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Der Traum des Hamido Daz

Spannungen mit der Türkei gefährden schwierigen Wandel im kurdischen Nordirak

Von Karin Leukefeld, Arbil *

Auf dem Weg von Sulaimanija im Süden nach Arbil, der kurdisch-irakischen Hauptstadt, ist das neue Kurdistan zu besichtigen. Die Straße wird zu einer vierspurigen Autobahn ausgebaut, neue Tankstellen warten auf die Inbetriebnahme, Rasthäuser mit Coca-Cola-Sonnenschirmen und die Touristenorte Nerges Village und Dream Park südlich des Dukan-Stausees auf Gäste. Wie verloren sitzen einige Obstverkäufer mit Granatäpfeln und Trauben am Straßenrand, während der Verkehr ohne Halt an ihnen vorbeirauscht. Frauen mit bunten Kopftüchern rollen zwischen zwei Lastwagen ihre Gasflaschen über die Straße, die sie bei einem Händler gekauft haben. Einige Kilometer weiter liegt ein toter Esel, bewacht von einem Hund. Die bizarre Szene zwischen den hoch aufsteigenden Bergmassiven rechts und links der Straße wirkt fast symbolisch für den rasanten Wandel in Kurdistan, der das Land zu zerreißen droht.

Die »Mall« von Arbil

Kurdistan sei reich an Wasser und gutem Boden, sagt der ehemalige Peschmerga-Kämpfer Hamido Daz, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Kurden ökologisches Denken und Wirtschaften zu vermitteln. Mit ausländischen Firmen hat Daz in Halabja eine große Baumschule eröffnet, um das Land zu begrünen. Weitere Projekte sind in Arbil und Dohuk geplant. Es sei nicht ausreichend, Straßen, Hotels und Supermärkte zu bauen, noch dazu mit ungesunden Materialien. Kurdistan brauche eine ökologische Politik, die in allen Bereichen umgesetzt werden müsse. Der dafür erforderliche Sinneswandel hat noch nicht eingesetzt.

Gelangt man aus der Hochebene der Safin-Berge nach Arbil, sieht man, was Daz meint. Die Stadt ist eine Großbaustelle. Der Verkehr wird über holprige Straßen und durch ärmliche Viertel umgeleitet, die massive Zitadelle im Zentrum verschwindet hinter Kränen und mächtigen Neubauten, in denen Supermärkte und Wohnungen entstehen. Die neue »Mall« von Arbil, ein überdachtes Einkaufszentrum nach dem Beispiel amerikanischer Märkte, steht in unmittelbarer Nähe zur Zitadelle, die kleinen Geschäfte im Inneren des imposanten Gebäudes stehen weitgehend leer. Der alte Markt hingegen, der sich in einem Gewirr von Gassen und kleinen Straßen um die Zitadelle herum unter Blechdächern erstreckt, ist voller Leben.

Die kurdische Gesellschaft befindet sich im Umbruch, sagt der Politikwissenschaftler Sherzad Ameen. Er unterrichtet an der Universität von Arbil und ist ein viel gefragter Gesprächspartner in den arabischen Medien. Wichtig sei, die traditionelle Denk- und Lebensweise der Kurden zu verändern, sie müssten sich von Grund auf erneuern, um den Anforderungen der Globalisierung begegnen zu können. Die Gefahr sei groß, dass die Gesellschaft in einen kleinen reichen und einen großen armen und ungebildeten Teil zerfalle, daher seien gute Bildung und Ausbildung sowie mehr Arbeitsplätze besonders wichtig.

Das sei aber nicht das einzige Problem, gibt sein Freund Ihsan Hamawandi aus Kirkuk zu bedenken. Ameen und Hamawandi kennen sich aus ihrer Studienzeit in Wien, beide kehrten in den 1990er Jahren zurück. Während Ameen heute in Nordirak auf verschiedenen Ebenen an der politischen Meinungsbildung beteiligt ist, pendelt Hamawandi zwischen Deutschland und den kurdischen Gebieten Nordiraks. Er habe große Sehnsucht gehabt, seine Heimat nach 44 Jahren in Österreich, Spanien und Deutschland wiederzusehen, doch alles habe sich so sehr verändert, dass er »kaum noch die Freunde« erkannt habe.

Seit 1963 habe sich die Gesellschaft in Irak völlig verändert. »Staatsstreiche, Kriege, Vertreibungen, die Menschen sind traumatisiert«, sagt Hamawandi. Das gelte gleich für mehrere Generationen. »Wir brauchen ganz sicher viel Zeit, um die Gesellschaft über Generationen soweit in Ordnung zu bringen, dass die Menschen wieder ein normales Gefühl für das Leben bekommen.« Saddam sei zwar weg, doch hätten viele den Eindruck, dass durch die politische und kriminelle Gewalt seit 2003 eine schlimmere Situation herrsche als zu seinen Zeiten.

