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Jawad al-Maliki soll neue Regierung im Irak bilden

Exiliraker in Jordanien reagieren zurückhaltend - Gewalt ungebrochen

Von Karin Leukefeld, Amman

König Abdullah II von Jordanien hatte persönlich eingeladen: eine Irakisch-Islamische Versöhnungskonferenz sollte am vergangenen Wochenende in Amman rund 200 angesehene Religions- und Stammesführer aus dem Irak zusammenbringen. Auch der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mousa, hatte sein Kommen zugesagt. Am Aal al-Bayt Institut für Islamisches Denken sollten die eingeladenen Gäste einen “wichtigen Schritt unternehmen, um die Gewalt im Irak einzudämmen”, hieß es in der Einladung. Eine vorbereitete Abschlußerklärung sollte fest halten, “dass es für den Kampf zwischen Schiiten und Sunniten nach der (islamischen) Rechtsauslegung keine Basis gibt.” König Abdullah II wollte, als Mitglied des haschemitischen Königshauses, dessen Familie beansprucht, in der 43. Generation direkt vom Propheten Mohammad abzustammen, ein deutliches Zeichen für ein harmonisches Zusammenleben der Muslime setzen, so die Ankündigung. Doch auch wenn sich das jordanische Königshaus “einzigartiger sozialer, stammesmäßiger, wirtschaftlicher und historischer Verbindungen zum Irak” rühmt, folgen die Entwicklungen im Nachbarland einem anderen Rhythmus.

Nur wenige Stunden vor Beginn der Konferenz, sorgte ein Anruf des ehemaligen und inzwischen neu gewählten irakischen Präsidenten, Dschelal Talabani, beim jordanischen König dafür, dass die Konferenz kurzerhand abgesagt wurde. Konferenzsprecher Dr. Abdel-Salam Abbadi blieb nichts übrig, als in einer kurzen Erklärung mitzuteilen, die irakischen Führer seien so sehr in die Regierungsverhandlungen eingebunden, dass sie leider nicht kommen könnten. Außerdem sei nun, nach zweimaliger Verschiebung, für den gleichen Tag eine Parlamentssitzung in Bagdad vorgesehen, bei der bahnbrechende Entwicklungen erwartet würden.

Ob es wirklich ein Durchbruch sein wird, bleibt noch abzuwarten. Allerdings scheint es, dass der Stillstand bei der Bildung einer Regierung der nationalen Einheit im Irak, zumindest vorerst überwunden ist. Doch weniger die Arabische Liga oder das jordanische Königshaus hatten den designierten Ministerpräsidenten Ibrahim al-Dschaafari im Streit um die Besetzung dieses Postens in einer neuen Regierung zum Nachgeben gezwungen, als vielmehr anhaltender Druck seitens der US- und britischen Administrationen, unterstützt von Kurden, sunnitischen und säkularen Organisationen im Irak. Zuletzt hat hinter den Kulissen wohl auch Großayatollah Ali Al-Sistani Einfluß genommen, sein Sprecher hatte schon vor einigen Tagen die Politiker aufgefordert, den Stillstand endlich zu überwinden. Der erste Schritt war getan, nachdem auf Wunsch Dschaafaris die schiitischen Abgeordneten in einer Krisensitzung anstelle von Dschaafari seinen Berater Jawad al-Maliki zum neuen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten gewählt hatten. Dann ging alles sehr schnell. Die am folgenden Tag einberufene Parlamentssitzung stimmte den von Talabani vorgelegten Personalvorschlägen zu und beauftragten al-Maliki mit der Regierungsbildung, Talabani selber zum neuen Präsidenten und Machmud al-Maschadani von der sunnitisch-islamischen Irakischen Einheitsfront zum Parlamentssprecher. Mehr als vier Monate hatte der Streit um die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit gedauert. Al-Maliki hat für die Aufgabe laut Verfassung weitere vier Wochen Zeit.

