Leukefeld, z.Zt. Bagdad
Mitte Dezember unterzeichnete der Außenminister des kleinen Scheichtums
Katar, Scheich Hamad bin Jassim bin Jabr Al Thani, mit US-Verteidi-
gungsminister Donald Rumsfeld ein Abkommen, das formal absegnet, was
seit dem Golfkrieg von 1991 bereits Praxis war: Die USA können ihre
Militärbasen in Katar jetzt offiziell nutzen. Seit 1991 war die Präsenz
von US-Soldaten in dem »Däumling am Persischen Golf« kontinuierlich
ausgebaut worden. Auf der größten der insgesamt drei Militärbasen,
Al Udeid, sind heute 3000 US-Soldaten stationiert. Vor wenigen Tagen
schloß das US-Zentralkommando (CentCom) aus Tampa (Florida) in Katar
ihr erstes virtuelles Manöver ab, bei dem ein möglicher Angriff auf
den Irak geübt wurde.
Seit sich mit dem 11. September 2001 die Beziehungen zu Saudi-Arabien,
dem bisher zuverlässigen US-Partner in der Region, abgekühlt haben,
wurde Al Udeid zügig ausgebaut. Heute hat die Militärbasis die längste
Start- und Landebahn in der Region (5000 Meter) und kann damit auch
von schweren Transport- und Nachschubflugzeugen angeflogen werden.
Hartnäckig halten sich Gerüchte, wonach CentCom von Tampa ganz nach
Katar verlegt werden soll. Mit der Unterzeichnung des bilateralen
Abkommens wird auch das möglich sein.
Außenminister Scheich Hamad bin Jassim äußerte sich gegenüber CNN
zurückhaltend. Katar lehne einen Militärschlag der USA gegen den
Irak ab, so der Scheich, doch sei das kein Widerspruch zu einer
militärischen Zusammenarbeit mit Washington. Diese sei von »größtem
Interesse« für sein Land. »Die Amerikaner wollen etwas von uns,
und wir wollen etwas von ihnen«, so Scheich Hamad. Der Al-Thani-Clan,
dem auch Scheich Hamad entstammt, bestimmt seit drei Generationen
die politischen Geschicke Katars. Die knapp 500.000 Einwohner des
kleinen Landes sind mehrheitlich ausländische Gastarbeiter. Katar
lebt vor allem von seinen Erdölexporten und ist in den letzten Jahren
auch durch den Sitz von Al Dschasira, dem prominenten arabischen
Satellitenfernsehen, bekannt geworden.
Auch in der Türkei möchten die USA ihre Truppenpräsenz ausweiten. Das
zumindest berichtete die Tageszeitung Hürriyet nach dem Besuch des
stellvertretenden US-Verteidigungsministers Paul Wolfowitz Mitte
Dezember. Hürriyet ist bekannt für seine guten Kontakte in die Spitzen
des türkischen Militärs. Derzeit können US-Kampfflugzeuge von der
Militärbasis Incirlik (Adana) im Südosten der Türkei täglich zu ihren
Flügen über die nördliche »Flugverbotszone« im Nordirak starten. Auf
Incirlik sind derzeit 50 Kampfjets stationiert. Hürriyet will schon
erfahren haben, daß bis zu 90.000 US-Soldaten angeblich im Südosten
der Türkei stationiert werden sollen. Auch wenn das möglicherweise
dem Wunsch der USA entsprechen sollte, scheinen solche Meldungen von
der Realität noch entfernt. Eine starke US-Truppenpräsenz im Südosten
der Türkei soll wahrscheinlich verhindern, daß türkische Truppen den
kurdischen Nordirak einschließlich der Ölfelder von Kirkuk besetzen.
Die Türkei hat große Sorge, daß die nordirakischen Kurden mögliche
Kriegswirren nutzen werden, um ein unabhängiges Kurdistan im Nordirak
auszurufen. Vorsichtshalber hat die türkische Armee die Truppenpräsenz
bereits auf 40.000 Soldaten entlang der irakisch-türkischen Grenze
verstärkt.
Die neue türkische Regierung wird von den USA hart bedrängt. Washington
will konkrete Zusagen für den Fall eines Irak-Krieges. Der Zugang zu
türkischen Militärbasen für US-Soldaten könnte »einen Krieg verhindern
helfen«, argumentierte George W. Bush gegenüber dem AKP-Vorsitzenden
Recep Tayyip Erdogan bei dessen Besuch vor zwei Wochen in Washington.
Je mehr militärische Kraft gezeigt werde, desto wahrscheinlicher sei,
daß der Irak abrüsten werde, so die Logik des US-Präsidenten. (...)
