Schurkenstück mit schweren Folgen
Am Golf prallten die Ambitionen einer regionalen Großmacht auf die einer Supermacht
Von Roland Etzel *
Heute vor 20 Jahren, am 2. August 1990, überfiel Irak seinen
Nachbarstaat Kuwait, den Bagdad als abtrünnige Provinz betrachtete.
Beide Staaten waren aus der Grenzziehung der Völkerbundsmandate entstanden.
In welchem Irrtum sich der irakische Staatschef Saddam Hussein befand,
als er gegen Kuwait zu seinem zweiten Krieg rüstete, ist nicht völlig
geklärt. Er führte das Zweistromland in eine offene Konfrontation mit
den USA, hatte aber wohl nach Erklärungen der damaligen US-Botschafterin
in Bagdad, April Glaspie, und des US-Außenministerium angenommen, dass
die USA sich ebenso wohlwollend heraushalten würden, wie zuvor (1980)
beim irakischen Angriff auf Iran. Doch die USA nahmen den Überfall auf
Kuwait in der Folgezeit zum Anlass, ihre Position in der Region
auszubauen. Sie entfesselten einen langen und - besonders nach der
Besetzung ab März 2003, dem für die Iraker dritten Golfkrieg -
verlustreichen Krieg, der keineswegs beendet ist. Noch immer stehen über
100 000 US-Soldaten in Irak und benachbarten arabischen Staaten.
Der Überfall
Als die irakischen Truppen am 2. August 1990 um 1.00 Uhr die kuwaitische
Grenze überschritten, hatten sie nur anfänglich Widerstand zu
überwinden. Noch vor dem Morgengrauen erreichte die mit 30 000 Soldaten
und 350 Panzern angetretene Invasionsarmee die Hauptstadt des
Scheichtums, das 170 Kilometer von der irakischen Grenze gelegene
Kuwait-Stadt. Zwar wehrten sich die kuwaitischen Kontingente nach
Kräften, doch als bekannt wurde, dass sich ihr Staatsoberhaupt Scheich
Jabir al-Ahmad al-Sabah schon Stunden nach Kriegsbeginn nach
Saudi-Arabien abgesetzt hatte, erlahmte der Widerstand.
In Bagdad erklärte Präsident Saddam Hussein die Operation »nach
Blitzkrieg und Blitzsieg« für erfolgreich beendet und wartete mit einer
ebenso abenteuerlichen wie unglaubwürdigen Rechtfertigung auf. In Kuwait
hätten »junge Revolutionäre« die herrschende Sabah-Dynastie gestürzt,
eine Interimsregierung gebildet und Bagdad, wo das Präsidialregime
ebenfalls Revolutionärer Kommandorat hieß, um Hilfe ersucht. Später war
von jenen »jungen Revolutionären« nie wieder etwas zu hören, was die
einhellige Vermutung bestätigte, dass es sie in der behaupteten Form nie
gegeben hat.
Die bilaterale Vorgeschichte
Im Juli 1990 hatte es Spannungen zwischen Irak und Kuwait um ein neu
entdecktes Ölfeld an bzw. unter der gemeinsamen Grenze gegeben, das
beide Staaten für sich beanspruchten. Darüber wurden unter
saudi-arabischer Vermittlung Verhandlungen geführt, die am 1. August
1990 ergebnislos abgebrochen wurden. In der folgenden Nacht begann der
Einmarsch.
Die Spannungen waren zwar vorher vom auf kuwaitischer Seite
verhandlungsführenden Ministerpräsidenten Scheich Saad al-Abdulah
al-Sabah als ernst bezeichnet worden. Irakische Truppen waren bereits an
der Grenze aufmarschiert. Dennoch wurde ein unmittelbar drohender Krieg
wohl nicht erwartet.
Zum einen verfügten beide Staaten über vergleichsweise märchenhafte
bereits erkundete Ölreserven, so dass ein bewaffneter Konflikt um jenes
umstrittene Fördergebiet schon allein vom ökonomischen Aspekt her völlig
widersinnig erschien. Zum anderen war aggressive Rhetorik aus Bagdad
gegenüber Kuwait der Normalfall während der gesamten Zeit ihrer
gemeinsamen Existenz. Zwar kam es wiederholt zu Grenzscharmützeln, die
aber stets unterhalb der Schwelle kriegerischer Handlungen blieben.
Beide - Irak wie Kuwait - sind Zerfallsprodukte des mit dem ersten
Weltkrieg untergegangenen Osmanischen Reiches; deren Grenzen bestimmte
im Wesentlichen Großbritannien. Dennoch wollte Irak, das 1932 seine
volle Selbständigkeit erlangt hatte, das 1961 von den Briten in die
Unabhängigkeit entlassene Kuwait nicht anerkennen und bezeichnete es als
seine 19. Provinz. Die Situation galt aber als relativ entspannt, seit
im Jahr 1977 beide Seiten einen Grenzvertrag unterzeichnet hatten.