Der heute 56jährige Jawad al Maliki wurde, ebenso wie Ibrahim al-Dschaafari, unter seinem politischen Codenamen bekannt. Im bürgerlichen Leben heißt er Nuri Kamil Muhammad Hasan Abu-al-Mahasin und wurde in Hilla geboren. Er studierte Islamkunde und arabische Literatur in Bagdad. Der Vater von vier Kindern gehört zu den ältesten Kadern der Irakischen Dawa Partei, die nach der Machtübernahme von Saddam Hussein anfing, gegen das Regime den bewaffneten Kampf aufnahm. 1980 verließ Maliki mit vielen anderen schiitischen Politikern und Geistlichen den Irak und floh zunächst in den Iran, ging aber bald nach Syrien, wo er das Parteibüro in Damaskus leitete. 2003 kehrte er nach Bagdad zurück und organisierte den Wiederaufstieg der Partei, die im Irak über mehr Anhänger verfügt, als der im Iran aufgebaute Hohe Rat für eine Islamische Revolution im Irak (SCIRI). Als Sprecher und engster Berater von Ibrahim al-Dschaafari gilt Maliki als der zweitstärkste Mann in der Partei. Er war an der Ausarbeitung der neuen Verfassung beteiligt und aktiv im Komitee für die Entbaathifizierung. Die Arbeit dieses Komitees ist sehr umstritten, weil Hunderttausende Iraker infolge ihrer Zugehörigkeit zur früheren Baath Partei seit 2003 ihre Arbeit und damit Existenzgrundlage verloren haben. Maliki, dem politisches Auftreten bedeutend leichter fällt, als dem bedächtigen Dschaafari, gilt als scharfer Kritiker sowohl der gezielten Angriffe auf Schiiten, als auch der US-geführten Angriffe auf den irakischen patriotischen Widerstand. Als enger Berater von Dschaafari unterschiedet sich Maliki nur wenig von dessen Positionen. Warum der eine so vehement abbgelehnt und der andere nun plötzlich akzeptiert werde, beantwortete ein Korrespondent scherzhaft mit der Feststellung: „Weil Maliki nicht Dschaafari ist.“ Ijad al-Samarayi von der Irakisch-Islamischen Partei gab zu, dass es zwischen den beiden Kandidaten kaum ideologische Unterschiede gäbe, man habe aber den Eindruck, Al-Maliki sei praktischer veranlagt als Dschaafari und eher bereit Probleme auch wirklich zu lösen. „Wir wollen den Prozess nicht noch komplizierter machen, es ist besser, wenn wir nach vorne sehen.“

In einem Interview vor dem Krieg 2003 wurde Maliki gefragt, welche Gesellschaftsform er sich für den Irak wünsche. Er wolle einen pluralistischen Staat, in dem sich die ethnischen und religiösen Gruppen gegenseitig anerkennen, sagte Al-Maliki. Eine Antwort, die auch von Dschaafari hätte sein können.Die Frage nach ausländischen Investitionen bejahte Maliki mit der Begründung, es werde die irakische Wirtschaft stärken. Andererseits werde man in strategisch sensiblen Bereichen, wie dem Ölsektor und beim Bau von Flughäfen, keine ausländischen Investoren akzeptieren. Man wolle die Zukunft Iraks aus politischen oder sicherheitsrelevanten Gründen nicht an ausländische Investoren verpfänden.

Die konkreten Aufgaben, die Al-Maliki in den nächsten vier Jahren zu meistern hat, sind die gleichen, an denen schon seine Vorgänger Dschaafari und Allawi gescheitert sind: die Gewalt im Land einzudämmen und es aus der wirtschaftlichen Krise zu führen.

Im Exil lebende Iraker in Amman kommentieren die neuen Entwicklungen in ihrer Heimat zurückhaltend. Den Politikern in Bagdad werfen sie vor, sich schamlos mit ihren hohen Gehältern an der anhaltenden Krise finanziell zu bereichern, die Alltagsrealität ihrer Landsleute würden sie nicht wirklich kennen. Mindestens 12 Jahre werde es dauern, bis neue, vertrauenswürdige Politiker das Land regieren könnten, so Jagdan C., ein in Deutschland ausgebildete Bierspezialist, der in Amman an der Herstellung von alkoholfreiem Bier arbeitet.. „Wir brauchen mindestens drei Regierungen, bevor es besser wird.“

Irakische Zeitungen äußerten sich, je nach Zugehörigkeit zu einem der politischen Lager, zustimmend oder ablehnend über die Ernennung von Al-Maliki. Während die einen die Vergabe von Regierungsämtern nach religiösen und ethnischen Kriterien scharf kritisierten, äußerten sich andere lobend zu der Entscheidung des irakischen Parlaments.

