Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Irakische Zerrbilder

Präsident Talabani schönt vor UN-Vollversammlung Lage in seinem Land

Von Karin Leukefeld *

Alles ist gut in Irak. So könnte man die Rede des irakischen Präsidenten Dschalal Talabani [externer Link] zusammenfassen, die er am Wochenende vor der 66. UN-Vollversammlung hielt. Doch die Realität sieht anders aus.

Das Land sei auf dem besten Wege, ein demokratischer Staat zu werden, sagte Talabani in New York. »Verankert in Frieden und Rechtsstaatlichkeit« könnten »alle Gemeinschaften unabhängig von ihrer religiösen, ethnischen oder politischen Zugehörigkeit harmonisch zusammenleben«. Es sei gelungen, die (UNO-)Sanktionen und alle Einschränkungen abzuschütteln, die nach der Kuwait-Invasion unter Saddam Hussein 1990 über das Land verhängt worden waren, betonte der Präsident.

Nun sei die internationale Gemeinschaft eingeladen, in Irak zu investieren. Insbesondere für die Öl- und Gasförderung und beim Ausbau der Infrastruktur habe die Regierung mit neuen Gesetzen »ein angemessenes Klima geschaffen, das Investoren und ihr Kapital« schütze, warb Talabani. Die irakischen Behörden hätten bewiesen, dass sie die Sicherheit gewährleisten können, sollten die US-amerikanischen Truppen Ende des Jahres abziehen. Sie seien auch in der Lage, den Terrorismus zu bekämpfen. Irak verfolge eine Politik der »guten Partnerschaft«, zudem halte man sich an die internationalen Verpflichtungen.

Auch Außenminister Hosjar Zebari lobte bei einem Treffen mit Mitgliedern des außenpolitischen Ausschusses im US-Kongress am Rande der Vollversammlung die Errungenschaften seines Landes. Das »irakische Beispiel« habe die Aufstände in Libyen und anderen arabischen Staaten inspiriert: »Die Libyer, die Tunesier, die Ägypter haben um Rat gefragt, wie wir es gemacht haben.« Und wie in Irak habe der Westen auch in Libyen »nicht nur mit Luftangriffen« geholfen; es habe »europäische Sondereinheiten« gegeben, »die auf dem Boden gegen Gaddafi gekämpft haben«.

Was Zebari nicht erwähnte: Irakische Oppositionsgruppen waren vor der Invasion 2003 vom britischen Geheimdienst MI6 und der US-amerikanischen CIA im Irakischen Nationalkongress (INC) zusammengefasst und finanziert worden. Kurdische Peschmerga und die Milizen anderer INC-Gruppen wurden bewaffnet, militärisch ausgebildet und kämpften 2003 an der Seite der von den USA geführten Invasionstruppen.

Und die jetzt in New York gepriesenen Erfolge glänzen im irakischen Alltag nicht. Auf der Liste von Transparency International der weltweit korruptesten Staaten findet sich das Land auf Platz vier wieder. Der Bevölkerung fehlen Arbeitsplätze und Wohnungen, es fehlt an Strom und sauberem Wasser, und noch immer kommen täglich Menschen bei Anschlägen, Entführungen oder Razzien ums Leben. Bei einer Serie von heimtückischen Bombenanschlägen sind allein am Wochenende in der Stadt Kerbela etwa 100 Kilometer südlich von Bagdad über 20 Menschen getötet worden, 90 weitere wurden verletzt, als die vier Sprengsätze explodierten.

Auch für Journalisten ist das Zweistromland weiter ein Minenfeld. Die irakische Regierung schüchtere Journalisten direkt und indirekt ein, hieß es gestern in einem Bericht der Tageszeitung »Al Iraq al Youm«. So wurde bei den jüngsten Freitagsprotesten auf dem Tahrir-Platz in Bagdad die Journalistin Sana Al-Dulaimi von Sicherheitskräften auf ein Polizeirevier verschleppt, geschlagen und beschimpft. Der beliebte regierungskritische Journalist Hadi al-Mahdi wurde vor zwei Wochen in seiner Wohnung gar erschossen.

* Aus: Neues Deutschland, 27. September 2011


Zurück zur Iral-Seite

Zurück zur Homepage