Bagdader Großmachtträume
Der Regierung in Bagdad - die inzwischen längst eine Alleinherrschaft
Saddam Husseins geworden war, hätte bei nüchterner Betrachtung klar sein
müssen, dass sie mit der handstreichartigen Annexion Kuwaits nicht
durchkommt. Kuwait war UNO-Mitglied und damit anerkanntes
Völkerrechtssubjekt. Ein solches einfach einzukassieren, konnte als
Präzedenzfall von keinem UNO-Mitglied hingenommen werden. Dass sich die
siegestrunkene Bagdader Führung nicht einmal der Mühe unterzog, sich auf
einen bestimmten Kriegsgrund festzulegen (War es nun der mysteriöse
Hilferuf aus Kuwait oder doch der wiederentdeckte Zweifel an der
Legitimität der Existenz eines Staates Kuwait?), tat ein Übriges, dass
sich keine Regierung auf Saddams Seite schlug. Von den Mitgliedern der
Arabischen Liga begrüßte lediglich die Palästinensische
Befreiungsorganisation »die Befreiung Kuwaits«.
Saddams Fehleinschätzung
Die UNO-Forderung nach Rückzug der irakischen Truppen war nicht dazu
angetan, Saddam zu beeindrucken. Von den roten Linien, die das
internationale Recht vorgibt, hatte er sich nie Grenzen setzen lassen
und glaubte auch diesmal, sich danach nicht richten zu müssen. Schwer
unterschätzt aber hatte er offenbar die Entschlossenheit der USA, in
einer von ihnen als »strategische Interessensphäre« definierten Region
Kräfteverschiebungen zu ihren Ungunsten zu verhindern.
Hatten die USA Saddams ersten Golfkrieg 1980-88 noch mit kaum
verhohlener Sympathie betrachtet, so sahen sie sich nun in ihrem
Anspruch als Supermacht düpiert. Dagegen wollte Washington abschreckende
Zeichen setzen - gerade in einer Zeit, in der die andere bisherige
Weltmacht, die Sowjetunion, einem Zustand der Agonie entgegenging. Mitte
Januar 1991 landeten Invasionstruppen der USA in Kuwait. Bereits am 27.
Februar war der letzte Iraker vertrieben. Der zweite Golfkrieg war
vorbei. An seinem Ende stand eine bis heute unbekannte Zahl von Opfern,
Schätzungen sprechen von Zehntausenden Toten.
* Aus: Neues Deutschland, 2. August 2010
Eine dreiste Lügengeschichte
Die Sache mit den Babymorden **
»Sie nahmen die Babys aus den Inkubatoren, transportierten diese ab und
ließen die Babys auf dem kalten Boden liegen, wo sie starben.« Unter
Tränen berichtete im Oktober 1990 die 15-jährige Nayirah vor dem
Menschenrechtsausschuss des US-Kongresses über das, was sie in der
Mutter-Kind-Abteilung des Al-Adan-Krankenhauses in Kuwait-Stadt gesehen
haben wollte. Sie stellte sich als kuwaitischer Flüchtling vor und habe
vor und nach der irakischen Invasion als freiwillige Schwester in der
Klinik gearbeitet. Irakische Soldaten hätten das Krankenhaus besetzt und
mindestens 15 Babys aus den Inkubatoren gezerrt.
Die Aussage von »Schwester Nayirah« über das grausame Vorgehen der
irakischen Soldaten im besetzten Kuwait ging um die Welt und
mobilisierte eine breite Öffentlichkeit hinter US-Präsident George Bush
für einen Krieg gegen Irak. Später allerdings stellte sich heraus, dass
es sich bei der Geschichte um reine Kriegspropaganda gehandelt hatte,
inszeniert vom Komitee der »Bürger für ein freies Kuwait«, die für die
Geschichte die Werbeagentur Hill & Knowlton angeheuert hatten. Schwester
Nayirah entpuppte sich als Nayirah al-Sabah, Tochter von Saud bin Nasir
al-Sabah, damals kuwaitischer Botschafter in den USA. Das Komitee der
»Bürger für ein freies Kuwait« war von Hill & Knowlton im Auftrag der
exilierten Regierung von Kuwait aufgebaut worden.
1992 veröffentlichte die Menschenrechtsorganisation Middle East Watch
eine Untersuchung der Story. Ärzte des besagten Krankenhauses in Kuwait
sagten darin aus, dass die Mutter-Kind-Abteilung 25 bis 30 Inkubatoren
für Frühgeborene habe, aber aus keinem seien Babys entfernt worden.
Nayriah al-Sabah erklärte in einer weiteren Untersuchung, sie sei nur
kurz in dem Krankenhaus gewesen und habe »nur für einen Moment« gesehen,
dass eines der Babys sich außerhalb des Inkubators befunden habe. Nie
habe sie dort als Freiwillige gearbeitet ...
K. L.
** Aus: Neues Deutschland, 2. August 2010
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