Der syrische Präsident Bashar Al Assad schrieb derweil mit seinem
Besuch in Großbritannien in der vergangenen Woche ein neues Kapitel
britisch-syrischer Geschichte. Man wolle die bilaterale Zusammenarbeit
im Bereich der privaten Bankwirtschaft und der technologischen
Entwicklung ausbauen, so Al Assad in einem Interview mit der britischen
Zeitung The Times. Zur Absicht der USA, einen Regimewechsel im Irak
herbeizuführen, sagte Al Assad, die Völker könnten selbst Veränderungen
in der Region bewirken, eine Einmischung von außen werde die Probleme
nur vergrößern. Ein Krieg werde jegliche wirtschaftliche Entwicklungen
in der Region stoppen. Die überraschende Zustimmung seines Landes zur
UN-Resolution 1441 im Sicherheitsrat begründete Al Assad damit, daß
Syrien als nichtständiges Mitglied kein Vetorecht habe. Und immerhin
habe die Resolution einen US-Militärschlag gegen Irak zunächst ver-
schoben. Mit Tony Blair sprach er vor allem über die Möglichkeit, wie
ein Krieg verhindert werden könne.
Auch in der iranischen Hauptstadt Teheran ist die Sorge über einen
eventuellen US-Angriff auf den Irak groß. Gegenüber dem stellvertre-
tenden italienischen Außenminister Alfredo Mantika sagte der Vertreter
des Hohen Rates für nationale Sicherheit (SNSC), Hassan Rowhani,
Mitte des Monats, die USA wollten ihre Dominanz über das Öl der Region
ausdehnen. Auch Rowhani betonte, es sei »Sache des irakischen Volkes,
über sein Schicksal und das System seiner Regierung zu entscheiden«.
Er hoffe, daß die Europäische Union eine aktive Rolle einnehmen werde,
um den Ausbruch eines neuen Krieges im Mittleren Osten zu verhindern.
Das Klima zwischen den früheren Kriegsgegnern Iran und Irak hat sich
in den vergangenen Monaten etwas entspannt. Ein Zeichen dafür ist die
Einigung beider Regierungen über die Öffnung eines direkten iranisch-
irakischen Grenzüberganges bei Khusravi/Monhariya, nordöstlich von
Bagdad. Unter der Kontrolle der Vereinten Nationen sollen hier voraus-
sichtlich ab Februar 2003 Güter im Rahmen des UN-Programms »Öl für
Nahrungsmittel« in den Irak transportiert werden, hieß es in einer
UN-Erklärung. Damit wird es neben jeweils einem Grenzübergang aus
der Türkei, Syrien, Jordanien, Saudi-Arabien und Kuwait künftig eine
sechste UN-kontrollierte Passierstelle in den Irak geben.
Annäherung nicht erwünscht
(...) Die Entschuldigung des irakischen Präsidenten Saddam Hussein für den
Einmarsch in Kuwait, Anfang Dezember im Fernsehen verlesen, wurde von
der dortigen politischen Führung zurückgewiesen. Hussein hatte deutlich
Kritik an der Kooperation der Regierung Kuwaits mit den USA geübt. Nur
wenige Tage später präsentierte das Golfemirat ein Geheimdienstpapier,
aus dem hervorgehen soll, daß der irakische Präsident angeordnet habe,
eine Untergrundtruppe gegen Kuwait einzusetzen. Diese solle Angriffe
auf die Infrastruktur und amerikanische Streitkräfte ausführen. Das
Oberkommando hätten ein irakischer Geheimdienstoffizier sowie ein
persönlicher Leibwächter von Saddam Hussein. Offiziell lehnt Kuwait
zwar einen Krieg gegen den Irak ab, bedankt sich gleichzeitig aber
artig für jede US-amerikanische »Unterstützung«. Auch dem deutschen
Verteidigungsminister Peter Struck wurde für die stationierten ABC-
Spürpanzer, die übrigens im Manöver der US-Truppen gleich mit getestet
wurden, gedankt.
Noch auf dem Gipfel der Arabischen Liga in Beirut im vergangenen
März hatten sich Kuwait und Irak einander angenähert. Bagdad hatte
die Grenze und staatliche Souveränität Kuwaits ausdrücklich anerkannt
und sich bereit erklärt, das kuwaitische Nationalarchiv zurückzugeben.
