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"Seit Juni ist die Repression ein wenig subtiler geworden"

Die Kurden im Nordirak wählen am Samstag ein neues Parlament. Zum ersten Mal darf auch die PCDK antreten. Ein Gespräch mit Diyar Xerib *


Diyar Xerib ist Kovorsitzender der »Partei der Demokratischen Lösung«. Er kandidiert zu den Wahlen, die am Samstag in der kurdischen Autonomie­region im Nordirak stattfinden.


Am Samstag wird in der kurdischen Autonomieregion im Nordirak ein neues Parlament gewählt – Ihre »Partei der Demokratischen Lösung« (PCDK), die dem in der Türkei inhaftierten Kurdenführer Abdullah Öcalan nahesteht, darf zum ersten Mal antreten. Warum wurden Ihnen bisher Steine in den Weg gelegt?

Wir haben uns im Jahr 2002 gegründet. Zu dieser Zeit gab es nur zwei Parteien, die sich die Macht in unserer Region teilten: die Demokratische Partei Kurdistans (DKP) und die Patriotische Union Kurdistans (PUK). Bis zum Juni 2013 hat die von der DKP dominierte Regionalregierung unsere Politiker kriminalisiert, viele Aktive wurden vorübergehend festgenommen – ich war auch betroffen. Wir haben uns trotzdem dafür entschieden, den politischen Weg zu Freiheit und Demokratie weiter zu gehen. Zu den jetzigen Wahlen haben wir zum ersten Mal eine Zulassung bekommen, seit Juni ist die Repression ein wenig subtiler geworden.

Hat diese Repression mit Ihren politischen Vorstellungen zu tun? Und was ist der Kern Ihres Wahlprogramms?

Unser Ziel ist es, die Gesellschaft in der kurdischen Autonomieregion grundlegend zu demokratisieren. Zur Zeit gibt es eine zu enge Verflechtung von Regierung und Parlament. Das Parlament nimmt seine Kontrollfunktion gegenüber der Regierung kaum war – es gibt faktisch keine Legislative.

Die PCDK hat konkrete Vorschläge für eine neue Verfassung erarbeitet, die rechtsstaatlichen Ansprüchen genügt und die Gewaltenteilung vorsieht. Es müssen viele Einzelgesetze demokratisiert werden. Wir wollen auch durchsetzen, daß das Parlamentspräsidium künftig von der Opposition mitgetragen wird. Die Regierung ist überaltert, sie hat keine Erfahrung damit, wie man eine demokratische Gesellschaft gestaltet. Viele Abgeordnete sitzen schon seit 1992 im Parlament! Der öffentliche Dienst und die Dienstleistungsbetriebe sowie viele Bildungseinrichtungen werden von DKP und PUK getragen. In diesem Bereich herrschen Willkür, Klientelismus und Korruption vor. Die Menschen werden dadurch unter enormen Druck gesetzt. Das wollen wir ändern.

Wie steht es um die Lage der Frauen im Nordirak? Man hört immer wieder von Morden, von häuslicher Gewalt und davon, daß die Behörden ihre schützende Hand über die Täter halten. Mehrfachheiraten sind an der Tagesordnung, oft wird auch von Zwangsprostitution berichtet.

Die PCDK kämpft seit ihrer Gründung dagegen, daß Frauen unterdrückt oder gar Opfer von Gewalt werden. Nicht zuletzt auf unsere Initiative hin hat das Parlament einige Gesetze zum Schutz der Frauen beschlossen – die stehen zumindest auf dem Papier, sie wurden bisher kaum umgesetzt. Es gibt immer noch Gesetze, aufgrund derer Männer und Frauen ungleich behandelt werden. Das muß geändert werden! Wir wollen, daß Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen als gleichwertig respektiert und auch gleichberechtigt behandelt werden. Als einzige Partei hat die PCDK eine Frau und einen Mann als Vorsitzende. Die Kanditatenliste zur Wahl am Samstag wird auch von einer Frau angeführt. Außerdem sind 37 Prozent aller Parteimitglieder weiblichen Geschlechts.

Die regierende KDP setzt auf Verbindungen zur Türkei – das gilt nicht nur für den Export von Erdöl, sondern auch für die Einfuhr von Lebensmitteln und den Ausbau des Bildungs- und Gesundheitswesens. Haben Sie andere Konzepte?

Die PCDK setzt sich ein für die gezielte Förderung einer von Gemeinden organisierten Landwirtschaft, des Handwerks und von Kleinbetrieben. Wir wollen die Erdölexporte einschränken, damit sich die kurdische Autonomieregion eigenständig stabilisieren kann. Wir brauchen eine dynamische Zivilgesellschaft – die muß aber erst noch entwickelt werden.

Interview: Martin Dolzer

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 19. September 2013


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