"Sollen sie doch allein regieren"
Machtgerangel und Frustration bestimmen die Lage nach der Parlamentswahl in Irak
Von Karin Leukefeld*
Am 15. Dezember 2005 wählten die Iraker ein neues Parlament. Doch wer in den nächsten vier
Jahren die Regierungsgeschäfte im Zweistromland führen soll, ist weiterhin unklar.
Mehr als 1800 Beschwerden wurden bei Iraks Wahlkommission eingereicht, seit Anfang des Jahres
werden sie von einem UNO-Expertenteam geprüft. Erst wenn deren Ergebnis vorliegt, wird die
Kommission das amtliche Endergebnis verkünden. Und das wird nicht vor Ende Januar erwartet.
Es ist unwahrscheinlich, dass sich an den zentralen Schaltstellen der Macht in Bagdad viel ändern
wird. Es gibt weder konservative noch fortschrittliche irakische Parteien, die Wahlbündnisse
präsentierten sich religiös, ethnisch oder säkular. Die Vereinigte Irakische Allianz, das Bündnis aus
22 schiitischen Organisationen, wird voraussichtlich die Mehrheit im Parlament erhalten. Für die in
Nord-irak angetretene Kurdische Allianz haben mehr als 90 Prozent der irakischen Kurden gestimmt,
sie dürften mit den in Zentralirak angetretenen sunnitisch-arabischen Parteien die zweitstärkste Kraft
im Parlament bilden. Das säkulare Wahlbündnis von Ijad Allawi wird voraussichtlich drittstärkste
Kraft; es wurde sowohl von Christen als auch von der Kommunistischen Partei Iraks unterstützt.
Dschalal Talabani erhielt von der Kurdischen Allianz bereits Rückendeckung für eine erneute
Präsidentschaftskandidatur, er fordert allerdings in Zukunft mehr Rechte für den Staatschef. Ibrahim
al-Dschafari (Dawa-Partei) und Adil Abdul-Mehdi (Hoher Rat für eine Islamische Revolution in Irak,
SCIRI) sind als Kandidaten für den Posten des Ministerpräsidenten im Gespräch. Ahmad Tschalabi
könnte im Ölministerium bleiben, das er derzeit kommissarisch führt.
Unklar ist, wer die Führung des Innenministeriums übernimmt, das wegen geheimer
Foltergefängnisse in Kritik geraten war. USA-Botschafter Zalmay Khalilzad dachte kürzlich laut
darüber nach, es dem ehemaligen Interimspremier und Ex-Baathisten Ijad Allawi zu überlassen.
Die ersten Konflikte zeichneten sich ab, nachdem Abdulaziz al-Hakim, der Chef von SCIRI, vor
wenigen Tagen erklärte, es werde keine Änderungen an der neuen Verfassung geben. Besonders
die vorgesehene Stärkung der regionalen Selbstverwaltung auf Kosten der Zentralregierung in
Bagdad sei nicht verhandelbar. Laut Verfassung können sich die irakischen Provinzen zu
autonomen Regionen zusammenschließen und selber über ihre Bodenschätze verfügen. Das aber
wird von den sunnitischen Arabern strikt abgelehnt. Die Zusage eines Parlamentsausschusses, der
umstrittene Verfassungsfragen neu verhandeln sollte, hatte die Skeptiker überzeugt, sich an den
Parlamentswahlen zu beteiligen. »Wenn sie nicht bereit sind, wesentliche Änderungen an der
Verfassung vorzunehmen, auch hinsichtlich der Regionen, dann sollen sie doch allein regieren und
das Land teilen«, kommentierte Salah al-Mutlak von der Sunnitisch-Arabischen Front für einen
Nationalen Dialog die Äußerungen Hakims. »Wir werden das nicht mitmachen.«
Die Herausforderungen einer neuen Regierung werden die der alten sein: Der IWF drängt auf
Privatisierung, unklar ist der Status der strategisch wichtigen Ölstadt Kirkuk, die die Kurden ihrem
autonomen Kurdenstaat einverleiben möchten. Die Regierung wird sich besonders daran messen
lassen müssen, ob sie Basisdienste wie Gesundheits-, Wasser- und Stromversorgung gewährleisten
und die Arbeitslosigkeit bekämpfen kann.
Rasches Handeln ist gefragt. »Die Zeit steht nicht still, der wirtschaftliche Niedergang muss gestoppt werden«, schrieb die Zeitung »Al Sabah«. »Die Politiker müssen die Zeit nutzen, sonst werden wir alle verlieren.«
* Aus: Neues Deutschland, 17. Januar 2006
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