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Irak wird kein USA-Staat

ND-Interview mit Mohammed Haji Machmud, Vorsitzender der Sozialistisch-Demokratischen Partei Kurdistans (SDPK)

Mohammed Haji Machmud (53) ist Vorsitzender der Sozialistisch-Demokratischen Partei Kurdistans, Minister der kurdischen Regionalregierung und Abgeordneter der Nationalversammlung Irakisch-Kurdistans. Seine Partei wurde im Freiheitskampf der irakischen Kurden gegen das Regime Saddam Husseins am 12. Mai 1981 in den Bergen gegründet. Programmatisch lehnt sie sich an westeuropäische sozialdemokratische Parteien an. Konsequent tritt sie für die Rechte bedrohter Völker in der Einheit von politischen und sozialen Rechten ein, wie Machmud hervorhebt. Mit dem kurdischen Politiker sprach für das "Neue Deutschland" Hewa Bahjat.



ND: Herr Vorsitzender, jüngst war die Rede von einem Wunsch der USA, einen Sondervertrag mit Irak zu schließen. Was können Sie uns dazu sagen?

Machmud: Über diesen Vertrag finden seit einiger Zeit geheime Verhandlungen in Bagdad statt. Nach nichtoffiziellen Quellen ist es das US-amerikanische Interesse, für längere Zeit einen starken Stützpunkt in Irak zu errichten. Die Amerikaner sagen zwar, sie blieben nur so lange militärisch präsent, wie die irakische Regierung das wünscht. Es ist aber offensichtlich, dass sie ihre gegenwärtige militärische Stellung so lange wie möglich halten wollen. In diesem Punkt müssen wir die Wahlen im November abwarten.

Im wirtschaftlichen Bereich streben die USA ein Vorkaufsrecht für Erdöl und Gas an. Das irakische Interesse ist, dass die Iraker über alle Bereiche allein, ohne jegliche Einmischung von außen entscheiden. Jeder Vertrag mit einer ausländischen Macht muss unserer Verfassung entsprechen. Das heißt zum Beispiel, dass wir unsere Hoheit zu Lande, zu Wasser und zur Luft niemals aufgeben werden und dass von unserem Boden keine Bedrohung eines benachbarten Staates ausgehen darf. Keineswegs wird Irak ein USA-Bundesstaat für die strategischen Interessen in Washington.

Ein weiteres Problem von internationaler Bedeutung ist durch die Verfolgung und die Vertreibung von Christen in Irak entstanden.

Christen sind unsere Brüder und Schwestern. Sie haben ein Recht wie alle anderen Menschen religiöser Glaubensbekenntnisse, bei uns in Irak zu leben. Wir haben die Christen aus dem Süden und aus der Mitte Iraks freundlich aufgenommen. Die kurdische Regierung und meine Partei haben kürzlich gegenüber hohen christlichen Abgesandten in einer öffentlichen Erklärung bekräftigt, dass Kurdistan in Irak ein Schutzgebiet für die Christen war und bleibt.

Wie erklären Sie denn die blutigen Vorgänge in Irak?

Nehmen Sie die tragischen Ereignisse im Süden, in Basra, und im Westen. Hunderte Iraker starben, weil Nachbarländer den Terror im Interesse ihrer Machtentfaltung schüren. Diese Nachbarn haben Schwierigkeiten, die erkämpfte Freiheit und Demokratie, besonders mit Blick auf die Kurden, anzuerkennen. Sie haben Millionen Kurden im eigenen Land. Sie fürchten, dass sich der Erfolg des föderativen Staatsprinzips im neuen Irak und der kurdischen Selbstverwaltung im Norden als leuchtendes Fanal bei ihren Kurden durchsetzt.

Sie sagen, der Terror wird vom Ausland geschürt. Aber hat er nicht seine entscheidende Basis in Irak selbst?

Natürlich hat er sie hier. Nach dem Sturz Saddam Husseins und seines Systems entstanden zwei große Konfliktpunkte. Der erste resultiert aus der Politik der USA als Besatzungsmacht, die Volk und Land nicht kannte. Daraus sind schwierige und tragische Probleme erwachsen, die es früher in dieser Wucht in Irak nicht gab.

Der zweite ist das Problem des irakischen Volkes, dem es nicht gelungen ist, die Diktatur Saddam Husseins aus eigener Kraft zu beseitigen. Der Sturz Husseins hat eine völlig neue Lage geschaffen. Die Schiiten, eine religiöse Strömung des Islam, sind an die Macht gekommen in einem Land, in dem 80 Jahre lang die Sunniten geherrscht hatten, eine andere Strömung. Kurz gesagt: Ein militanter Teil der arabischen Sunniten ist mit dem Verlust seiner Macht nicht einverstanden. Er lehnt eine Partnerschaft mit Schiiten und Kurden ab. Diesen Widerspruch nutzen Nachbarn für ihre Interessen. Das ist auch eine Erklärung für den andauernden Terror.

Noch nicht ausgeräumt ist der Streit um Artikel 140 der irakischen Verfassung, demzufolge eine Volksabstimmung über die Zugehörigkeit Kirkuks zum kurdischen Autonomiegebiet stattfinden soll.

Der Streit um diesen Artikel richtet sich gegen den Föderalismus und gegen die Kurden. Das Wichtigste an diesem Artikel ist, dass endlich die Grenzen Kurdistans in Irak festgelegt werden, so wie in Deutschland die Grenzen der Bundesländer bestimmt sind. Alle früheren Bewohner dieser Region, die hier seit altersher ihr natürliches Siedlungsgebiet haben - Kurden, Araber, Turkmenen und Christen - haben ein Recht, hier zu leben. Artikel 140, der in einer Volksabstimmung mit mehr als 80-prozentiger Zustimmung angenommen wurde, zeigt die Richtung auf dem Weg zur kurdischen Souveränität über Kirkuk und alle anderen kurdischen Gebiete, die arabisiert wurden.

Welche Perspektiven sehen Sie für die Zusammenarbeit der SDPK mit deutschen Linken und der SPD?

Wenn die Linken und die SPD unsere Vorstellungen zur friedlichen Gewährung der Lebensrechte der Kurden in allen Staaten des Nahen Ostens verstehen und unterstützen, reichen wir ihnen dankbar unsere Hände. Ich nutze die Gelegenheit unseres Gesprächs, den deutschen Freunden zu sagen, dass wir über das Deutsche Büro in Erbil, unserer Landeshauptstadt, sehr zufrieden sind. Diese Einrichtung ist geeignet, unsere Beziehungen zu erweitern, wenn das Büro volle konsularische Rechte erhielte.

* Aus: Neues Deutschland,16. Juni 2008


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