Von den USA getäuscht
Iraks Einmarsch in Kuwait und der Beginn der "Neuen Weltordnung"
Von Joachim Guilliard *
Am 2. August 1990 marschierten irakische Truppen in Kuwait ein und
machten das Emirat zur 19. Provinz des Iraks. Die Reaktion der USA auf
den Einmarsch begründete - in den Worten des damaligen US-Präsidenten
George Bush sen. - eine »Neue Weltordnung«. Das Datum steht so nicht nur
für einen Wendepunkt in der US-Politik gegenüber dem Irak: Während die
Sowjetunion zusammenbrach, eröffnete die allein verbliebene Supermacht
mit dem Krieg und den Sanktionen gegen den Irak die bis heute andauernde
Phase militärischer Interventionen westlicher Staaten. Neben dem
Zweistromland traf es in der Folge insbesondere Somalia, Jugoslawien und
Afghanistan.
Ölfelder zu Scheichtümern
Wie die meisten Kleinstaaten am Persischen Golf war auch Kuwait Ende des
19. Jahrhunderts von der britischen Kolonialmacht geschaffen worden,
indem ein Wüstengebiet abgegrenzt und ein örtlicher Feudalherr zum
Oberhaupt des neuen Protektorats gemacht wurde. Die Briten setzten so
dem Vordringen der imperialistischen Konkurrenz in der Region einen
Riegel vor und trennten gleichzeitig die Ölquellen vom
bevölkerungsreichen Hauptteil Iraks ab.
In den Jahrhunderten zuvor gehörte Kuwait zur Provinz Basra, eine der
drei - meist als Einheit regierten - osmanischen Provinzen, die den
heutigen Irak bilden. Das Land zwischen Euphrat und Tigris hatte im
Laufe der Jahrtausende viele Namen, war jedoch immer ein Meeresanrainer
gewesen. Mit der 1921 vom britischen Kolonialamt verfügten endgültigen
Abspaltung Kuwaits wurde es jedoch weitgehend vom Persischen Golf getrennt.
Keine souveräne irakische Regierung hatte jedoch die Abtrennung jemals
akzeptiert, und auch in Kuwait lebten starke Bewegungen für eine
Wiedervereinigung fort. 1961 war es fast soweit: Die
kuwaitisch-arabische Nationalbewegung wollte gleichzeitig mit der
Unabhängigkeit Kuwaits auch den Anschluß an den Irak proklamieren. Nur
durch den Einsatz britischer Fallschirmjäger, flankiert von
US-Marinesoldaten vor der Küste, konnte dies verhindert werden.
Die Führung der Baath-Partei, die 1967 die Macht im Irak übernahm, hatte
sich im Grunde mit der eigenständigen Existenz des Scheichtums
arrangiert. Im Krieg gegen den Iran (1980-1988) zählte Kuwait zu den
spendabelsten Alliierten. Nach Ende dieses Krieges änderte die
kuwaitische Führung ihre Politik jedoch radikal. Sie stellte die
Zahlungen an den Irak umgehend ein und verlangte eine rasche Rückzahlung
ihrer Kriegsbeihilfen in Höhe von rund 15 Milliarden US-Dollar. Für die
Regierung in Bagdad war das ein Schlag ins Gesicht, hatte sie diese doch
als Unterstützung für den - nach ihrer Lesart - irakischen »Kampf gegen
die iranische Invasionsgefahr« gewertet.
Schlimmer noch war, daß Kuwait gleichzeitig begann, seine Ölförderung
drastisch zu erhöhen - weit über die in der OPEC vereinbarte Menge
hinaus - und so maßgeblich zum Absturz des Ölpreises beizutragen.
Ausgehend von 21 US-Dollar pro Barrel sackte dieser zeitweilig auf elf
Dollar ab und bescherte so dem Irak Verluste von bis zu 14 Milliarden
Dollar jährlich. Obwohl der Irak seine Fördermengen von 1985 bis 1990
fast verdoppelt hatte, reichten die Einnahmen des kriegsgeschädigten
Landes bei weitem nicht aus, um fällige Schulden zurückzuzahlen - das
Land stand kurz vor dem Bankrott. Bei einem Treffen der Arabischen Liga
am 28. Mai 1990 bezeichnete Saddam Hussein die Handlungen Kuwaits daher
nicht zu Unrecht als »eine Art Krieg gegen den Irak«.
Nachdem Verhandlungen und Vermittlungsbemühen auf zahlreichen arabischen
Gipfeln erfolglos geblieben waren, drohte die irakische Führung immer
offener mit einer gewaltsamen Lösung des Problems. Die kuwaitische
Herrscherfamilie blieb dennoch hartnäckig und - zur Verwunderung aller
Beobachter - auch erstaunlich gelassen. Saddam Hussein versuchte, die
Reaktion der USA auf einen solchen Schritt abzuklären und bat die
US-Botschafterin April Glaspie zu sich. Diese versicherte ihm am 25.
Juli, als bereits über 30000 Soldaten an der Grenze zu Kuwait
aufmarschiert waren, daß die US-Regierung keine Meinung zu
innerarabischen Konflikten wie den Grenzstreitigkeiten mit Kuwait habe
(siehe Text unten im Kasten).
Acht Tage später marschierten irakische Truppen in Kuwait ein. Sie
stießen dabei auf wenig Widerstand. Das Staatsoberhaupt Scheich Jaber Al
Ahmad Al Sabah entkam rechtzeitig mit seiner Familie nach Saudi-Arabien.
