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Aufbruch im Nordirak?

Hohe Wahlbeteiligung von Frauen in kurdischen Gebieten – Ausdruck der Hoffnung auf mehr soziale Gerechtigkeit. Ein Viertel der Sitze für Parlamentarierinnen reserviert

Von Karin Leukefeld *

Sehen Sie sich unsere jungen Frauen an, sind sie nicht hübsch?« Polizeimajor Mahmud steht am 7. März, dem Wahltag, auf seinem Posten vor der Frischtar-Schule (Schule der Engel) im nordirakischen Sulaimania. Keck schiebt er sich die Mütze in den Nacken und weist hinüber zu den Frauen, die – getrennt von den Männern – geduldig in der Schlange warten, um ihre Stimmzettel ausfüllen zu können. Viele haben ihre schönsten Kleider angezogen, die gold, gelb, rot, blau und grün in der Morgensonne leuchten. Auch die Kinder sind mit kurdischen Trachten herausgeputzt. Selbst die Mütter, die westlich gekleidet in Hose und Bluse oder Kostüm gekommen sind, scheinen so zeigen zu wollen, wie wichtig ihnen als Kurdinnen die Wahl zum irakischen Parlament ist.

Fortschritt durch Quote?

Von den 325 Sitzen im neuen Parlament sind 25 Prozent für Frauen vorgesehen– ein bedeutender Fortschritt, denn in den meisten Parlamenten weltweit gibt es keinerlei Quotierung. Die Platzreservierung gelte aber nur für das Parlament, wendet Parwar Ali (49) ein, die auf der Liste der Goran-Bewegung auf Platz acht kandidiert hat und voraussichtlich im nächsten irakischen Parlament sitzen wird. »Im öffentlichen Dienst, bei Ministerien oder in der Wirtschaft gibt es das noch lange nicht.« Die Soziologin ist Mutter von zwei Söhnen. Ehemann und Mutter entlasten sie stark in Sachen Kindererziehung: »Die Gleichberechtigung der Frauen steht ganz oben auf meiner Agenda, aber ich fürchte, die Rechte meiner Mutter werden oft vernachlässigt«, lacht sie verlegen. In Bagdad will sie blockübergreifend mit allen Parlamentarierinnen zusammenarbeiten. »Noch immer sind wir Frauen von Parteien oder einflußreichen Familien abhängig.« Sie kandidiere für eine Bewegung, in der unabhängige, freie Frauen eine Chance hätten. Das einzige Kriterium, nach dem eine Bewerberin um ein Amt beurteilt wird, sei in dieser Gruppe deren Qualifikation. »So muß es in allen Bereichen unserer Gesellschaft werden«, fordert Parwar Ali.

Für Polizeimajor Mahmud hat die Gleichberechtigung der Frauen keine Priorität. »Unsere Frauen sind meist zu Hause, sie bekommen viele Kinder, kümmern sich um die Familie«, meint er im Gespräch mit zwei ausländischen Journalistinnen. »Und wie viele Kinder haben Sie?« fragt eine der beiden. »Fünf«, sagt Mahmud voller Stolz.

Männer sind das Problem

»Die Männer sind das Problem, nicht die Frauen«, sagt wenige Tage später der Ingenieur Mohammad Ameen Hiro, der mit seiner Nichtregierungsorganisation Darya (das Meer) in der nordirakischen Kurdenprovinz Dohuk arbeitet. Darya will vor allem Frauen in ländlichen Gebieten zu mehr Rechten und Selbstbewußtsein verhelfen. »Wenn Frauen einmal wissen, welche Rechte sie haben und wenn man ihnen Starthilfe gibt, werden sie sehr schnell aktiv, doch Männer …«.

Anders als das weltoffene, liberale Sulaimania ist Dohuk eine konservative, geschlossene Gesellschaft. Nach offiziellen Angaben gaben hier am Wahltag 80 Prozent der Einwohner ihre Stimme ab – nahezu alle votierten für die Demokratische Partei Kurdistans (KDP), deren Wiege im Bahdinan Tal liegt, nicht weit von Dohuk-Stadt entfernt. Mohammad Ameen hält zwar Kontakt zur »Partei«, wie die KDP genannt wird, und den örtlichen Behörden, wichtiger aber ist für ihn die Arbeit mit der Bevölkerung. Seine sechs Mitarbeiter repräsentieren nicht nur verschiedene Religionen: Drei von ihnen sind Frauen. Gewalt sei ein wichtiges Thema: »Ehrenmorde, Verbrennungen von Frauen gibt es hier leider immer noch.« Auch für die vielen Witwen und Waisen der verschiedenen Kriege in Kurdistan und im Irak werde nicht genug getan. Eine seiner Mitarbeiterinnen stammt aus Bagdad, von wo sie mit ihrem Kind und ihren Eltern floh, nachdem ihr Mann entführt und ermordet worden war.

Neuanfang in Barohajara

Intensiv kümmert sich Darya auch um die Frauen in den Dörfern, die ihren Lebensunterhalt unter schwierigsten Bedingungen erarbeiten. Viele von ihnen sind alleinstehend – wie Naima Waysi (58), die 14 Kinder geboren hat, bevor ihr Mann starb. Seit ihrer Heirat lebte sie in Barohajara, mußte das Dorf aber mehrmals verlassen. Erst wegen Angriffen der irakischen Luftwaffe während des Iran-Irak-Krieges (1980–1988), dann, weil es nicht mehr genügend Wasser gab. Nun lebt sie in Dohuk, wünscht sich aber sehnlichst zurück. 2009 installierte Darya in Barohajara ein Bewässerungsprojekt, so daß zumindest das Land wieder bestellt werden kann. Mit ihren Schwagern kommt Naima früh am Morgen hier her und fährt abends nach Dohuk zurück. »Ich koche und kümmere mich um die Bienenstöcke«, erzählt sie, während sie Brot, Tee und Honig verteilt. Auf die Frage, was sie sich von der neuen Regierung in Bagdad erhofft, sagt sie: »Daß sie sich um die armen Menschen kümmern, Inschallah.«

* Aus: junge Welt, 19. März 2010


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