Der Druck auf Iraks Premier Dschafari wächst
Drei Gruppierungen lehnen eine weitere Nominierung als Regierungschef ab
Von Karin Leukefeld*
Seit Anfang des Jahres wird in Irak über die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit
verhandelt. Jetzt haben drei Parteien bzw. Bündnisse die Nominierung von Ibrahim al-Dschafari zum
neuen Ministerpräsidenten des Landes abgelehnt.
Unterzeichner des Schreibens an die schiitische Allianz sind die »Kurdische Koalition«, die
»Irakische Einheitsfront« sowie die als säkular eingestufte »Irakische Nationale Liste« von Ijad
Allawi. Auch die »Irakische Front für einen Nationalen Dialog« unterstützt das Anliegen. Zusammen
verfügen sie mit 133 Stimmen über eine knappe parlamentarische Mehrheit.
Die Nominierung Dschafaris für den Posten des Ministerpräsidenten war auch in der schiitischen
Allianz umstritten. Nur eine Stimme trennte ihn von seinem Widersacher, Adel Abdulmehdi, derzeit
Stellvertreter von Präsident Dschalal Talabani. Der frühere Maoist Abdulmehdi gehört seit den 90er
Jahren dem islamistischen »Hohen Rat für eine islamische Revolution in Irak« (SCIRI) an.
Die hauchdünne Mehrheit in seinen eigenen Reihen bietet Dschafari keine stabile Basis, zumal es
die Stimmen der »Unabhängigen Bewegung« des radikalen Besatzungsgegners Muktada al-Sadr
waren, die ihm halfen. Die Abhängigkeit Dschafaris von der Sadr-Bewegung hat bei vielen die
Skepsis gegen den glücklosen Interimsministerpräsidenten verstärkt.
Seine Gegner werfen Dschafari mangelnde Neutralität vor. Die kriegsähnlichen Verhältnisse nach
der Zerstörung der Al-Askeriya-Moschee in Samarra haben den Druck auf ihn erhöht. Man wolle
»eine Persönlichkeit, die Sicherheit und Versorgung für das Volk garantieren kann«, so die
Abgeordnete Safiyya al-Suhail von der Irakischen Nationalen Liste. Tarik al-Haschimi vom
sunnitischen Einheitsblock ging in seiner Kritik weiter: »Er ist verantwortlich für die vielen Toten und
nicht der richtige Ministerpräsident für so eine kritische Situation.«
Bedächtiger äußerte sich der sunnitische Politiker Adnan al-Dulaimi, der erst am vorigen
Wochenende knapp einem Mordanschlag entkommen war. Dschafari solle seinen Posten »zum
Wohle des Landes« aufgeben, so Dulaimi.
Die Unterstützer Dschafaris werfen seinen Gegnern vor, die schwierigen Regierungsverhandlungen
zu verzögern. Man erwarte Respekt für die eigene Entscheidung, so der nationale Sicherheitsberater
Muaffak al-Rubaie. Die Sadr-Bewegung kündigte an, sollte Dschafari nicht akzeptiert werden, werde
man einen eigenen Kandidaten benennen.
Hinter den Kulissen ziehen die US-Amerikaner die Fäden. Abdulmehdi gilt als säkularer
Pragmatiker, schon bei den Januarwahlen 2005 war er einer der Favoriten des damaligen USABotschafters
John Negroponte. Auch der Nachfolger Negropontes, Zalmay Khalilzad, lehnt Dschafari
ab. Die USA müssten ihre Unterstützung für Irak überdenken, sollte die neue Regierung von einer
religiösen Person geführt werden, so Khalilzad. Dschafari gilt als moderater Muslim. Den Vorschlag
Khalilzads, das Innenministerium mit Ijad Allawi zu besetzen, lehnten Dschafari und mit ihm viele
Schiiten unmissverständlich ab.
Der CIA-geschulte und frühere Baathist Allawi wird allerdings nicht nur von Khalilzad, sondern auch
von sunnitischen Stämmen und der christlichen Minderheit im Land als starker Mann favorisiert.
Die Kurden werfen Dschafari vor, er verhindere den Anschluss von Kirkuk an die kurdischen
Autonomiegebiete. Dass Dschafari kürzlich noch den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip
Erdogan in Ankara traf, hat das Fass überlaufen lassen, so Mahmud Othman von der Kurdischen
Koalition: »Warum hat er keinen Kurden mitgenommen? Was hat er vor uns zu verbergen? Egal was
er sagt, wir trauen ihm nicht.« Die Wahl des irakischen Ministerpräsidenten muss von einem
dreiköpfigen Präsidialrat bestätigt werden. Dieser Rat muss zuvor mit einer Zweidrittelmehrheit des
Parlaments gewählt werden, das noch nicht einmal getagt hat. Ein neuer Ministerpräsident hat sein
Kabinett innerhalb von 30 Tagen zu ernennen. Schafft er das nicht, wird eine neue Person mit der
Kabinettsbildung beauftragt.
Extremisten haben am Freitag [3. März] in Nahrawan mindestens 25 Schiiten getötet. Augenzeugen
berichteten, rund 50 Bewaffnete seien in das Elektrizitätswerk der Stadt eingedrungen und hätten
dort neun Wächter getötet. Die mit Schusswaffen, Handgranaten und Panzerfäusten bewaffneten
Männer seien anschließend weiter durch die 35 Kilometer südöstlich von Bagdad gelegene Stadt
gezogen und hätten wahllos Menschen erschossen.
* Aus: Neues Deutschland, 4. März 2006
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