Das geschah in großem Umfang unter Aufsicht der UN bereits Ende
Oktober. Über die Rückgabe des restlichen Materials wurde nach Aus-
kunft der UN eine Einigung erzielt. Ungeklärt zwischen Kuwait und Irak
ist der Verbleib von 605 kuwaitischen Kriegsgefangenen. Im Zuge der
Generalamnestie am 20. Oktober wurden zwar viele Häftlinge aus den
Nachbarländern Iraks freigelassen, Kuwaitis allerdings befanden sich
nicht darunter. Der irakische Außenminister Naji Sabri hat nun den
UN-Sonderbeauftragten, Juri Worontzow, zu Gesprächen über die Vermißten
nach Bagdad eingeladen. Am 8. Januar sollen in Jordanien Gespräche
zwischen kuwaitischen und irakischen Vertretern stattfinden. Dies
berichtete die jordanische Nachrichtenagentur Petra am Sonntag. Über
die Entschädigungskommission der Vereinten Nationen wurde seit 1996
vom Irak eine Summe von 550 Millionen US-Dollar an Kuwait und andere
Geschädigte gezahlt. 25 Prozent der Einnahmen aus dem Ölverkauf im
Rahmen des UN-Programms fließen direkt in diesen Fonds.
Ungeachtet der Fortschritte, die die Vereinten Nationen mit dem Irak
aufweisen können, trommelt die US-Administration ihre Truppen in der
Region zusammen und zeigt, welche Mittel sie jenseits eines blutigen
Kampfes noch einzusetzen bereit ist, um ein Regime, das ihr nicht
paßt, zu stürzen. Psychologische Kriegführung gehört dazu, wie Radio-
sendungen, die von US-Truppen seit neuestem in den Südirak hinein
ausgestrahlt werden. Ein Sender mit gleichem Auftrag, »Radio Free
Iraq« mit Sitz in Prag, sendet in den Norden des Irak hinein.
Wirtschaftliche und militärische Abhängigkeiten von den USA führen
dazu, daß die meisten arabischen Regimes dem Druck aus Washington
nachgeben. In vielen Staaten stehen die US-freundlichen Regimes
innenpolitisch unter Druck und reagieren mit verstärkter Repression.
In Jordanien hat sich die Kritik an König und Regierung durch die
aktuelle Irak-Krise weiter verschärft. Anfang November kam es zu
Unruhen in der Stadt Maan im Süden des Landes, wo traditionell
die Beduinenstämme sehr stark sind. Unter dem Vorwand, einen
»Terroristen« zu suchen, war die jordanische Armee massiv gegen
den kleinen Ort vorgegangen, sogar Kampfhubschrauber wurden ein-
gesetzt. Die empörte Bevölkerung wehrte sich, es gab Tote und
Verwundete, viele Menschen wurden festgenommen. Das Vorgehen der
jordanischen Armee wurde von Parteien, Gewerkschaften und unab-
hängigen Politikern scharf kritisiert. Sie forderten eine Unter-
suchung, die Freilassung der noch Inhaftierten, den Rückzug des
Militärs und eine Entschädigung.
Doch auch in anderen arabischen Staaten gärt es. In Tunesien ver-
hinderte kürzlich die Regierung mit einem massiven Polizeiaufgebot
eine geplante Antikriegsdemonstration in der Hauptstadt Tunis.
Sprecher von elf oppositionellen Parteien und Nichtregierungs-
organisationen teilten mit, das Innenministerium habe die Organi-
satoren schriftlich von dem Verbot der Demonstration informiert.
Algerien erhielt von den USA vor kurzem im Rahmen des »Antiterror-
krieges« umfangreiche Militärhilfe.
Die US-Politik jenseits des Ausbaus ihrer Militärbasen im Mittleren
Osten erläuterte vor wenigen Tagen US-Außenminister Colin Powell
vor der Heritage-Stiftung in Washington. Die »Initiative für eine
Partnerschaft mit dem Mittleren Osten« soll mit einer Summe von 25
Millionen US-Dollar für Entwicklungs- und Reformprojekte den Aufbau
einer zivilen Gesellschaft in der arabischen Welt fördern. Mit dem
bescheidenen Fonds sollen arabische Frauen gefördert und Jugendliche
im Umgang mit Internet und Computer geschult werden. Das »Partner-
schaftsprogramm« aus Washington umreißt eher die US-amerikanischen
Interessen in der Region als die arabischen. Privatisierung soll
vorangetrieben werden, um eine wirtschaftliche Umstrukturierung
einzuleiten und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Frauen und die Ent-
wicklung einer Zivilgesellschaft in Form von Nichtregierungsorgani-
sationen seien dafür ebenso notwendig wie die Stärkung der Recht-
sprechung, sagte Colin Powell.
Der ägyptische Außenminister Ahmed Maher gehörte zu den ersten, die
die »Partnerschaftspläne« der USA in einer Stellungnahme zurückwiesen.
Sie träfen nicht den Kern der Probleme im Mittleren Osten, so Maher.
Frieden und Sicherheit für die Völker der Region, eine umfassende
und gerechte Lösung könne es nur geben, wenn sich Israel aus allen
besetzten arabischen Gebieten in die Grenzen von 1967 zurückziehen
würde.
Aus: junge welt, 23. und 24. Dezember 2002
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