Für die meisten Menschen in den kurdischen Gebieten Iraks spielt die Frage von Gewalt und Vertreibung heute keine Rolle mehr, doch das Leben ist nicht leichter geworden. Einfache Angestellte mit einem monatlichen Gehalt von umgerechnet 300 US-Dollar müssen 250 US-Dollar und mehr an Miete bezahlen. Hinzu kommt eine anhaltende Verteuerung von Lebensmitteln, die fast ausschließlich aus den Nachbarländern Syrien, Türkei und Iran, aus Saudi-Arabien und den Golfstaaten importiert werden. Aus der produzierenden Agrargesellschaft Kurdistans sei eine Konsumgesellschaft geworden, kritisiert der frühere Minister für Entwicklung und humanitäre Angelegenheiten Mohamed Taufik im Gespräch.

Nach 2003 habe sich der Etat für die kurdische Regionalregierung versiebenfacht und betrage heute sieben Milliarden US-Dollar. Das Geld kommt zu 96 Prozent aus Bagdad. Doch anstatt es für die Bevölkerung, für die Erneuerung der Infrastruktur, für Elektrizität und Wasser, für die Krankenhäuser auszugeben, habe die Regierung ihren Machtapparat erweitert. 70 Prozent des Etats gebe man für die Gehälter der Beamten und staatlichen Angestellten aus. Das größte Übel ist für Taufik jedoch die Korruption in Regierung und Verwaltung, über die landesweit quer durch alle politischen Ebenen offen gesprochen wird.

Das Tor nach Irak

»Welcome to Luxory«, Willkommen im Luxus, lautet ein Werbespruch, mit dem das Baukonsortium Khanzad in Arbil in die »exklusivsten Villen« im »American Village« einlädt. Das »Vital Village«, ebenfalls ein Bauprojekt bei Arbil, bietet Häuser mit Schwimmbad, Gärten und einer Kameraüberwachung rund um die Uhr an, ergänzt durch »professionelles Sicherheitspersonal«. Die beiden Firmen gehörten zu den knapp 300 Ausstellern aus 22 Ländern auf der Internationalen Handelsmesse 2007, die zum dritten Mal in Arbil stattfand. Die kurdische Regierung gibt sich alle Mühe, internationalen Investoren den Weg in die Region zu ebnen und präsentiert sich als »Tor nach Irak«. Wegen der massiven Spannungen mit der Türkei kamen aber in diesem Jahr weniger europäische Interessenten. Auch viele türkische Geschäftsleute reisten nicht an, weil aufgrund eines Teilembargos der Flugverkehr zwischen Istanbul und Erbil ausfiel. 500 türkische Firmen arbeiten in Nordirak, meist im Baugewerbe.

Seit die Türkei mit einem Einmarsch in Nordirak droht, um die Kämpfer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu »vernichten«, drohen auch die wirtschaftlichen Beziehungen auf einen Nullpunkt zu sinken. »Wenn die Türkei bereit ist, die Angelegenheit friedlich zu lösen, werden wir helfen, so gut wir können«, so Falah Mustafa Bakir, verantwortlich für die Außenbeziehungen der kurdischen Regionalregierung, im Gespräch. Der Streit mit der PKK sei nicht neu, Ankara führe ihn seit 23 Jahren. Das Problem sei eine »interne Angelegenheit der Türkei«, so Falah Mustafa. »Und es gibt keine Entschuldigung für eine Verletzung der irakischen Souveränität durch das türkische Militär.« Jede militärische Aktion bedrohe die Stabilität und würde alles gefährden, was bisher geschaffen worden sei. Kurdistan sei der »einzige sichere Teil des Landes«.

Allerdings hat der Präsident des kurdischen Autonomiegebietes, Massud Barsani, auch seinen Ton gegenüber der PKK verschärft. Wenn sie auf keine Initiative zur friedlichen Beilegung der Krise reagiere, »dann werden wir sie als Terrororganisation einstufen«. Die Türkei sei ein wichtiges Land in der Region, betont Falah Mustafa. »Viele türkische Firmen haben hier bei uns investiert«, daher sei man an guten Beziehungen interessiert. Kurdistan sei wichtig für den Handel in der Region und könne eine wichtige Rolle für die Zukunft Iraks spielen, als »Sprungbrett für den Rest des Landes – wenn sich die Lage erst einmal beruhigt«.

* Aus: Neues Deutschland, 3. November 2007


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