Die irakische Führung mußte rasch erkennen, daß die US-Regierung auf den
irakischen Angriff nur gewartet hatte: Binnen weniger Stunden erreichte
Washington eine Verurteilung der Invasion im UN-Sicherheitsrat. Nur vier
Tage nach dem Einmarsch setzten die USA die umfassendsten
Wirtschaftssanktionen durch, die jemals gegen ein Land verhängt wurden.
Nach einer Woche waren bereits 10000 und nach drei Wochen schon 45000
US-Soldaten in Saudi Arabien aufmarschiert.
»Kriegsplan 1002«
Da Bagdad mit dem Einmarsch eindeutig Völkerrecht verletzt hatte, war es
selbstverständlich, daß der Sicherheitsrat sich der Sache annahm.
Ungewöhnlich waren allerdings Geschwindigkeit, Entschiedenheit und
Härte, mit der das höchste UN-Gremium reagierte. Zahlreiche Länder
bemühten sich in der Folge um eine politische Lösung. Die Chancen
schienen gut, hatte die irakische Führung doch schon bald angeboten,
ihre Truppen aus Kuwait zurückziehen, wenn über die Streitigkeiten, die
zu ihrem Schritt geführt hatte, verhandelt werden könnte. Doch die
damalige Bush-Regierung blockierte konsequent jede mögliche
Verhandlungslösung.
Die US-amerikanischen Kriegsvorbereitungen hatten nicht erst mit dem
irakischen Truppenaufmarsch an der kuwaitischen Grenze begonnen. Die USA
schmiedeten bereits seit dem Sturz des Schah-Regimes 1979 Pläne für eine
militärische Intervention in der Region, mit dem Ziel, die Vorherrschaft
in der Region durch die Präsenz eigener Truppen zu sichern.
Nach dem Ende des iranisch-irakischen Krieges 1988 konzentrierten sie
sich auf den mit westlicher Hilfe hochgerüsteten Irak. Der unter
Präsident Ronald Reagan für die Region ausgearbeitete »Kriegsplan 1002«
wurde 1989 überarbeitet und in »Kriegsplan 1002-90« umbenannt. Fast alle
Kriegsszenarien gingen von einer irakischen Besetzung Kuwaits aus. Wie
sich später herausstellte, hatten die USA Kuwait direkt zu den
provokativen Schritten gegen den Irak gedrängt.
Der irakische Einmarsch in Kuwait gab den USA die Gelegenheit, das
kurzfristig zur Regionalmacht aufgestiegene ölreiche Land gründlich
abzurüsten und zu deindustrialisieren. Der Irak wurde als eigenständiger
regionaler - politischer wie wirtschaftlicher- Faktor weitgehend
ausgeschaltet, und über das 1990 etablierte Sanktionsregime erlangte
Washington auch wieder eine gewisse Kontrolle über das irakische Öl.
Quellentext. Saddam Hussein und US-Botschafterin April Glaspie am
25. Juli 1990
Der irakische Präsident erläutert die dramatische Lage seines Landes
durch Kuwaits Bruch der OPEC-Abkommen und den dringenden Geldbedarf
seines Landes, beklagt sich über die US-Unterstützung für Kuwait und die
zunehmend feindselige Haltung in den USA gegenüber dem Irak.
Glaspie zu den Beziehungen zwischen den Ländern:
Wie Sie wissen, wies er (Präsident Bush - J. G.) die US-Administration
an, die Vorschläge von Handelssanktionen zurückzuweisen. (...) Ich habe
eine direkte Anweisung vom Präsidenten, bessere Beziehungen zum Irak
herzustellen.
Zum Ölpreis und zu Grenzstreitigkeiten:
Hussein: 25 Dollar pro Barrel ist kein hoher Preis.
Glaspie: Es gibt viele Amerikaner, die es gern sehen würden, wenn der
Preis über 25 Dollar steigen würde, da sie selbst aus Ölförderländern
kommen.
Hussein: Der Preis fiel phasenweise auf zwölf US-Dollar pro Barrel, und
eine Verringerung im bescheidenen irakischen Budget von sechs bis sieben
Milliarden US-Dollar ist ein Desaster.
Glaspie: Ich denke, das verstehe ich. Ich habe hier jahrelang gelebt.
Ich bewundere Ihre außerordentlichen Anstrengungen, Ihr Land wieder
aufzubauen. Wir verstehen das, und unsere Meinung ist, daß Sie die
Gelegenheit haben sollten, das Land wieder aufzubauen. Aber zu den
arabisch-arabischen Konflikten, wie dem Grenzstreit mit Kuwait, haben
wir keine Meinung. (...) Wir hoffen, Sie können dieses Problem lösen,
indem Sie jegliche angemessene Methode nutzen, über Klibi (Chedli Klibi,
Generalsekretär der Arabischen Liga - d. Red.) oder über (Ägyptens- d.
Red.) Präsident Mubarak. Alles, was wir erhoffen, ist, daß diese
Angelegenheiten rasch gelöst werden. (...) Ich erhielt die Anweisung,
Sie nach ihren Absichten zu fragen - im Geist der Freundschaft, nicht
der Konfrontation.
Aus: New York Times vom 23.9.1990
* Aus: junge Welt, 31. Juli 2010
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