US-Präsident Bush begrüßte die Ernennung der neuen Politiker im Irak als „historische Leistung entschlossener Iraker“. Damit sei eine neue Phase in der strategischen Partnerschaft zwischen den USA und Irak im Kampf gegen den Terror eingeleitet, die auch Amerika sicherer machen werde. Zuvor hatte bereits Außenministerin Condoleezza Rice bezeichnete die Wahl Malikis als einen „bedeutenden Meilenstein“ Al Maliki sei ein irakischer Patriot, mit dem man zusammenarbeiten könne.

Weder bei der US-Administration noch bei den irakischen Politikern fand der fällige Abzug der ausländischen Besatzungstruppen aus dem Irak Erwähnung. Schweigen auch über Tausende unrechtmäßig gefangen gehaltener Iraker, auf die gerade die Vereinten Nationen in einer Presseerklärung aufmerksam gemacht haben. Auch die mehr als 20.000 entführten Iraker seit Jahresbeginn 2006 schafften es ebenso wenig in die Schlagzeilen der internationalen Medien, wie die inzwischen mehr als 1,3 Millionen Inlandsvertriebenen im Irak.

Am Tag nach der Parlamentsentscheidung kam es erneut zu Angriffen auf Regierungseinrichtungen in Bagdad. Das Verteidigungsministerium, nahe der „Grünen Zone“ gelegen, wurde von einer Mörsergranate getroffen, 6 Menschen starben. In der Provinz An Anbar kamen 3 US-Soldaten bei Angriffen ums Leben, ebenso ein australischer Soldat. Wieder wurden in Bagdad zahlreiche unbekannte Leichen gefunden. Alle waren mit gezielten Kopfschüssen getötet worden, was auf eine gezielte Hinrichtung hinweist. Taten dieser Art werden Todesschwadronen zugerechnet, die unbestätigten Berichten zufolge aus Mitgliedern der schiitischen Badr Brigaden bestehen, der rund 10.000 Mann starken im Iran ausgebildeten SCIRI-Miliz

23. April 2006


Die Macht der Milizen

Kommentar von Karl Grobe*

Das irakische Parlament hat nach langen Mühen einen neuen Regierungschef gefunden. Dschawar al-Maliki gilt als Pragmatiker. Er ist ein Parteifreund des bisherigen Übergangspremiers Ibrahim al-Dschaafari, den zuletzt niemand mehr unterstützte. Maliki ist nicht nur für den schiitischen Block wählbar, er wird auch von den sunnitischen und kurdischen Parteien nicht abgelehnt und kann sich zudem auf eine Oppositions- und Widerstandsarbeit berufen, die den meisten Mandatsträgern untadelig erscheinen muss: Im irakischen Exil gehörte er nach 1981 zu der Richtung, die sich einer Unterstützung der iranischen Armee im Sieben-Jahre-Krieg widersetzte.
Man könnte Maliki also für den besten starken Mann halten, auf den das Parlament sich einigen konnte. Wählbar wurde er aber vor allem durch seine Schwäche: Im Gegensatz zu den anderen großen Machtorganisationen, die sich Parteien nennen, hat die von ihm vertretene ad-Dawa keine nennenswerte eigene Miliz. Den Ausschlag für ihn dürfte eine andere Miliz gegeben haben, die ihrerseits keine eigene richtige Partei hat - die Mahdi-Armee des Bagdader Radikalenführers Muktada as-Sadr.
Deren Abgeordnete sind ein entscheidender Machtfaktor geworden. Sie vertreten die proletarisierten und die ins Unterproletariat abgestürzten Bewohner von Sadr City. Sie gewinnen überall dort, wo die Armut im ohnehin armen schiitischen Süden unerträglich wird. Sie haben ihre Unabhängigkeit von der Förderermacht des anderen ehemaligen Exils, Iran, hinlänglich beweisen.
Die Macht der Milizen hat Maliki sofort anerkannt. Er schlägt vor, sie in die Armee zu integrieren. Das ist krisenträchtig. Wenn bisherige Todesschwadrone schiitischer Richtung gemeinsam mit den sunnitischen oder auch kurdischen Milizen vergleichbarer Art als gemeinsame Armee legalisiert werden, dann verkörpert diese Armee in sich den Bürgerkrieg.

* Aus: Frankfurter Rundschau, 24. April 2006 (Kommentar Seite 3)


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